Das beste Smartphone der Welt (bis das iPhone kam)
Von Christoph PetersenAufstieg, Hybris, Absturz. Die Kino-Biographien von Unternehmen unterscheiden sich in ihrem Aufbau meist kaum von sonstigen Biopics über Künstler*innen, Sportler*innen oder Politiker*innen. Aber im Fall von „BlackBerry“ bestand zumindest eine realistische Hoffnung, dass die wahre Geschichte über den einst weltmarktbeherrschenden Smartphone-Hersteller aus der oft erprobten – und deshalb halt auch schon ein wenig abgestandenen – Struktur ausbrechen würde. Immerhin stammt der Film von dem kanadischen Komiker Matt Johnson, der schon mit der sauprovokanten Indie-Comedy „The Dirties“ über einen potenziellen Schul-Amokläufer auch international auf sich aufmerksam gemacht hat.
Wenn nun die dokumentarisch-wackelige Handkamera gleich in den ersten Szenen von „BlackBerry“ viel zu nah an die Gesichter heranfährt, fühlt man sich direkt an den Stil der kultigen Arbeitsplatz-Sitcom „The Office“ erinnert. Könnte es also wirklich sein: Kein bloßes Biopic, sondern eine bissig-satirische Abrechnung? Leider nein: In den folgenden zwei Stunden zeichnet „BlackBerry“ anhand einiger zentraler Wendepunkte in der Firmengeschichte dann doch den üblichen Plot vom Aufstieg und Fall nach. Das ist zwar enttäuschend brav, aber im selben Moment auch immens unterhaltsam – gerade für alle, die die Zeit damals noch selbst mitbekommen haben…
Ein Haufen Nerds, der nur wenig später die ganze Welt verändern wird!
Mike Lazaridis (Jay Baruchel) hat einen Weg gefunden, um mit Mobiltelefonen nicht länger nur SMS, sondern auch E-Mails zu verschicken. Aber das ehemalige Wunderkind wird als CEO der Tech-Schmiede Research In Motion (kurz: RIM) einfach von niemandem ernst genommen. Allerdings ist das auch kein Wunder: Während der introvertierte Ingenieur vor fremden Leuten kaum ein Wort herausbekommt, besteht sein Team aus Bilderbuch-Nerds, die den ganzen Tag im Büro LAN-Partys veranstalten und beim kleinsten Konflikt erst einmal einen Notfall-Filmabend mit „Jäger des verlorenen Schatzes“ veranstalten.
Aber irgendwann geht es so einfach nicht mehr weiter – und deshalb holt Mike den eiskalten Geschäftsmann Jim Balsillie (Glenn Howerton) als Co-CEO mit an Bord. Mit dessen Hilfe überzeugt der Erfinder selbst die ganz großen Player am Markt von seiner visionären Idee des allerersten Smartphones – und nur wenige Jahre später ist BlackBerry eines der wertvollsten Unternehmen der Welt. Aber mit den Milliarden auf den Konten wächst auch die Überheblichkeit der ehemaligen Underdogs – und so bezeichnet Mike das vom Konkurrenten Apple angekündigte iPhone als Müll, der sich innerhalb kürzester Zeit von selbst wieder erledigen wird…
Es ist schon erschreckend, wie schnell die Zeit vergeht. Heute einen Film über die Entwicklung des ersten Smartphones zu schauen, ist vom zeitlichen Abstand her dasselbe, als hätte man sich in den Neunzigern einen Film über die Mondlandung angesehen. Aber dafür taucht „BlackBerry“ so tief und so spezifisch in die Popkultur der Neunziger ein, wie kaum ein Film zuvor: Im RIM-Büro wird auf den Bildschirmen ständig „Civilization“ gezockt oder frühe „Star Trek“-Foren abgeklappert – und als Mikes von Regisseur Matt Johnson persönlich gespielter Kumpel Doug gefragt wird, welche Ingenieur*innen man unbedingt von der Konkurrenz abwerben sollte, stammt der erste genannte Name nicht etwa von Google oder Microsoft. Stattdessen wird da direkt „Wolfenstein 3D“-Programmiergenie John Carmack vom „Doom“-Studio id Software als Kandidat in den Raum geworfen.
Selbst wenn die Story vom BlackBerry-Aufstieg geradlinig durcherzählt wird, ist es einfach verdammt unterhaltsam, diesem nerdigen Haufen dabei zuzusehen, wie er mit der „echten“ Geschäftswelt, wo Zahlen und Fakten statt popkultureller Zitate und zeremonieller Filmabende an erster Stelle stehen, auf Kollisionskurs geht. Eine Underdog-Story, wie sie im Buche steht – und die stirnbandtragenden Code-Genies werden auch keinesfalls vorgeführt. Stattdessen schlägt sich „BlackBerry“ am Ende noch am ehesten auf ihre Seite, wenn alle die anderen zunehmend an ihrer Überheblichkeit und ihrem Bullshit zu ersticken drohen.
Mike Lazaridis (Jay Baruchel) wird irgendwann schmerzlich bewusst, dass zum erfolgreichen Unternehmertum mehr gehört als regelmäßige Nerd-Filmabende.
Die eindrucksvollste schauspielerische Leistung liefert dennoch Sitcom-Star Glenn Howerton als Knallhart-Verhandler Jim Balsillie ab – und das liegt nicht nur daran, dass man den „It's Always Sunny in Philadelphia“-Komiker mit Halbglatze kaum noch wiedererkennt: Balsillie ist ein absolut faszinierender „Bösewicht“, den man für seine ohne jedes Zögern rausgehauenen No-Nonsens-Ansagen schon auch bewundert, für das Schaffen eines toxischen Arbeitsumfeldes (irgendwann wird sogar „Starship Troopers“-Leutnant Michael Ironside als Nerd-Antreiber eingestellt) aber zugleich zunehmend verachtet. Da scheinen selbst Vergleiche zu Michael Douglas‘ Rolle als Gordon Gekko in „Wall Street“ nicht zwingend zu hoch gegriffen.
Fazit: Man könnte enttäuscht sein, dass „BlackBerry“ am Ende doch eine Malen-nach-Zahlen-Firmen-Biographie vom kometenhaften Aufstieg bis zum krachenden Absturz geworden ist. Aber hey, der Film ist trotzdem verdammt gut gemacht und zudem extrem unterhaltsam. Das gilt übrigens doppelt für all diejenigen, die damals selbst in der Ära zwischen dem ersten „Civilization“ und „Doom“ aufgewachsen sind.
Wir haben „BlackBerry“ im Rahmen der Berlinale 2023 gesehen, wo er in den offiziellen Wettbewerb eingeladen wurde.