Erst durch den grandiosen Birdman bin ich auf Inarritu aufmerksam geworden und doch wollte ich sofort mehr von der Arbeit dieses Regisseurs sehen, in der Hoffnung etwas ähnlich innovatives wie Birdman zu Gesicht zu bekommen. Ich wurde nicht enttäuscht.
Alles fängt mit großer Verwirrung an. Anscheinend zusammenhanglose Szenen werden gezeigt und scheinbar einander unbekannte Charaktere werden eingeführt. Ein schwer kranker Mathematiker benötigt ein neues Herz und nur seine Krankheit scheint seine Ehe zusammenzuhalten. Ein ehemaliger Straftäter flieht sich in ein fundamentalistisches Christentum. Eine zufriedene Ehefrau verliert durch einen Autounfall ihre gesamte Familie. Mit abrupt wechselnden Szenen und Zeitsprüngen bringt Inarritu die Handlung langsam voran und allmählich bemerkt der Zuschauer, dass alle Handlungsfäden zu einem großen Ganzen zusammenlaufen. Ganz behutsam kommen die Figuren miteinander in Kontakt, um dann gemeinsam in einen Strudel aus Verzweiflung und Trauer gezogen zu werden. Dabei wird mit intimen Kameraeinstellungen gearbeitet, die geradezu hautnah das Leben der handelnden Personen darstellt. Es wird mit einer Ruhe gearbeitet, wie man sie selten findet in der Filmbranche. Unaufgeregt erzählt Inarritu seine Geschichte und ohne zu dramatische Musik oder zu spektakuläre Einstellungen zieht sie einen in ihren Bann. Es wirkt wie das echte Leben, dramatisch und gnadenlos, aber nie unglaubwürdig,
21 Gramm so viel Gewicht verliert jeder Mensch beim Eintritt seines Todes. Und gestorben wird viel. Große Themen hat Inarritu sich vorgenommen: Verlust, Trauer, Rache und Verdrängung. Der Stoff aus dem viele Filme sind und doch hat es kaum einer geschafft so zu berühren, so zum Nachdenken anzuregen. Wo bei anderen Regisseuren eine Gewaltorgie herausgekommen wäre, entsteht bei Inarritu schonungslose Kunst, während bei anderen überdramatischer Kitsch entstanden wäre, berührt Inarritu wirklich. Alles passt zusammen, die Charaktere sind angenehm vielschichtig und ein klares Bild von Gut und Böse sucht man hier genauso vergebens, wie auch nur eine unnötige Szene.
So gerne ich auch kritisch mit Filmen umgehe, so sehr ich es auch wirklich versuche etwas negatives zu finden, es gibt wirklich kaum was zu bemängeln. Bis auf eine Szene, in der bei einem Essen der Mathematiker Paul ein hoffnungslos kitschiges Gedicht rezitiert, um eine Frau zu beeindrucken, musste ich kurz zucken. Nicht etwa, weil die Szene schlecht war, sondern weil sie nicht perfekt war. Wenn mir das gleiche kein einziges Mal sonst im Film passiert ist, so ist das eine verdammt starke Leistung.