Abschied von einem Skandalregisseur
Von Janick NoltingBei Kim Ki-Duk sind die Menschen in der Regel sehnsuchtsvolle Bestien. Im Verlauf seiner Karriere hat der südkoreanische Regisseur in Werken wie „Seom - Die Insel”, „Moebius” oder „Pieta” immer wieder auf menschliche Grausamkeiten geschaut. Lob und Kontroverse lagen dabei in der Rezeption oft eng beieinander. Zuletzt musste der Autorenfilmer allerdings ordentlich an Renommee einbüßen. Im Zuge der #metoo-Bewegung hatten ihm mehrere Schauspielerinnen Missbrauch vorgeworfen. 2020 ist der Filmemacher nach einer Corona-Infektion verstorben. Nichtsdestotrotz erscheint mit „Call Of God” zwei Jahre nach seinem Tod noch einmal ein neuer Film von ihm. Bereits 2019 hat Kim Ki-Duk das Beziehungsdrama gedreht. Freunde und Kollegen haben seine finale Arbeit posthum fertiggestellt. Herausgekommen ist ein garstiges kleines Abschiedswerk, das sich nahtlos in die provokante Filmographie des Regisseurs einordnet.
Eine Frau (Zhanel Sergazina) steht zu Beginn während ihrer Morgenroutine vor dem Spiegel: Sie lacht, dann schreit sie, dann geht sie hinaus auf die Straße. Als sie an einer Ampelkreuzung steht, nähert sich ihr ein elegant gekleideter Mann (Abylai Maratov). Zum ‚Dream Café‘ möchte er. Sie zeigt ihm den Weg. Beide flirten miteinander, verlieben sich, doch die Romanze zwischen ihnen steht von Beginn an unter keinem guten Stern...
Es ist nicht einfach nur ein Kampf der Geschlechter, von dem Kim Ki-Duk hier erzählt, sondern ein regelrechter Krieg. Wie man es aus den Filmen des Regisseurs nicht anders kennt, liegt der häusliche Segen schon nach kürzester Zeit schief. Eifersucht bricht hervor. Wie viele Partnerinnen und Partner hatte die jeweils andere Person schon? Treibt sie ein doppeltes Spiel? Ist da noch wer anderes? Wurde die Wahrheit gesagt oder war alles nur vorgegaukelt für eine schnelle Nummer? Eigentlich spielt es gar keine Rolle, wie sich diese Fragen beantworten lassen. Allein die Tatsache, dass sie ungewiss im Raum stehen, lässt die Emotionen überkochen.
„Call Of God” ist ein sehr reduziertes, ungeschliffenes Werk. Es funktioniert fast ausschließlich als Zwei-Personen-Stück. Nebenfiguren tauchen nur selten auf und wenn doch, dann sind sie meist nur der Anstoß für neue Eskalationen. Man kennt das Programm, das Kim Ki-Duks Film routiniert abspult, wenn man ein paar Filme des Regisseurs gesehen hat. Da muss es drastisch zugehen, jeder Anflug von Romantik im wahrsten Sinne zerschlagen werden. Worte reichen hier schnell nicht mehr aus und so fliegen die Fäuste – und Schlimmeres. In einer wahnwitzigen Sequenz beschießen sich die beiden Liebenden zum Zeitvertreib mit spitzen Dartpfeilen, um Luftballons an ihren Körpern zum Platzen zu bringen. Die „Jackass”-Crew hätte es sich nicht besser ausdenken können.
Es sind derartig verdichtete Momente, von denen Kim Ki-Duks Drama zehrt. Der Regisseur war schon immer gut darin, intensive Szenen zu zeigen, bei denen man am liebsten wegsehen möchte – aus Scham oder vor Phantomschmerz. Wenn die beiden Hauptfiguren Sex haben und die junge Frau unbemerkt die Verflossene ihres neuen Liebhabers per Telefon daran teilhaben lässt, dann sind es solche grausamen Kränkungen, mit denen „Call Of God” zum Horrorfilm der etwas anderen Art mutiert.
„Was sich liebt, das neckt sich“ wird bei Kim Ki-Duk wie sooft zu „Was sich liebt, das bekriegt sich“.
Kim Ki-Duk hat im Kern ein konsequentes Drama darüber gedreht, wie das Projekt Monogamie eigentlich zwangsweise scheitern muss. Der ganze Ballast, die Geheimnisse und Unergründlichkeiten, die eine Partnerschaft mit sich bringt, lassen sich kaum aus der Welt schaffen. Die Vorstellung einer unbedingten Bindung und völligen Transparenz für immer und ewig lässt Ki-Duk mit aller Härte in sich zusammenfallen. Das Drama, sein Gegenüber niemals vollends durchschauen zu können, verpackt er in eine Eskalationsspirale, die er bis zum Äußersten treibt, inklusive einer unerwarteten „Fenster zum Hof“-Hommage.
Schade nur, dass sich der Diskurs, den er damit anstrebt, so verbissen an archaischer Triebhaftigkeit abarbeitet. Obwohl er um die Option eines anderen menschlichen Verhaltens weiß, bleibt das eigentliche Übel tradierter Normen und Beziehungsmodelle in ihrer ideologischen Gestalt nur leicht angetastet. Mit einer ominösen menschlichen Natur allein lässt sich eben doch nicht alles erklären. Dass dieses 80 Minuten lange Kim-Ki-Duk-Best-Of dennoch bis zum Schluss fesselt, ist dem schauspielerischen Kraftakt von Zhanel Sergazina und Abylai Maratov zu verdanken. Beide können so nonchalant zwischen kindlicher Naivität, Sehnsucht und bitterem Hass hin- und herspringen, dass die toxische Beziehung des Leinwandpaares in ihrer ganzen Unberechenbarkeit an Tiefe gewinnt. Ihre Darstellung funktioniert gleichermaßen verbal wie über ihre verletzende Körperlichkeit.
Während sich die zwei gekonnt um den Verstand spielen, ist eine gewisse Uneinigkeit in ihrer Inszenierung zu erkennen. Kim Ki-Duks Film ist in Schwarz-Weiß gehalten. Schlichte, schnörkellose und triste Aufnahmen sind das. Die meiste Zeit sind ohnehin nur die Gesichter der Liebenden in Großaufnahme zu sehen. Das bereitet Sergazina und Maratov zwar eine Bühne für ihre schauspielerischen Fertigkeiten, will jedoch mit der zunehmenden Entfremdung nicht so recht einhergehen. „Call Of God” kann sich formal kaum entscheiden, ob er in eine beobachtende Distanz geht oder die Sehnsucht seiner Figuren nach Intimität und Zusammenhalt reproduzieren will.
Interessant erscheint derweil, wie „Call Of God” irgendwann noch einmal einen ästhetischen Wendepunkt zulässt. Bei aller Finsternis und Gewalt, mit der er seine Liebesbeziehung skizziert, erlaubt Kim Ki-Duk überraschend einen letzten Funken Hoffnung, der sich in die (Alb-)Traumlogik dieses Films mischt und damit auch das Gesamtwerk des Regisseurs beschließt. Die Liebessehnsucht sucht sich Farbtupfer, kurzzeitig darf alles bunt leuchten. Aber wer weiß, wie zuverlässig dieser Ausbruch ist? Vielleicht ist ohnehin alles nur eine utopische Vorstellung, die man nachts im Schlaf herbeiträumt. Auch diese Option eröffnet der Film von Anfang an. Gespräche mit sich selbst und am Telefon werden geführt. Gott ruft an, wie der Titel bereits verrät, und hat schlechte Nachrichten…
Fazit: Kim Ki-Duks letztes Werk ist ein (vielleicht auch aufgrund der Produktionsumstände) etwas unausgereifter, aber dennoch schmerzhaft intensiv gespielter Film über die Vorzüge des Single-Daseins.
Wir haben „Call Of God“ beim Filmfestival in Venedig gesehen, wo er außer Konkurrenz als Teil des offiziellen Programms seine Weltpremiere gefeiert hat.