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    Buba
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Buba

    Die unwahrscheinlichen Ereignisse im Leben von Jakob Otto

    Von Sidney Schering

    Die temporeiche Serie „How To Sell Drugs Online (Fast)“ gehört zu den populärsten Netflix-Projekten aus Deutschland. Das ist wohlverdient, überzeugen die drei Staffeln doch mit launigen Dialogen, selbstbewusst eingestreuten Jugend- und Popkultur-Referenzen, sowie einer kreativen, lebhaften Inszenierung. Unter den vielen Charakterköpfen kristallisierte sich der von Bjarne Mädel gespielte, einfältige Drogendealer Jakob Otto alias Buba als besonders beliebt heraus. Dumm nur, dass der sich bereits am Ende der ersten Staffel versehentlich selbst erschießt…

    Aber wo ein Wille ist, ist auch ein Weg, mehr vom Publikumsfavoriten zu erzählen: Mit „Buba“ bekommt der sonderbare Szenendieb nun sein eigenes Prequel in Spielfilmform spendiert. Ein Clou, der einen besseren Ausgang nimmt als das Leben seines Titelhelden. Denn mit ihrer neusten Zusammenarbeit gelingt es Mädel und seinem „Tatortreiniger“-Regisseur Arne Feldhusen, der Vorlage gerecht zu werden und im selben Moment dennoch einen erfrischend-eigenen Dreh zu finden.

    Jakob Otto (Bjarne Mädel) lässt sich nicht nur außen am ganzen Körper tätowieren ...

    Jakob Otto (Bjarne Mädel) wurde schon in frühster Kindheit eingebläut, dass alles Gute unmittelbar zu Schlechtem führt. Daher fühlt er sich auch für den Unfalltod seiner Eltern verantwortlich, der parallel zum größten Erfolgsmoment seines Lebens geschah. Damit wenigstens sein Bruder Dante (Georg Friedrich) Erfolg im Leben haben kann, gestaltet Jakob fortan seinen eigenen Alltag denkbar unbequem. Dieses System der Selbstpeinigung geht lange gut – bis er zufällig seiner alten Flamme Jule (Anita Vulesica) begegnet. Nun muss er sich zwischen potenziellem Liebesglück und dem Wohlbefinden seines Bruders entscheiden. Der plant derweil, mit Hilfe einer vermeintlichen Albaner-Bande von der Kleinkriminalität zum organisierten Verbrechen aufzusteigen...

    Wann immer ein Prequel scheitert, heißt es: „Man weiß halt eh von Anfang an, wie es ausgeht!“ Diese Erklärung greift aber zu kurz. Schließlich gibt es zahlreiche starke Geschichten, deren Ausgang unmissverständlich vorherbestimmt ist. Dennoch liegt der Standardkritik ein Körnchen Wahrheit inne: Viele Prequels beginnen nämlich mit austauschbaren Figuren, die erst gen Ende zu ihrem denkwürdigen Ich heranwachsen – öde, wenn man doch schon weiß, was man da stattdessen haben könnte! Sebastian Colley und Isaiah Michalski umgehen in ihrem „Buba“-Skript diese Probleme, indem sie Jakob von Beginn an als faszinierend-seltsamen Kerl skizzieren, der allerdings noch auf andere Weise verschroben ist, als wir es aus „How To Sell Drugs Online (Fast)“ kennen.

    Ein Bösewicht wie aus einem Disney-Film

    Im Verlauf der Geschichte verformen die Ereignisse seine Persönlichkeitszüge und Angewohnheiten, bis er als der planlose, schluffige und trotzdem durchaus bedrohliche Verbrecher mit Spitznamen Buba zurückbleibt. Das gibt dem einmal mehr hervorragend aufspielenden Bjarne Mädel („Stromberg“) die Möglichkeit, im bereits etablierten Gewand neue humoristische Seiten aufzuziehen: In „Buba“ erweist sich der Kriminelle eingangs als überaus aufopferungsvoll, zugleich auch unfassbar naiv, leichtgläubig und beeinflussbar. Wie Jakob mit bubenhaftem Lächeln absichtlich miese Entscheidungen trifft, um sich aus Liebe zu seinem Bruder zu peinigen, ist absurd-komisch. Der unbedarft-naive Duktus, in dem Mädel seine Figur sprechen lässt, hat in Kombination mit seinem Hundeblick zudem einen grotesk-schwermütigen Effekt: Man will glatt in den Bildschirm greifen und den Noch-nicht-Schurken schütteln, bis sich sein Aberglauben aus seinem Oberstübchen löst.

    Er mag sich einreden, dass ihn seine Qualen mit Zweck erfüllen, doch nicht nur der gesunde Menschenverstand zeigt uns auf, dass er es mit „Bescheidenheit ist eine Zier“ maßlos übertreibt. Wir wissen schließlich, wie fatal sein Weg enden wird. Der nölige Rapport zwischen brüderlichem Sündenbock und Nutznießer verleiht diesem Pfad ins Verderben zusätzlich Reiz: Georg Friedrich spielt Dante mit seinem ihm typischen Wiener Schmäh und sonnt sich im arroganten Schimmer einzelner, genüsslich langgezogener Worte. Und die Herzlosigkeit, mit der er die Selbstfolter seines Bruders als dessen Verpflichtung auffasst, macht ihn zu einem selbstgefälligen Fiesling, wie er sonst oft in Disney-Zeichentrickfilmen aufkreuzt. Was Dante wohl als Kompliment auffassen würde.

    ... sondern hält für seine ständige Selbstkasteiung auch das Innere seiner Lippe hin.

    Obwohl Jakob mehrmals betont, die mahnend endenden, urdeutschen Märchen den Happy-End-Disney-Produktionen vorzuziehen, kennen sich die Brüder recht gut mit dem Haus der Maus aus: Jakob träumt davon, das kalifornische Disneyland zu besuchen, um den Yeti Harold zu sehen, der in der altmodischen Matterhorn-Bahn residiert (die er fälschlich als topaktuelle Mount-Everest-Achterbahn bezeichnet – allzu belesen ist er dann doch nicht). Dante wiederum führt Monologe über Walt Disneys an Gasvergiftung verstorbene Mutter Flora, philosophiert über tote Eltern im Disney-Schaffen, und kann aus dem Stegreif C-Klasse-Ware wie „Bambi 2“ zitieren.

    In „Buba“ haben halt alle Figuren ihre verschrobenen Träume und Eskapismus-Favoriten – durchschaubare Fake-Albaner etwa wollen authentische Fake-Albaner werden, inklusive Traumhochzeit. Die mit „Struwwelpeter“-Schockpädagogik und Heinrich-Müller-Protestantismus („Lieber mit Jesu geweint als mit der Welt gelacht. Beim Lachen wird man Jesus nicht finden.“) erzogenen Brüder hingegen haben Disney-Randphänomene als Guilty Pleasures und wollen mittelgroße Kriminelle werden.

    Das Beste aus den Siebzigern, Achtzigern & Neunzigern

    Diese Charakterisierungen führen nicht nur zu wunderbar spröden, beiläufig-exzentrischen Dialogen, sondern werden auch inszenatorisch treffend unterstrichen: Feldhusen behält die Verspieltheit aus „How To Sell Drugs Online (Fast)“ bei, passt sie allerdings den Figuren an. Weg mit der jugendlichen Unruhe und dem multimedialen Rausch des Internetzeitalters. Her mit zugemüllten Schauplätzen, in denen verstaubter Nachkriegsmuff und angehäufter 70er-, 80er- und 90er-Jahre-Nippes kollidieren. Her mit 4:3-Rückblenden, grobkörnigen Filmpassagen, siffigen Bildrändern und surrealen Traumsequenzen, die Vintage-Western-Serien mit dem Look bizarrer, osteuropäischer Trickfilme verschmelzen lassen.

    Selbst, wenn in „Buba“ bloß Alltag vorherrscht, erzeugen Feldhusen und der begnadete Kameramann Yoshi Heimrath („Berlin Alexanderplatz“) eine illustrative Bildsprache, insbesondere in abendlichen und nächtlichen Sequenzen: Das Geschehen ist nicht gerade reich an Farbvielfalt, doch ein paar markante Kontrasträume brechen den gleich-gleichen Anblick regelmäßig auf, so wie Jakob ein Licht am Ende des Tunnels seines monotonen, geschundenen Leben erahnt. Dass das, was er für einen Hoffnungsschimmer hält, letztlich nur die Scheinwerfer eines sinnbildlichen, auf ihn zurollenden Lasters sind, kann er ja nicht ahnen.

    Buba ist sich sicher: Damit sein Bruder Dante (Georg Friedrich) möglichst gut leben kann, muss er selbst so viel wie möglich leiden!

    Wie könnte man dem Prequel-Gegenargument der Vorhersehbarkeit besser entgegnen als mit einer Geschichte, die selbst über den Reiz von glücklichen und tragischen Enden sinniert? Der Film eröffnet mit Bubas unrühmlichem Ende, es folgt eine lange Rückblende. Wie der Todgeweihte im Erzählkommentar sowie in den Dialogen wiederholt von Geschichten schwärmt, in denen die Hauptfigur stirbt, ist voll von bitterer Ironie, die konsequent ausgekostet wird. Bubas schleichend zunehmende Toleranz gegenüber Disneys Märchen-Erzählweise setzt dem eine pointiert-zynische Wende obendrauf:

    Er mag sich später als Held seiner eigenen Geschichte sehen und sukzessiv erkennen, dass er Glück verdient hat. Aber sein Pfad der illegalen Selbstbestimmung lässt ihn zum Widersacher der moralisch auf vergleichbar wackligem Fuße stehenden „How To Sell Drugs Online (Fast)“-Helden werden. Buba muss sterben, damit deren Geschichte glücklich ausgehen kann. Was also ist „Buba“? Ein drakonisches, altdeutsches Märchen ohne frohen Ausgang? Immerhin stirbt der lang geschundene Titelheld bei einem dummen Unfall. Oder ein disneyfiziertes Märchen, in dem das Gute obsiegt? Schließlich zieht sich der böse Mann selber aus dem Verkehr (und erspart damit den Guten das moralische Dilemma, aus Notwehr zu töten). Wahrscheinlich einfach beides.

    Fazit: „Buba“ ist ein stilistisch einfallsreich in Szene gesetztes Kleingangster-Märchen, in dem Bjarne Mädel und Georg Friedrich markant und gewitzt aufspielen. So gelingt es, dass man als Zuschauer*in rückwirkend einer albern-fiesen Serienfigur nachtrauert.

     

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