Wenn Altersweisheit auf Alien trifft
Von Gaby SikorskiWenn Aliens im Kino auf der Erde landen, dann hat das – rein filmhistorisch betrachtet – meist nichts Gutes zu bedeuten. Aber in den seltenen Fällen, wo es doch mal gut ausgeht, wenden sich die außerirdischen Besucher*innen meist an Kinder – wie in Steven Spielbergs „E.T. – Der Außerirdische“. Schließlich ruft der Nachwuchs in der Regel nicht sofort die Polizei oder das Pentagon, sondern bieten uneigennützig ihre Hilfe an.
Aber wie sieht’s aus, wenn ein Alien statt auf kindliche Unschuld auf die geballte Lebenserfahrung eines knurrig-knorrigen Senioren trifft? „A Great Place to Call Home“ stellt diese Frage und beantwortet sie in Form einer sanften, liebenswürdigen Komödie. „Puzzle“-Regisseur Marc Turtletaub kann sich dabei ganz auf seinen großartigen Hauptdarsteller sowie ein ziemlich raffiniertes Drehbuch verlassen. Das Ergebnis ist eine ebenso lässige wie atmosphärisch dichte Provinzposse.
Boonton ist eine grottenlangweilige Kleinstadt im Osten der USA, die man am liebsten im Rückspiegel betrachtet. Hier wohnt Milton (virtuos: Ben Kingsley) ganz allein in einem riesigen Haus ein wenig außerhalb des eigentlich ja sowieso nicht vorhandenen Zentrums. Der bärbeißige Senior hält sich fit, indem er regelmäßig zu den Bürgerversammlungen ins Rathaus läuft, wo er stets dieselben Anträge einbringt, die dann aber doch immer abgelehnt werden. Milton führt ein verstörend eintöniges Leben und hat eigentlich nur zu seiner Tochter Kontakt, die ab und zu mal vorbeischaut.
Eines Nachts entdeckt Milton ein UFO, das in seinen sorgsam gepflegten Garten gestürzt ist – mitten in die prachtvollen Azaleenbüsche! Doch damit nicht genug: Ein bleiches Alien (Jade Quon in einer bilderbuchmäßigen Alien-Maske) rettet sich aus dem Raumschiff auf die Terrasse. Milton lässt den stummen Besucher bei sich wohnen und päppelt ihn so weit wie möglich wieder auf. Dabei bleibt er stets vollkommen gelassen. Mit der entwaffnenden Selbstverständlichkeit eines ehrlichen Menschen erzählt er im Supermarkt und auf der nächsten Bürgerversammlung von seinem neuen Mitbewohner, aber niemand glaubt ihm. Stattdessen halten ihn alle für dement…
Marc Turtletaub hat sich bislang vor allem als Produzent einen Namen gemacht – u.a. von so wunderbaren Filmen wie „Little Miss Sunshine“ und „The Farewell“. Beide Komödien sind ungemein liebevoll – haben aber immer auch einen herausstechenden Hang zur Verrücktheit. Auch „A Great Place To Call Home“, Turtletaubs erst zweite Regiearbeit, lebt von dieser unverwechselbaren Kombo. Dabei spielt die Geschichte ziemlich geschickt mit der Möglichkeit, dass sich Milton das Ganze doch nur ausgedacht hat und das Alien nur in seiner Fantasie existiert. Die leise Komik resultiert dabei aus einem Mix aus angestaubtem Kleinstadt-Mief, leicht rebellischer Altersweisheit und einer liebenswürdigen, angenehm durchgeknallten Grundstimmung.
Letztere ergibt sich aus der Begegnung zwischen einem zarten Alien mit einer Vorliebe für frische Äpfel und einem alten Mann, der schon damit zufrieden ist, wenn ihm jemand schweigend beim Fernsehen Gesellschaft leistet. Oscarpreisträger Ben Kingsley („Gandhi“) macht das richtig toll – seine schauspielerische Leistung ist ebenso unauffällig wie brillant, denn er entwickelt Milton zu einem facettenreichen Charakter, der immer liebenswerter wird, auch weil er seine Macken nicht zur Schau stellt, sondern mit ihnen zu leben gelernt hat. Seine Geduld und seine Toleranz beruhen nicht auf Naivität, sondern auf lebenslangen Erfahrungen. Jade Quon hat als Alien hinter der beinahe unbeweglichen Gesichtsmaske wenig schauspielerische Möglichkeiten. Trotzdem verleiht sie dem sprachlosen Alien neben einer geschlechtslosen Eleganz auch einen geheimnisvollen Touch, der es interessant und spannend macht.
Man kann sich kaum dagegen wehren, in diese ruhige und mit sanftem Humor erzählte Geschichte über Freundschaft, Humanität und den Kampf der Senior*innen gegen die Einsamkeit hineingezogen zu werden. Zudem zündet die Story bei aller Freundlichkeit auch als ebenso kluge wie witzige Abrechnung mit einer Gesellschaft, die älteren Menschen mit Ignoranz und Geringschätzung begegnet. Es geht also auch um Akzeptanz und Verständnis – nicht nur für Aliens und ihre Bedürfnisse. Die Älteren werden in Boonton zwar nicht direkt ausgelacht, aber sie werden auch nicht ernst genommen. Und die Botschaft ist ziemlich klar: Boonton ist zwar eine Kleinstadt im Osten der USA, aber zumindest in dieser Hinsicht auch absolut typisch für den Rest der Welt.
Fazit: „A Great Place To Call Home“ verspricht ein kleines, feines Kinoerlebnis, das lange nachwirkt – intelligente und humorvolle Unterhaltung mit Tiefsinn. Vielleicht sollte man ab sofort einfach öfter mal in den Himmel blicken, um nachzusehen, ob gerade ein Alien vor der Haustür landet. Und wenn ja, dann sollte man sich am besten wie Milton die absolute Ruhe und Gelassenheit bewahren.