Wer glaubt, Hollywood sehe seine Hauptaufgabe im unermüdlichen Erschaffen neuer, origineller Kinoabenteuer, der irrt, denn für die Traumfabrik ist und bleibt das mehr oder weniger kunstvolle Kopieren mindestens ebenso wesentlich. Im Genre des Actionfilms wurde etwa der Bruce-Willis-Klassiker „Stirb langsam" (1988) zu einer stilprägenden Vorlage, deren Handlungsmuster seither dankbar wiederverwendet wird. Gemeint ist die Geschichte vom stählernen Einzelkämpfer wider Willen, der es in einer von der Außenwelt abgeriegelten Umgebung mit den bewaffneten Schergen eines Erzschurken aufnimmt und dabei stets einen lakonischen oder zynischen Kommentar auf den Lippen hat. Klassische Männerunterhaltung eben, die am besten ohne großes Hinterfragen konsumiert wird und die mittlerweile vor allem in Videothekenregalen zu finden ist, wo die Van Dammes und Lundgrens gemeinsam den Zeiten hinterhertrauern, in denen muskulöse Haudegen ihre Probleme noch im Alleingang gelöst haben. Wie 1995 in „Alarmstufe: Rot 2", dem Nachfolger der unterhaltsamen „Stirb langsam"-Variation aus dem Jahre 1993, mit der Kampfsportprofi und Minimalmime Steven Seagal seinen größten Erfolg verbuchte. Der zweite „Alarmstufe: Rot" kann seinem Vorgänger aber trotz der durchaus temporeichen Inszenierung von Geoff Murphy weder qualitativ, noch am Einspielergebnis gemessen das Wasser reichen. Die Weichen waren für all die ausdrucksarmen Einzelkämpfer des Actionfilms angesichts solcher Ideen-, Emotions- und Erfolglosigkeit bereits unübersehbar auf Heimkino gestellt.
Der ehemalige Navy Seal und Schiffskoch Casey Ryback (Steven Seagal) macht sich mit seiner Nichte Sarah (Katherine Heigl) auf eine Bahnreise von Denver nach Los Angeles, um das Grab seines kürzlich verstorbenen Bruders zu besuchen. Ausgerechnet in ihrem Zug befindet sich eine vom genialen, aber skrupellos-brutalen Travis Dane (Eric Bogosian) angeführte Terroristengruppe. Der durchgeknallte Computerspezialist hat es geschafft, den von ihm entwickelten Waffensatelliten „Grazer One" in seine blutbefleckten Hände zu bekommen und will ihn zwecks Erpressung der US-Regierung auf Washington D.C. ausrichten. Es droht eine Katastrophe, denn „Grazer One" kann Erdbeben auslösen – eine Fähigkeit, die Travis anhand zweier Vorab-Ziele demonstriert. Was der Fiesling übersehen hat: Mit Casey Ryback ist ein Mann auf der Passagierliste, an dem sich einst schon die Entführer des Kriegsschiffes USS Missouri die Zähne ausgebissen haben...
„Alarmstufe: Rot 2" atmet durch und durch den Geist eines heute längst aus dem Kino verbannten Action-Subgenres, in dem die Fronten klar, die Helden einsilbig und die Waffen immer durchgeladen sind. So tritt hier natürlich nicht zum ersten Mal ein größenwahnsinniger Krimineller auf, der sich einer überlegenen Superwaffe bemächtigt und die durch hilflose Militärs und Politiker repräsentierte Regierung unter Druck setzt. Diese mit markigen Onelinern garnierten und ergänzten Klischees bieten dem nah- und fernkampferprobten Protagonisten den Rahmen zur Umsetzung seiner überwiegend alleine durchgeführten Weltrettungsmission. Er ist das Zentrum des Films - und im Fall von Steven Seagal bloß physisch anwesend. Der Typ kloppt, ballert und baut eine Bombe aus Küchenutensilien, während noch der kleinste Anflug von Emotionen ungesehen hinter seiner Steinvisage verkümmert. Die wenigen Situationen, die ihm zumindest theoretisch erlauben, Ausdrucksvermögen zu zeigen, lässt er konsequent ungenutzt.
Ob Diskussion über schwierige Familienverhältnisse oder Kugelhagel, Seagals Miene bleibt unbewegt und verhindert jede Identifikation. Die auf der guten Seite stehenden Nebenfiguren taugen ebenfalls nicht als Sympathieträger. Katherine Heigl („Grey's Anatomy", „Kiss & Kill"), die als Rybacks Nichte Sarah eine ihrer ersten Rollen spielt, hat keine Chance, Profil zu gewinnen, denn die Figur wird von den Autoren zu lange ignoriert oder schlicht vergessen; der Seagals Ex-Navy-Seal als nerviger Sidekick zur Seite gestellte, dauerplappernde Page Bobby (Morris Chestnut) weckt gar jedem „Star Wars"-Fan unangenehme Assoziationen zu Jar Jar Binks. Die „Good guys" erfüllen ihre Funktion also kaum, ihre Gegenspieler – Anführer Travis Dane und sein Handlanger Marcus Penn (Everett McGill) – sind aber immerhin fies genug, den Zuschauerhass recht nachhaltig zu schüren.
Dass „Alarmstufe: Rot 2" in keiner Sekunde richtig zündet, liegt nicht nur am mangelnden Identifikationspotential mit Seagal & Co., sondern darüber hinaus an der latenten Trägheit von Handlung und Inszenierung. Das Tempo ist annehmbar, ja, doch ansonsten lassen Regisseur Geoff Murphy und seine beiden Drehbuchautoren jeden Willen vermissen, der bleihaltigen Zugfahrt inszenatorischen oder inhaltlichen Pepp zu verleihen. Der Fahrplan wird brav eingehalten, überraschende Stopps bleiben Fehlanzeige – was den Bahnkunden freut, gilt nicht analog für den Actionfreund. So kann „Alarmstufe: Rot 2" auch als einer der Totengräber jener Ballerfilme gesehen werden, deren Macher sich lediglich auf Tritte, Schläge und Schüsse verlassen, zumal hier selbst der (freiwillige) Humor auf Sparflamme kocht.
Ein Kuriosum zum Schluss: Die ungeschnittene Fassung von „Alarmstufe: Rot 2" steht in Deutschland wegen angeblicher Jugendgefährdung nach wie vor auf dem Index. Der Grund erschließt sich gerade angesichts des Vergleiches mit vielen Genre-Kollegen nicht, allerdings hat die Brandmarkung durch die staatlichen Jugendschützer dem Streifen sicherlich einen zusätzlichen Aufmerksamkeitsschub verschafft.
Fazit: Die Zutaten wurden nicht groß verändert und das Budget verdoppelt, trotzdem schmeckt die zweite Rettungsmission des kochenden Anti-Terror-Experten Casey Ryback nur nach Aufgewärmtem. Temporeich, aber weitgehend frei von Überraschungen und Höhepunkten poltert „Alarmstufe: Rot 2" seinem vorhersehbaren Ende entgegen, ohne dass Steven Seagal oder seine Zuschauer auch nur einmal mit der Wimper zucken.