Babyklappen, Babydiebe, Mord & Totschlag – klassisches Wohlfühlkino halt
Von Christoph PetersenMit „Shoplifters“ hat der japanische Regisseur Hirokazu Kore-eda („Nobody Knows“) 2018 den größten Erfolg seiner Karriere gefeiert: Die zutiefst berührende Geschichte einer „Familie“ aus kleinkriminellen Außenseiter*innen, die zwar nicht im biologischen Sinne miteinander verwandt sind, aber doch aufrichtig füreinander einstehen, ist nicht nur ein humanistisches Meisterstück – sie avancierte auch zu einem gewaltigen Kassenschlager, wurde in Cannes mit der Goldenen Palme ausgezeichnet und für den Oscar als Bester fremdsprachiger Film nominiert. Mit diesem Megahit im Rücken brach Kore-eda im Anschluss zu einer filmischen Weltreise auf …
… und liefert nach seiner ersten internationalen Produktion, dem französischen Familiendrama „La Vérité – Leben und lügen lassen“ mit Juliette Binoche, Ethan Hawke und Catherine Deneuve, nun seinen ersten auf Koreanisch in Südkorea gedrehten Film ab: Auch bei „Broker“ sind wieder einige der größten Stars des Landes dabei, darunter der „Parasite“- und „Sympathy For Mr. Vengeance“-Hauptdarsteller Song Kang-Ho. Aber selbst wenn Kore-eda erneut nicht in seiner Heimat arbeitet, markiert der angesichts der Thematik überraschend lockerflockige „Broker“ in gewisser Hinsicht dennoch eine Rückkehr – die Zweckfamilien-Parallelen zum klar überlegenden „Shoplifters“ sind nämlich kaum zu übersehen.
Sang-hyeon (Song Kang-Ho) und Dong-soo (Dong-won Gang) – zwei kleinkriminelle Baby-Broker mit einem Herz aus Gold…
Als die junge Prostituierte So-young (Lee Ji-eun) ihr Neugeborenes vor der Babyklappe einer Kirche ablegt, wird sie dabei von gleich mehreren Parteien beobachtet: Zum einen von Sang-hyeon (Song Kang-Ho) und Dong-soo (Dong-won Gang), die regelmäßig Babys aus der Klappe klauen, um sie dann für eine gewisse Summe an adoptionswillige Eltern zu vermitteln. Zum anderen von den Polizistinnen Su-jin (Doona Bae) und Lee (Lee Joo-young), die den Baby-Brokern bereits seit Längerem auf der Spur sind und hinter den beiden gutherzigen Kleinkriminellen noch eine größere Organisation vermuten.
Kurze Zeit später überlegt es sich So-young aber noch einmal anders und kehrt zu der Klappe zurück. Um zu verhindern, dass die Polizei eingeschaltet wird, weihen Sang-hyeon und Dong-soo die junge Mutter in ihre Unternehmung ein. Gemeinsam brechen sie zu einem Roadtrip durch Südkorea auf, um passende Eltern für das Baby zu finden – ohne zu ahnen, dass sie dabei weiterhin die ganze Zeit die zwei Ermittlerinnen im Schlepptau haben. Zudem ist ein Mord geschehen, in dem auch So-young irgendwie mit drinzustecken scheint…
Es ist ein Leichtes, jetzt aufzuzählen, an welchen Stellen „Broker“ überall nicht an „Shoplifters“ heranreicht: Die Konstruktion der zusammengewürfelten Familie wirkt diesmal viel stärker hingebogen und weniger glaubhaft, zudem zünden die tragischen Momente, die angesichts der Thematik eigentlich ein Selbstläufer hätten sein sollen, nur in wenigen Szenen so richtig. Hirokazu Kore-eda hat diesmal eben, und das wird dem Schicksal der Figuren nicht immer gerecht, einen lupenreinen Wohlfühl-Roadtrip abgeliefert – selbst die Babydiebe sind Sympathieträger ohne auch nur einen Anflug von Ambivalenz.
Aber wenn man akzeptiert, dass Hirokazu Kore-eda diesmal in einer weniger ambitionierten Crowdpleaser-Mission unterwegs zu sein scheint, kann man mit dem Film dennoch viel Freude haben: Song Kang-Ho begeistert einmal mehr mit seinem unwiderstehlichen Jedermann-Charme, während sich die bisher eigentlich nur als Singer-Songwriterin bekannte Ji-eun Lee als emotionales Zentrum und Entdeckung des Films erweist. Zudem bekommt die zufällige Kleinfamilie während des Trips auch noch ungeplanten (und ungewollten) Zuwachs: Der sich selbst einladende Waisenjunge Hae-jin erweist sich mit seinen filterlosen Kommentaren als wahrer Szenendieb und erntet so immer wieder die lautesten Lacher.
Die Popsängerin Lee Ji-eun ist als So-young eine der Entdeckungen des Films!
Was „Broker“ aber vor allem über den Status eines durchschnittlichen Feel-Good-Films-der-Woche heraushebt, ist der Umstand, dass Hirokazu Kore-eda seinen Figuren auch diesmal wieder mit einer solch wahrhaftigen Offenheit und Wärme begegnet, dass sich die unzweifelhaft vorhandene Sentimentalität von „Broker“ nicht klebrig, sondern verdient anfühlt. Das geht dann zwar gerade im Finale längst nicht so zu Herzen wie bei „Shoplifters“ (oder noch mehr dem tieftragischen „Nobody Knows“), aber man muss auch keine Angst haben, von zu viel Süßlichem Bauchschmerzen zu bekommen.
Fazit: „Shoplifters“ light – aber in den fähigen Händen von Hirokazu Kore-eda bedeutet selbst das immer noch einen ziemlich guten (Wohlfühl-)Film.
Wir haben „Broker“ auf dem Cannes Filmfestival 2022 gesehen, wo er als Teil des Offiziellen Wettbewerbs gezeigt und mit dem Preis für den Besten Darsteller für Song Kang-Ho ausgezeichnet wurde.