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    21 Gramm
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    5,0
    Meisterwerk
    21 Gramm
    Von Ulf Lepelmeier

    Mit „21 Gramm“ schuf Alejandro Gonzalez Inarritu, der nach dem oscarnominierten „Amores Perros“ seinen ersten englischsprachigen Film präsentiert, ein anspruchsvolles, raffiniert verwobenes Drama, welches die Wertigkeit von Gefühlen, die Machtlosigkeit des Menschen bezüglich seines Schicksals und den Umgang mit dem unumgänglichen Tod zum Inhalt hat. Aufwühlend, ergreifend und unheimlich intensiv ist „21 Gramm“, der trotz oder vielleicht auch gerade wegen seiner komplizierten und verwirrenden Präsentation fasziniert, was aber auch den herausragenden Leistungen der Schauspieler zu verdanken ist.

    Drei schicksalhafte Lebenswege kreuzen sich aufgrund eines tragischen Unfalls. Der krebskranke Mathematikprofessor Paul Rivers (Sean Penn), der auf ein Spenderherz warten muss und der sich schon mit seinem baldigen Tode abgefunden zu haben scheint; der frühere Gefängnisinsasse Jack Jordan (Benicio Del Toro), der sein Seelenheil im christlichen Glauben meint gefunden zu haben und Cristina Peck (Naomi Watts), eine fürsorgliche Mutter und Ehefrau mit hinter sich gelassener Drogenvergangenheit, treffen aufeinander. Ihre Vergangenheit, mit der sie meinte abgeschlossen zu haben, holt sie wieder ein. Ihre Leben in der Gegenwart, mit denen sie sich arrangiert hatten und ihre Zukunft, der sie meinten entgegentreten zu können, sollen durch den Vorfall aus ihren Bahnen geworfen werden, nichts soll danach mehr so sein wie es war.

    „Es heißt, wir alle verlieren 21 Gramm genau in dem Moment, in dem wir sterben, jeder von uns.“ Alejandro Gonzalez Inarritu setzte wie bei seinem Erstlingswerk „Amores Perros” auch in „21 Gramm“ auf die Kraft dreier Tragödien, die sich vor den Augen des Zuschauers vereinen. Ihm wird die vollkommene Machtlosigkeit dreier Menschen aufgezeigt, die annehmen, ein völlig selbstbestimmtes Leben führen zu können und dabei doch ihrem gemeinsamen Schicksal nicht entkommen können. Die universellen Gefühle Rache, Schuld und Liebe sind der vorrantreibende Geist, der Tod das Herz, das zentrale Thema des Films. Tod heißt Veränderung, Zerstörung aber auch Neuanfang und Hoffnung, dies macht der Film deutlich.

    Der Regisseur lässt seine drei Geschichten in grobkörnigen Bildern und mit ausgeblichenen Farben auf die Leinwand projizieren. Die fehlende Intensität der Farben, die dezente Instrumentalisierung und der Handkamerastil lassen den Film realistischer und damit auch intensiver wirken, außerdem hüllen diese stilistischen Mittel die vorherrschende gespannte, trostlose Atmosphäre in ein stimmiges Gewand. Das filmische Werk ist wie ein Puzzle aufgebaut, das man nur mit Mühe und Geduld zusammenfügen kann. Dem Zuschauer werden die parallel ablaufenden Handlungsstränge immer nur in einzelnen, chronologisch ungeordneten Storyscherben vorgelegt, die erst nach und nach die Hauptcharaktere erschließen und das große Ganze erahnen lassen.

    Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft verschwimmen, man ist gefordert, dem Geschehen genau zu folgen und nach jedem kurzen Storyabschnitt den darauffolgenden irgendwie in das Zeitgefüge einzuordnen. Dass der Betrachter trotz der schwierigen Erzählweise gebannt dem Geschehen folgt, ist den glänzenden Darstellern zu verdanken, ohne die man sich nicht auf den Film einlassen und das innovative Konzept nicht aufgehen könnte. Sean Penn setzt nahtlos an seine schauspielerische Leistung in „Mystic River“ an und Benicio Del Toro („Traffic“) zeigt eindrucksvoll in seiner oscarnominierten Rolle als fanatischer Gläubiger, wozu er in der Lage ist. Naomi Watts’ („Mulholland Drive“, „The Ring“) Hingabe, mit der sie die Cristina spielt, begeistert und bewegt. Die Gefühlsausbrüche, die Verzweiflung und das aufsteigende Verlangen nach Rache bringt sie mit größtmöglicher Intensität auf die Leinwand. Ihr ebenfalls oscarnominiertes Spiel fördert ihr ungeheures schauspielerisches Potential zutage. Die drei exzellenten Hauptakteure werden durch die ebenfalls sehr gut agierenden Darsteller in den übrigen Rollen perfekt ergänzt.

    „21 Gramm“ verlangt dem Zuschauer einiges ab, doch vermag ihm auch vieles zu geben. So weiß der Film den Kinogänger, der bereit ist, sich auf einen etwas anders aufgebauten Film einzulassen, zu fesseln und zum Nachdenken zu animieren, werden doch mannigfache Fragen aufgeworfen. So fragt man sich nach der schon anfangs erwähnten Wertigkeit der Gefühle, ob starker Glaube zwangsläufig in Fanatismus mündet, ob Selbstaufgabe zu verurteilen ist und ob das menschliche Leben einen kosmischen Sinn hat, ob es nach einem für uns nicht nachvollziehbaren vorgegebenen Pfad verläuft. Was ist das Leben? Was der Tod? Und wie viel Schuld laden wir im Laufe unseres Daseins auf uns?

    Eindeutige Antworten gibt uns auch der Film nicht, aber er weist auf mögliche Lösungen hin. Schon der Name des Films gibt Rätsel auf. „21 Gramm“ ist das Gewicht, das jeder Mensch bei seinem Tode, bei seinem letzten Atemzug, verliert. Es heißt, dass diese Mengenangabe, die doch so unbedeutend erscheint, mit der aus dem sterbenden Körper herausfahrenden Seele gleichzusetzen ist. Doch vielleicht ist diese Erklärung nur ein weiterer Versuch, im Bestreben des Menschen Unbegreifliches fassbar zu machen. Der Mathematikprofessor Paul Rivers sagt im Film, dass er versuche, alle Impressionen und Gedanken in Zahlen auszudrücken, um sie greifbar zu machen. Vielleicht hatte der Regisseur bei der Titelauswahl etwas ähnliches im Sinn gehabt. „21 Gramm“ sei jedem zu empfehlen, der bereit ist, sich auf einen düsteren, ungewöhnlich erzählten und philosophischen Film einzulassen. Anspruchsvolles, faszinierendes Darstellerkino wird hier auf höchstem Niveau geboten.

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