Das Comeback eines der größten Action-Regisseure aller Zeiten!
Von Björn Becher20 Jahre nach seinem viel gescholtenen Sci-Fi-Action-Thriller „Paycheck – Die Abrechnung“ hat John Woo wieder einen Hollywood-Film gedreht – und es sich dabei alles andere als einfach gemacht. Denn der „Face/Off“-Regisseur, der dank Werken wie „The Killer“, „Bullet In The Head“ oder „A Better Tomorrow“ einst als DER Garanten für Action-Meisterwerke aus Hongkong schlechthin galt, verzichtet in „Silent Night – Stumme Rache“ nahezu komplett auf Dialoge. Das Gelingen des mit einer Laufzeit von 103 Minuten zu langen Selbstjustiz-Thrillers hängt so über weite Strecken vor allem an Hauptdarsteller Joel Kinnaman („Suicide Squad“), der die Emotionen nur mit seiner Mimik (und vor allem seinen Augen) transportieren muss.
Obwohl Kinnaman seine Sache gut macht und Woo in ein paar außergewöhnlichen Action-Sequenzen beweist, dass er es immer noch draufhat, ist „Silent Night“ am Ende trotzdem eine Enttäuschung. Der Grund dafür ist nicht etwa, dass sich Woo in Sachen Action inzwischen weniger an der poetischen Eleganz seiner eigenen Klassiker als vielmehr an der sehr erfolgreichen „John Wick“-Reihe orientiert. Nein, am Ende hält ausgerechnet die so innovative Ausgangsidee den Film zurück: Wie das Setting an Weihnachten bleibt auch der Verzicht auf Dialoge ein reines Gimmick in einem viel zu langen, dadurch bisweilen recht drögen und in einigen Momenten sogar unfreiwillig komischen Reißer.
An Weihnachten erlebt Brian (Joel Kinnaman) den größten Albtraum, den sich ein Vater nur vorstellen kann. Beim Geschenke-Auspacken im Garten töten Querschläger aus den Schnellfeuerwaffen vorbeirasender Gangs seinen kleinen Sohn. Wütend nimmt Brian direkt die Verfolgung auf. Doch am Ende jagt ihm Gangsterboss Playa (Harold Torres) eine Kugel durch den Kehlkopf. Wie durch ein Wunder überlebt der Familienvater, auch wenn er nun jegliche Sprach-Fähigkeiten verloren hat.
Nach Wochen der Genesung muss seine Frau Saya (Catalina Sandino Moreno) machtlos mitansehen, wie sich Brian dem Alkohol ergibt. Doch nach einigen Monaten der Trauer findet Brian einen neuen Sinn im Leben: Rache! Er markiert sich den 24. Dezember, also den einjährigen Todestag seines Sohnes, dick im Kalender – und zwar mit dem klar formulierten Ziel: „Töte sie alle!“ Die Zeit bis Heiligabend nutzt er zur Vorbereitung auf dem Schießstand, beim Krafttraining sowie mit Messerkampf-Tutorials auf YouTube. Außerdem wird noch an einem gepanzerten Sportwagen gebastelt…
Im FILMSTARTS-Interview hat uns John Woo verraten, dass er deshalb 20 Jahre lang nicht in Hollywood gearbeitet hat, weil ihm die angebotenen Drehbücher einfach zu schlecht gewesen seien. Doch dann kam das Skript von Robert Archer Lynn um die Ecke. Eine Rache-Actioner komplett ohne Dialoge – das reizte die Action-Legende natürlich! Zugleich hat es womöglich aber auch seinen Grund, warum von Autor Lynn seit dessen miserablem „Rache - Vergeltung hat ihren Preis“ (mit Til Schweiger) von 2007 kein Drehbuch mehr verfilmt wurde. Aber: Dass die Story von „Silent Night“ unheimlich simpel und trivial gestrickt ist, wäre womöglich leicht zu verzeihen gewesen – wenn es dafür nur regelmäßig krachen würde. Doch das passiert zu selten.
Nach einem vielversprechend-rasanten Auftakt, in dem Brian im Weihnachtspullover Gangster verfolgt, werden erst mal in epischer Breite sein Genesungsprozess sowie die Vorgeschichte ausgewälzt. Gerade die Rückblenden wären in dieser Ausführlichkeit aber gar nicht nötig gewesen, weil bereits nach wenigen Minuten alles dazu gesagt ist. Eine mittendrin eingebaute Trainingsmontage bietet auch wenig Interessantes. John Woo versucht zwar, diese sich schnell ziehende erste Hälfte visuell aufzupeppen. Doch wenn sich eine herunterfallende Träne mitten im Flug in eine Patrone verwandelt, bliebt das Ende maximal eine nette Spielerei.
Mehr ist auch das Ausgangskonzept nicht. Einen Actionfilm ohne Dialoge zu drehen, mag erst mal interessant klingen. Doch mit der Idee wird nichts angefangen – ganz im Gegenteil. Dass neben dem sprachunfähigen Brian auch alle anderen Figuren schweigen, wirkt mit der Zeit zunehmend absurd bis geradeheraus komisch – gerade wenn Ehefrau Saya ihrem distanzierten Ehemann zum wiederholten Mal nur mit großen Augen Blicke zuwirft oder SMS-Nachrichten schreibt. Wenn die Kamera Cop Dennis Vassel (Scott Mescudi) einfängt, wie er dem angehenden Rächer einfach nur nachschaut, nachdem dieser gerade gemütlich die Verbrecherfotos im Polizeirevier abfotografiert hat, darf man zumindest rätseln: Was soll uns dieser Blick sagen? Will er ihn zur Rede stellen, aber versagt ihm die Stimme? Oder freut er sich gar, dass endlich jemand aufräumt, weil die Polizei in der US-Vorstadt (gedreht wurde allerdings in Mexiko) überfordert ist?
Dass die Gangster im Finale auch einfach darauf verzichten, miteinander verbal zu kommunizieren und sich bei ihrem Vorgehen nur auf anderen Wegen sehr notdürftig abstimmen, untergräbt dann sogar aktiv die Spannung. Das übergestülpt wirkende Null-Dialog-Konzept wird übrigens nicht einmal ganz konsequent durchgezogen. So sorgen nicht nur Textnachrichten dann doch für Kommunikation zwischen den Figuren, sondern es wird auch gesprochen - zum Beispiel im Radio und im Polizeifunk, wo dann jeweils recht banal Wissen für das Publikum vermittelt wird. Und Saya darf dann sogar doch mal in zwei Halbsätzen ihre Gefühle artikulieren. Allerdings murmelt die einst für „Maria voll der Gnade“ oscarnominierte Catalina Sandino Moreno in diesem Moment nur so leise vor sich hin, dass man es fast überhört. Zählt so vielleicht nicht richtig.
Dass „Silent Night“ trotzdem noch durchschnittlich und so nicht nur für Woo-Komlettist*innen sehenswert ist, liegt an dem Action-Maestro, der in einigen Highlight-Szenen nicht nur seine Klasse beweist, sondern auch neue Seiten zeigt: Weil der von Joel Kinnaman überzeugend verkörperte Brian eben ein Jedermann und kein Profi ist, hat der „Mission: Impossible 2“-Regisseur den Schusswechseln und Kämpfen ganz bewusst jede Eleganz genommen. Hier fightet sichtlich ein wild-rasender Mann, der alles nutzt, was ihm gerade zur Verfügung steht, und sein weniges „Wissen“ aus irgendwelchen Internetvideos hat.
Bei einer Auseinandersetzung in Garage und Küche hauen und stechen Brian und ein Kontrahent so mit wirklich allem aufeinander ein, was ihnen in die Hände fällt – bis hin zur Waschmaschinentür. Während eine rasante Autoverfolgungsjagd ebenfalls überzeugt, erweist sich ein Kampf über mehrere Stockwerke in einem Treppenhaus als absolutes Highlight von „Silent Night“. Wenn sich Brian hier in einem mehrere Minuten langen One-Take durch die Gegner metzelt, beweist Woo, dass er zwar viele Action-Expert*innen von heute maßgeblich beeinflusst hat, zugleich aber auch selbst Lust daran hat, sich am modernen Genre-Kino zu probieren: „John Wick“, „The Raid“ oder „Extraction“ lassen grüßen!
Fazit: John Woo kann auch mit 77 Jahren noch Action – nur darf er diese Qualität in „Silent Night – Stumme Rache“ zu selten unter Beweis stellen. Stattdessen dominiert über weite Strecken das langweilige Drehbuch – und auch der fast konsequente Verzicht auf Dialoge ist am Ende weniger Alleinstellungsmerkmal als Klotz am Bein.