Eine epische Neuverfilmung der wohl besten Rachegeschichte aller Zeiten
Von Michael MeynsLiebe, Rache, Intrigen, Komplotte: Das ist die Essenz von „Der Graf von Monte Cristo“, einem der berühmtesten Romane der französischen Literaturgeschichte, der im Laufe der Kinohistorie schon oft verfilmt wurde. Jean Marais, Richard Chamberlain oder Gérard Depardieu spielten bereits die von Alexandre Dumas erdachte Titelfigur, nun schlüpft Pierre Nimey („Black Box“) in einer schwelgerisch ausgestatteten, episch langen Neuverfilmung in die Rolle. Mehr als 40 Millionen Euro teuer war das Prestigeprojekt der französischen Filmindustrie – und das sieht man auch: Das Regie-Duo Matthieu Delaporte and Alexandre de La Patellière schöpft aus dem Vollen und inszeniert einen sehr altmodischen, aber auch sehr unterhaltsamen Abenteuerfilm, in dem weniger die Action als das Melodrama im Mittelpunkt steht.
Der junge Seefahrer Edmond Dantès (Pierre Niney) kehrt in seinen Heimathafen zurück. Wir schreiben das Jahr 1815, Napoleons Flucht vom Exil auf Elba bedroht die Republik, jede Nähe zum Kaiser kann das Ende der Karriere oder sogar des Lebens bedeuten. Gerade wenn man wie Edmond mächtige Feinde hat und zudem selbst aus ärmlichen Verhältnissen stammt und nur dank der Güte der reichen Familie Morcef die Chance zum gesellschaftlichen Aufstieg bekam. Just in dem Moment, als Edmond mit seiner Jugendliebe Mercedes (Anaïs Demoustier) vor dem Altar steht, wird er wegen eines angeblichen Hochverrates verhaftet.
Auf der Gefängnisinsel Chateau d’If wird Edmond in einen finsteren Kerker geworfen. Es dauert Jahre, bis sein Zellennachbar Abbé Faria (Pierfrancesco Favino) einen Tunnel zu Edmonds Zelle gegraben hat. Zum ersten Mal Hoffnung: Nicht nur eine Flucht scheint plötzlich möglich (selbst wenn sie noch jahrelanges Buddeln erfordert). Faria ist auch der letzte Nachkomme der Tempelritter und weiß, wo sich deren legendärer Schatz befindet. Doch Faria warnt Edmond: Will er seinen Reichtum einsetzen, um Gutes zu tun – oder um sein Bedürfnis nach blutiger Rache zu stillen?
Gut 300 Romane schrieb Alexandre Dumas im Laufe seiner Karriere, zu den bekanntesten zählt neben „Die drei Musketiere“ auch „Der Graf von Monte Cristo“, der zwischen 1844 und 1846 als Fortsetzungsroman erschien. Diese damals übliche Form der Publikation ist vielleicht auch ein Grund für die enorm komplizierte Handlung, die immer neue Volten schlägt, und die Figuren auf teils abenteuerliche Weise in Verbindung stellt. Man könnte so einen Fortsetzungsroman mit einer modernen Serie wie „Lost“ vergleichen, in der im Lauf der Staffeln so viele Hinweise gestreut werden, dass es am Ende kaum noch möglich ist, alle Fäden zu einem runden Ende zu bringen. Sehr modern wirkt Dumas Roman deshalb in gewisser Weise.
Für ihre Neuadaption haben Matthieu Delaporte and Alexandre de La Patellière, bislang vor allem bekannt für die Komödie „Le Prénom“, die in Deutschland als „Der Vorname“ neu verfilmt wurde, den Roman verdichtet und auf die Hauptfiguren fokussiert. Trotzdem sind in der ersten Stunde weiterhin viele Zeitsprünge notwendig, um von den komplizierten Intrigen und Edmonds langer Inhaftierung zu erzählen. Der Hauptteil des Films spielt Mitte der 1830er Jahre, fast 20 Jahre älter ist Edmond inzwischen. Dass ihn weder seine große Liebe Mercedes noch seine Widersacher erkennen, liegt an Einsatz von Masken, die selbst einen Ethan Hunt neidisch machen könnten. So wird Edmond mal zum greisen Abbé, mal zum englischen Adeligen, vor allem aber zum smarten, stets perfekt gekleideten Graf.
Doch nicht nur Edmond trägt groß auf, sämtliche Figuren sehen in jeder Hinsicht gut aus. Und dazu die Schlösser und Paläste, die zeigen, wie gut es sich in Frankreich leben lässt – zumindest wenn man das nötige Kleingeld besitzt. Aus deutscher Sicht mag man fast ein wenig neidisch werden in Anbetracht des Umstandes, wie viel sich das französische Kino so eine Neuverfilmung eines nationalen Klassikers kosten lässt.
Dankenswerterweise wurde dabei auf stilistische Modernisierung weitestgehend verzichtet: Solche hyperkinetischen Kampfszenen, wie sie etwa in Guy Ritchies „Sherlock Holmes“-Filmen oder auch in der letztjährigen, zweiteiligen Neuverfilmung von „Die drei Musketiere“ zu sehen sind, findet man in „Der Graf von Monte Christo“ nicht. Stattdessen begnügen sich die Regisseure damit, einen bewusst altmodischen Film zu inszenieren, eine von Liebe und Intrigen geprägte Geschichte zu erzählen, die in ihren ausladenden, überbordenden Form oft fast einer Kolportage gleicht. Mit größter Ernsthaftigkeit und ohne einen Funken Ironie zelebrieren Matthieu Delaporte and Alexandre de La Patellière ihren „Graf von Monte Cristo“ als klassischen Abenteuerfilm, episch, melodramatisch und sehr unterhaltsam.
Fazit: Die Neuverfilmung von Alexandre Dumas‘ Klassiker „Der Graf von Monte Cristo“ verzichtet auf jegliche Modernisierung des Stoffes und erzählt stattdessen ungebrochen von Liebe, Intrigen und Rache. Dank eines enorm hohen Budgets entstand so ein reich ausgestatteter Abenteuerfilm, der zwar vollkommen altmodisch wirkt, dabei aber verdammt gut unterhält.
Wir haben „Der Graf von Monte Christo“ beim Cannes Filmfestival 2024 gesehen.