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    Rumours
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    Rumours

    Cate Blanchett channelt ihre innere Angela Merkel

    Von Patrick Fey

    Es ist eine Prämisse, die die meisten wohl direkt wieder als Schnapsidee abgetan hätten: Was, wenn die Staatsoberhäupter der G7-Staaten im Hinterland von Dankerode in Sachsen-Anhalt zusammenträfen, um gemeinsam über eine nicht näher spezifizierte globale Krise zu tagen? Nur um sich dann in einer nächtlichen Odyssee im plötzlich menschenleeren Wald zu verlaufen? Nicht, dass es angesichts der derzeit viel zitierten Polykrise allzu großer Fantasie bedürfte, sich eine politische Drohkulisse für die global an Zuspruch verlierenden liberalen Demokratien auszumalen. In der Gedankenwelt der kanadischen Surrealisten-Ulknudel Guy Maddin („Der grüne Nebel“) geht es weniger um Realitätsnähe als um Pointen und Performances. Das bestätigt sich bereits in einer zu Beginn platzierten Notiz, in der es heißt, die Produzent*innen würden den G7-Staatsoberhäuptern gern für die Zusammenarbeit danken.

    Und hat man einmal die zweifache Oscargewinnerin Cate Blanchett für seinen Cast gewonnen, scheint deren Besetzung als deutsche Regierungschefin und G7-Gastgeberin rückwirkend beinah unvermeidlich—zumindest für jene, die sich noch an ihre überraschend überzeugenden Deutschkenntnisse aus „Tár“ erinnern. In „Rumours“ gibt Blanchett eine fiktionale deutsche Kanzlerin, orientiert sich in Sachen Auftreten und Duktus allerdings unschwer erkennbar an der Ex-Kanzlerin Angela Merkel und der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. An wenige andere Aspekte der Kunst lassen sich so schwer übergeordnete Urteilskriterien anlegen wie an den Humor, und so lässt sich über Blanchett kaum mehr sagen, als dass, wer an Personenimitationen seine Freude hat, hierin eine famose Darbietung vorfindet.

    Bleecker Street
    Bei ihrem nächtlichen Herumirren stoßen die Politiker*innen u.a. auf ein überdimensioniertes Gehirn.

    Nebst Blanchett lässt sich dies auch über den Briten Charles Dances als in die Jahre gekommenen, lose an Joe Biden angelehnten US-Präsidenten sagen: Der „Game Of Thrones“-Star schwankt in seiner Sprache zwischen Pathos und erschöpfungsbedingter Müdigkeit (Stichwort: Sleepy Joe) hin und her, ohne uns auch nur einen Anhaltspunkt für seinen englischen Akzent zu geben. Allerdings speist sich der gewöhnungsbedürftige Humor weniger aus der erfolgreichen Imitation eines realen Gegenübers denn aus der Absurdität der Ausgangssituation und der damit einhergehenden Diskrepanz zwischen der Gravität der Ämter und den Idiosynkrasien der sie bekleidenden Würdenträger*innen.

    Den von Roy Dupuis („The Forbidden Room“) gespielten kanadischen Premierminister etwa verbindet eine nicht näher beleuchtete frühere Liaison mit der britischen Premierministerin (Nikki Amuka-Bird), von der diese allerdings nichts mehr wissen möchte — was wiederum die deutsche Kanzlerin auf den Plan ruft, die einen günstigen Moment gekommen sieht, ihr Liebes-Lasso nach dem Kanadier auszuwerfen, auf den sie seit geraumer Zeit ein Auge geworfen hat. „Jede liberale Ökonomie“, so interpretiert an einer Stelle der japanische Premier (Takehiro Hira), „ist von ihrer Natur libidinös“. Entgegen dem Klischee der romantischen Französ*innen zeigt sich Frankreichs Staatspräsident (Denis Ménochet) über solch weltliche Gelüste allemal erhaben. Er wird uns gar als verkopfter Intellektueller präsentiert, der in seiner Freizeit eine „Psychogeographie“ über Friedhöfe und Bestattungsbräuche anfertigt.

    Regel Nr. 1 der Staatsorganisation: Erst mal Untergruppen bilden

    In diesem morbiden Motiv deutet sich an, was in der zweiten Hälfte des Filmes Überhand nimmt. Denn nachdem sich die Staatsoberhäupter in einem idyllisch-abseitigen Pavillon für ein ausgiebiges Brainstorming zusammenfinden, um — aufgeteilt in Untergruppen — Stichpunkte zur Ausarbeitung eines multilateralen Statements zusammenzutragen, mischen sich mit dem Eintreten der Dämmerung zunehmend Horrorelemente in die Komödie. Den ersten Hinweis auf diese Entwicklung gibt es bereits in den Eingangsszenen, in denen die Regierungsbosse Bekanntschaft mit einem exhumierten Leichnam aus der Eisenzeit machen, der aufgrund der speziellen Beschaffenheit des Moores die Jahrtausende überdauert hat.

    Zum übergeordneten Konzept gehört es auch, wiedererkennbare Versatzstücke anderer Filmklassiker — man denke an die ikonische Szene an der Bockenburger Fähre aus „Der Herr der Ringe“— auf parodistische Weise aufzugreifen. Wo bei Peter Jackson noch die Gefahr durch die schwarzen Reiter drohte, geht es hier lediglich darum, Hilfe für den angeschlagenen französischen Staatschef herbeizuholen. Der hat sich nämlich beim Gang durchs Geäst den Knöchel verstaucht und wird deshalb fortan von seinem italienischen Amtskollegen (Zlatko Buric) in der Schubkarre umhergeschoben.

    Italien spenden den sterbenden USA Hoffnung

    Derselbe italienischer Premierminister ist es dann auch, der in einer nicht enden wollenden Szene — hier denkt man für einen Moment, man sei in einen Quentin-Dupieux-Film („Rubber“) gelandet — an den Überlebenstrieb des ermatteten amerikanischen Präsidenten appelliert, als sich dieser mit seinem Ende bereits abgefunden hat. Weniger unterlegt als übertönt wird all dies von einem pathosgetränkten, in seiner Ernsthaftigkeit der Absurdität der Handlung zuwiderlaufenden Score von Kristian Eidnes Andersen. Dieser hat in der Vergangenheit schon für die Soundtracks der dänischen Meister Lars von Trier und Nicolas Winding Refn mitverantwortlich gezeichnet.

    Es sind Szenen, die gut illustrieren, worin die Stärken von „Rumours“ liegen, die aber gleichzeitig auch die Limitationen dieses Ansatzes offenlegen. Denn so witzig einzelne Gedankenblitze bisweilen auch sind, so ziellos verlaufen sie in der Folge im Sande. Kann insbesondere die Filmeröffnung noch von der Originalität der Ausgangslage und der Spannung profitieren, die mit der Figurenetablierung einhergeht, so lassen sich die späteren Abnutzungserscheinungen kaum übersehen. Die Idee, die Narration des Films zunehmend selbst zum Zentrum des Humors zu erklären, wirkt mit fortlaufender Dauer dieser viel zu langen Horror-Komödie schlicht unoriginell. Zumal sich der politiksatirische Ansatz in der wenig inspirierten Pointe erschöpft, der zufolge Politiker*innen oft mehr sagen als tun würden. Nun ja…

    Fazit: So vielversprechend das kreative Gespann um Guy Maddin und seine Co-Regisseure Evan und Galen Johnson ihre Politiksatire in der ersten Hälfte von „Rumours“ vorbereiten, so uninspiriert und allem voran zahnlos wirkt das Geschehen rund um gescheiterten G7-Gipfel mit zunehmender Dauer. Bald schon dämmert es uns, dass es dem Trio letztlich nicht um mehr geht als reinen Klamauk, der sich trotz zunehmender Surrealismus-Schübe aber gemeinsam mit seinen Protagonist*innen im Wald verläuft.

    Wir haben „Rumours“ beim Cannes Filmfestival 2024 gesehen.

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