Salvador Dalí und die Swingenden Siebziger
Von Ulf LepelmeierSalvador Dalí ist als zentraler Vertreter des Surrealismus, der sich in allen erdenklichen Kunstfeldern austobte und im ganz großen Rahmen vermarktet wurde, einer der bekanntesten Kunstschaffenden des 20. Jahrhunderts. Sein ausschweifendes Leben und seine außergewöhnliche Karriere bieten zahlreiche Ansatzpunkte für eine Verfilmung, angefangen von den Hintergründen zu seinen ikonischen Werken, seiner exzentrischen Person bis hin zur hochkomplexen Beziehung zu seiner Ehefrau Gala. Regisseurin Mary Harron („American Psycho“) konzentriert sich in „Dalíland“ auf die 1970er Jahre, in denen Dalís scheinbar unerschütterliche Bindung zu Gala zu zerbrechen drohte.
Eine Spätphase im Leben Dalís, in welcher er schon lange einer der bekanntesten Künstler weltweit war, aber seine Glanzzeit bereits hinter sich hatte und mit seinem Alter und der Endlichkeit des Lebens haderte, gleichzeitig aber immer noch ein exzessives Dasein führte. Das Biopic erzählt von Dalís selbsterschaffener Glitzerwelt aus der Sicht des jungen Kunsthochschulabsolventen James, der unverhofft in den inneren Wirkungskreis des Malers hineingezogen wird. Doch während die Künstlerwelt und das von Sir Ben Kingsley und Barbara Sukova dargestellte Ehepaar faszinieren, bleibt „Dalíland“ erzählerisch überraschend konventionell und ohne wirklichen Fokus.
Die komplexe Beziehung von Salvador (Ben Kingsley) und Gala (Barbara Sukowa) steht im Zentrum von „Dalíland“.
New York, 1973: Der 70-jährige Surrealist Salvador Dalí (Ben Kingsley) verbringt zusammen mit seiner Frau Gala (Barbara Sukowa) und seiner Entourage ein paar Monate im luxuriösen St. Regis Hotel in New York. Seine größten Erfolge liegen bereits etwas zurück und zunehmend machen ihm sein Alter und die fragile Beziehung zu seiner Ehefrau zu schaffen, die sich immer stärker ihren jüngeren Liebschaften widmet.
Als Dalís Galerist Christoffe (Alexander Beyer) seinen jungen Assistenten James Linton (Christopher Briney) damit betraut, Geld ins Hotel zu bringen, verpasst Dalí ihm den Spitznamen „San Sebastian“ und bittet darum, sich den frischgebackenen Kunsthochschulabsolvent für die Vorbereitungen zu einer anstehenden Ausstellung ausleihen zu dürfen. So wird der hübsche 19-Jährige, der auch Gala sogleich ins Auge fällt, kurzerhand zum persönlichen Assistenten Dalís und erlebt hinter den Kulissen der Kunst ein wildes Abenteuer…
Man merkt „Dalíland“ an, dass Regisseurin Mary Harron, persönlich daran gelegen war, vor allem das New York der 1970er Jahre, das sie mit 22 Jahren selbst als Ort der Exzesse, Entdeckungen und Möglichkeiten erlebte, möglich akkurat wiederzuerwecken: Ihr gelingt es, das Lebensgefühl der Siebziger und insbesondere die exklusive Lebenswelt der Dalís gelungen einzufangen. Auch die Darstellung der explosiven Beziehung zwischen Salvador und Gala weiß zu überzeugen. Immer wenn Sir Ben Kingsley („Gandhi“) und Barbara Sukova („Lola“) zu sehen sind, ziehen sie die Aufmerksamkeit direkt auf sich. Beide haben sichtlich Spaß daran, bei der Verkörperung der hochexzentrischen Eheleute aufzudrehen. Ihre gemeinsamen Szenen sind dabei stets von einer großen Dynamik und Spannung geprägt. So lassen sie ein angespanntes Knistern zwischen Vorwurf, Eifersucht und einer immer noch inneren Verbundenheit spürbar werden.
Allerdings stellen sie Dalí und Gala auch hochhysterisch und damit am Rande der Karikatur dar. Wenn Gala ihren Ehemann anschreit und strikt zurechtweißt, dass nun Bilder entstehen müssen und alle Partys untersagt seien, wirkt das wie eine Mutter, die einen über die Stränge schlagenden Jugendlichen mal richtig zusammenfaltet. Als Dalí sich in den Finger schneidet und aufgelöst sogleich von einer Blutvergiftung und einer Amputation faselt, muss sich Gala um ihn kümmern, als sei er ein kleines Kind. Beide Szenen sind von absurder Komik erfüllt, verdeutlichen aber auch die Abhängigkeit des angeschlagenen Künstlers von seiner Frau, die beim Finanziellen ebenfalls alle Fäden in ihren Händen hält.
Die Figur von Assistent James (Christopher Briney) wurde zwar extra für den Film erfunden – schafft es aber trotzdem nie, aus dem großen Schatten Dalís herauszutreten.
Kingsley findet die richtige Mischung zwischen der selbst vom Künstler geschaffenen Kunstfigur Dalí, die nur in der dritten Person von sich spricht und sich als einmaliges Genie zelebriert, sowie einem todesängstlichen alten Mann, der seine Frau in keinem Fall verlieren kann. Sukova stellt die von Zeitzeugen vor allem als unangenehm und herrschsüchtig dargestellte Gala zwar als hysterische und lüsterne Diva da, schafft es aber trotzdem, auch eine Person erahnbar zu machen, die für ihren Ehemann immer noch etwas empfindet und ihr ganzes Leben voller Passion seinem Genie gewidmet hat (und wohl auch immer noch widmen will).
Werk und Wirken spielen in „Dalíland“ hingegen eine untergeordnete Rolle, was auch sicherlich daran liegt, dass die Gala-Salvador Dalí Foundation für das Projekt kein grünes Licht gab und die Darstellung seiner Kunstwerke damit untersagt wurde. Spannende visuelle Einfälle mit surrealem Einschlag darf man in Mary Harrons Film ebenfalls nicht erwarten. Am ehesten finden sich solche Ansätze noch in den drei Rückblenden wieder, in denen der alternde Künstler und der junge Galerist zusammen beobachtend neben dem jungen Dalí (Ezra Miller) erscheinen. Diese besonderen Visualisierungen von zentralen Momenten des Künstlerpaares, etwa deren erstes Aufeinandertreffen, verdeutlichen die bewegte Vergangenheit von Dalí und Gala, wirken aber in ihrer besonderen Hervorhebung fast schon deplatziert.
Erzählerisch verfolgt „Dalíland“ einen ähnlichen Ansatz wie „Almost Famous“ oder „My Salinger Year“ – und wird dementsprechend komplett aus der Sicht des jungen Galerieassistenten James erzählt. Da Harron und Drehbuchautor John C. Walsh das Verhalten von Dalí und Gala offenbar für zu weltfremd erachteten, um es einfach so stehen zu lassen, entschieden sie sich dazu, eine fiktive Hauptfigur in ihren Film einzubauen, um eine Bezugsperson zu haben, die das Publikum in das abstruse Künstlerleben mitnimmt: Ausgehend von dem Wissen, dass sich die Dalís in den Siebzigerjahren beständig mit gutaussehenden jungen Männern und Frauen umgaben, erdachten sie einen gerade erst mit der Arbeit startenden Kunsthochschulabsolventen. James, der von Dalís Entourage nur noch Sebastian genannt wird, bekommt dabei immer wieder gespiegelt, dass er nicht wirklich von Belang für den Künstler und seine Frau ist und über die Jahre schon zahlreiche junge Männer kamen und gingen, die ebenfalls mit diesem Namen angesprochen wurden.
Seine Austauschbarkeit ist dabei leider nicht nur für die Dalís, sondern auch für den Film gegeben. Im Gegensatz zu den anderen schillernden Persönlichkeiten bleibt Christopher Briney als James bzw. Sebastian einfach zu blass. Er erfüllt die Funktion, den Zuschauer in die Welt der Dalís einzuführen und gemeinsam mit ihnen über deren Leben und Umgang miteinander zu staunen, aber nicht die eines wirklichen Protagonisten. Scheint er doch in dem Zirkel der Schönen, Reichen und Kunstschaffenden unterzugehen. Die Avancen Galas ihm gegenüber werden nicht weiterverfolgt und auch seine eigene kurze Liebschaft mit It-Girl Ginesta (Suki Waterhouse) bleibt ohne emotionale Tiefe. Insgesamt hätte auch ein stärkerer thematischer Fokus dem Film gutgetan. Nicht nur mäandert „Dalíland“ im Leben des großen Künstlers hin und her, auch die immer wieder angeschnittene Beziehung zwischen Kunst und Geld sowie einem Fälschungsskandal, der nur zum Ende hin eine Rolle spielt, sind nicht konsequent genug ausgearbeitet.
Fazit: „Dalíland“ lässt sein Publikum an der immer noch rauschhaften Spätphase im Leben des legendärsten aller Surrealisten teilhaben. Das besondere Spannungsverhältnis zwischen Dalí und Gala weiß zu begeistern und zu unterhalten, doch eine stärkere Fokussierung und eine charismatischere Hauptfigur hätten dem Film trotzdem gutgetan.
Wir haben „Dalíland“ beim Filmfest München 2023 gesehen, wo er in der Reihe Spotlight zu sehen war.