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    Dreamin' Wild - Ein Leben für die Musik
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Dreamin' Wild - Ein Leben für die Musik

    Rockstars mit 30 Jahren Verspätung

    Von Christoph Petersen

    In der Malerei kommt es andauernd vor, dass Künstler*innen erst mit Verspätung oder gar erst (lange) nach ihrem Tod von der breiten Öffentlichkeit „entdeckt“ werden. Auch bei Komponist*innen soll das schon vorgekommen sein. Aber in der Rockmusik? Klingt absurd, aber es gibt ein populäres Beispiel, das auch noch gar nicht so lange zurückliegt. Basierend auf einem Magazin-Artikel von Steven Kurutz, erzählt Regisseur und Drehbuchautor Bill Pohlad in seinem dritten Spielfilm „Dreamin‘ Wild“ die unglaubliche verspätete Erfolgsgeschichte der Emerson-Brüder, die sich zwar wie ein Märchen anfühlt, aber – dank leidenschaftlicher Plattensammler und dem Shoutout eines TV-Superstars – tatsächlich so passiert ist.

    Ende der 1970er Jahre wachsen der musikalisch schwer talentierte 15-jährige Donnie Emerson (Noah Jupe) und sein zwei Jahre älterer Bruder Joe (Jack Dylan Grazer) auf der väterlichen Farm im ländlichen Fruitland, Washington auf. Aber anders als in vielen anderen Geschichten dieser Art, in denen die Eltern alles tun, um ihren Kindern den „schwachsinnigen“ Wunsch von der Musikkarriere wieder auszureden, unternimmt Don Sr. (Beau Bridges) wirklich alles, um seinen Söhnen ihren Traum zu ermöglichen: Er zimmert auf der Familienfarm nicht nur ein professionelles Tonstudio für sie zusammen, er setzt auch seinen gesamten Grundbesitz aufs Spiel, um das Geld für die Plattenproduktion zusammenzubekommen.

    Aber es hilft alles nichts. Das Album „Dreamin‘ Wild“ interessiert niemanden – und auch Donnies Versuche, eine Solo-Karriere zu starten, verlaufen im Sande. Erst 30 Jahre später stößt ein Sammler in einem Antiquariat auf die Patte – und schwärmt in den folgenden Jahren so leidenschaftlich von der Musik, dass sich langsam ein regelrechter Kult um sie entwickelt. Davon ahnen Donnie (nun Casey Affleck) und Joe (Walton Goggins) allerdings nichts, als sich plötzlich ein Retro-Musik-Produzent bei ihnen meldet und die Platte neu auf den Markt bringen will. Von hier aus sind es nur noch wenige Monate, bis Jimmy Kimmel das Stück „Baby“ im TV zu seinem aktuellen Lieblings-Song erklären wird…

    Nach der ersten Freude gerät Donnie Emerson (Casey Affleck) ob des verspäteten Erfolgs ganz schön ins Grübeln.

    Da klopft plötzlich jemand an die Tür, um einen zum Star zu machen und dafür auch noch (viel) Geld zu bezahlen. Und das Beste ist: Man muss noch nicht einmal etwas dafür tun, weil man alles dafür nötige bereits vor mehr als 30 Jahren als Teenager fertiggebracht hat. Das klingt doch nach einem Sechser im Lotto – und man fragt sich nach den ersten 20 Minuten von „Dreamin‘ Wild“ durchaus, was denn da jetzt überhaupt noch gut eineinhalb Stunden lang kommen soll? Es ist schließlich alles Eitelsonnenschein. Aber wie Bill Pohlad, der zuletzt mit dem Beach-Boys-Biopic „Love & Mercy“ einen echten Arthouse-Hit gelandet hat, mit viel Empathie speziell für die Künstlerseele Donnie herausarbeitet, sind Gefühle dann eben doch weitaus komplexer:

    Schließlich hat Donnie auch nach „Dreamin‘ Wild“ noch jahrzehntelang Musik gemacht – und zwar nicht mit seinem Bruder, der sich stattdessen handwerklicher Arbeit zugewandt hat, sondern mit seiner Frau Nancy (Zooey Deschanel), die auch zweifelsfrei eine viel bessere Musikerin ist als der gutherzige, immer optimistische Joe, der das Schlagzeug bestenfalls auf einem gehobenen Amateur-Level beherrscht. Aber waren all die Songs und all die Arbeit womöglich gar nichts wert, nun wo die Menschen da draußen zwar endlich die Musik des Fünfzigjährigen hören wollen, nur eben nicht seine aktuelle, sondern die, die er als Teenager aufgenommen hat?

    Eine ganz wundervolle Familie

    Das kann man schon alles irgendwie nachvollziehen – aber ein wenig forciert wirken die Konflikte gerade in ihrer Ausführlichkeit trotzdem. Als hätte man da diese unglaublich charmante, regelrecht märchenhafte wahre Geschichte gefunden – nur gibt diese eigentlich gar nicht genug her, um daraus einen fast zweistündigen Spielfilm zu formen. Trotzdem bleibt „Dreamin‘ Wild“ sehenswert – und das liegt vor allem an dem zutiefst bewegenden, absolut glaubhaften Familienbund, den das Darsteller-Trio Casey Affleck (Oscar für „Manchester By The Sea“), Walton Goggins („The Hateful 8“) und speziell Beau Bridges („Die fabelhaften Baker Boys“) hier formen.

    Bill Pohlad inszeniert seinen Film zum Glück nicht als grelle oder gar kitschige Rock’n’Roll-Cinderella-Story, sondern so bodenständig und zurückgenommen, wie man es sich nur vorstellen kann. Es sind eben nicht wie sonst junge Hüpfer, sondern lebenserfahrene Männer, die hier quasi über Nacht berühmt werden. Ein Reporter der New York Times kommt auf die Farm und die Brüder treten ein einziges Mal vor größerem Publikum in Seattle auf. Aber ansonsten kommt der Hype und der Medienrummel nur vor, wenn ihr Produzent ihnen davon erzählt – Internet benutzt in Fruitland nämlich niemand. Der überwiegende Teil von „Dreamin‘ Wild“ spielt deshalb auch nach dem späten Durchbruch auf der elterlichen Farm, wo selbst in einer finanziell extrem angespannten Situation immerzu eine solch wohlige familiäre Wärme herrscht, dass man sich da am liebsten gemeinsam mit Donnie, Joe und ihrem Vater auf die Veranda setzen würde.

    Nur macht das „Dreamin‘ Wild“ in seinen dramatischen Konflikten auch nicht unbedingt überzeugender…

    Fazit: Ein wirklich wahres Rock’n’Roll-Märchen, das vor allem dank der bodenständigen Inszenierung von Bill Pohlad und der grüblerischen Performance von Casey Affleck auch auf der Leinwand zu Herzen geht, ohne dabei (zu sehr) ins Kitschige abzugleiten.

    Wir haben „Dreamin‘ Wild“ beim Filmfestival in Venedig gesehen, wo er außer Konkurrenz im offiziellen Programm seine Weltpremiere gefeiert hat.

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