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    Erwartung - Der Marco-Effekt
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    Erwartung - Der Marco-Effekt

    Ein Reboot für Carl Mørck

    Von Lars-Christian Daniels

    Die Begeisterung für die Fälle des Kopenhagener Sonderdezernats Q ist nach wie vor ungebrochen: Im Jahr 2021 erschien bereits der neunte Band der megapopulären Romanreihe des dänischen Bestseller-Autors Jussi Adler-Olsen, die auch hierzulande regelmäßig eine riesige Leserschaft erreicht. Mit Blick auf die Verfilmungen der Bücher ist die Euphorie allerdings nicht ganz so groß: Die gelungenen Romanadaptionen „Erbarmen“, „Schändung“, „Erlösung“ und „Verachtung“ lockten im Krimi-übersättigten Deutschland seit ihrem Start im Jahr 2014 nie die ganz großen Zuschauermassen in die Lichtspielhäuser. In Dänemark hingegen ging „Verachtung“ zuletzt sogar als erfolgreichster einheimischer Kinofilm des Jahres 2018 in die Annalen ein.

    Unter Regie von Martin Zandvliet („The Outsider“) ist nun die Verfilmung des fünften Bandes entstanden, bei der die Kino-Reihe allerdings einen Reboot erfährt: Während die Produktionsfirma Zentropa die Leinwandadaption der ersten vier Romane realisierte, hat sich nun die dänische Nordisk Film die Rechte an den nächsten sechs Adler-Olsen-Romanen gesichert und eine Neubesetzung vor und hinter der Kamera vorgenommen. An den neuen Hauptdarstellern liegt es dabei nicht, dass in „Erwartung – Der Marco-Effekt“ ein kleiner Qualitätsabfall spürbar ist: Während die ersten vier Verfilmungen trotz einiger Mängel solide Thrillerkost boten, bleibt in „Erwartung“ doch manches Stückwerk. Gerade bei der Drehbuchadaption entpuppt sich nicht jede Entscheidung als glücklich.

    Ulrich Thomsen und Zaki Youssef übernehmen die Rollen als Carl Mørck und Assad von ihren Vorgängern Nikolaj Lie Kaas und Fares Fares.

    Bei der Passkontrolle in einem Zug greift die Polizei den Jugendlichen Marco (Lobus Olàh) auf, der aus dem Roma-Milieu stammt. In seinen Taschen finden die Beamten den Pass des Ministerialbeamten William Stark, der vor einigen Jahren spurlos verschwand. Auf Wunsch von Kripochef Marcus Jacobsen (Henrik Noël Olesen) landen die Akten erneut auf dem Schreibtisch des Kopenhagener Sonderdezernats Q, das sich auf solche alten Fälle spezialisiert hat: Kommissar Carl Mørck (Ulrich Thomsen), sein Partner Assad (Zaki Youssef) und Sekretärin Rose (Sofie Torp) rollen den Fall neu auf und bringen ans Tageslicht, dass Stark offenbar der Veruntreuung von Fördergeldern für Hilfsprojekte in Kamerun auf der Spur war. Doch wie kommt Marco an seinen Pass?

    Es ist das bekannte Dilemma: Die Substanz von knapp 600 spannenden Romanseiten auf ein Skript für einen zweistündigen Film zu komprimieren, kommt ohne Abstriche in Sachen Tiefgang fast schon der Quadratur des Kreises gleich. So ist es auch in „Erwartung“, dessen Vorlage locker genügend Stoff für eine sechsteilige Miniserie geboten hätte: Die Ermittlungen im Fall Anweiler etwa, die sich im Roman ohnehin recht halbgar lesen, haben die Drehbuchautoren Anders Frithiof August und Thomas Porsager ebenso gestrichen wie den blutigen Prolog im Dschungel oder die Stippvisite afrikanischer Kindersoldaten in Kopenhagen. Das sind alles sinnvolle Maßnahmen.

    Die eine Kürzung zu viel…

    Den notwendigen Streichungen und zahlreichen kleineren Abwandlungen der Vorlage steht allerdings auch eine Kürzung gegenüber, die ein Herzstück des Romans ist und spürbar auf Kosten des Lokalkolorits geht: Marcos Flucht aus dem organisierten Taschendiebsmilieu und seine rastlose Odyssee durch die Hauptstadt beschränken sich in der Verfilmung auf eine budgetschonende Verfolgungsjagd in der U-Bahn und eine fiebrige Actionsequenz in einem Rohbau. Über das Gebaren des skrupellosen Clanchefs Zola (Zdenek Godla), die schwierige Beziehung zu Marcos Vater oder die Konflikte mit seinen ausgebeuteten Gefährten erfahren wir praktisch nichts – und so mausert sich der bedauernswerte Marco für den Zuschauer trotz ansprechender Performance von Schauspieldebütant Lobus Olàh nie zu der wichtigen Identifikationsfigur, die er für den Leser des einstigen Spitzenreiters der Spiegel-Bestsellerliste ist.

    Stattdessen widmen sich die Filmemacher intensiv dem psychisch labilen Carl Mørck, was passabel funktioniert, dramaturgisch aber recht ausrechenbar bleibt. Mørck entspricht dabei mit seinem Dickschädel und seinem unbequemen Auftreten dem klassischen Ermittlertypus vieler TV-Krimis: Ulrich Thomsen („Das Fest“) verleiht dem Dezernatsleiter als Nachfolger des viermaligen Mørck-Darstellers Nikolaj Lie Kaas viel Charisma und füllt die entstandene Lücke überzeugend aus. Für seinen Leinwandpartner gilt das nur bedingt: Während Vorgänger Fares Fares in den ersten vier Verfilmungen als Publikumsliebling Assad viel Kamerazeit eingeräumt bekam, erhält der überraschend teilnahmslose Zaki Youssef in seiner Rolle wenig Gelegenheiten, sich nachhaltig in den Vordergrund zu spielen. Er bleibt relativ blass.

    Wie üblich liefert Sekretärin Rose (Sofie Torp) auch diesmal wieder einige entscheidende Hinweise.

    Nicht ganz glücklich wirkt auch die Entscheidung, die im Roman nur kurz angerissenen Pädophilievorwürfe gegen William Stark im Film deutlich auszubauen: Mit der Schwimmerin Jeanne (Louise Gammelgaard) wird hier eine zusätzliche Figur in den Plot gequetscht, die Mørck und Assad gleich mehrfach in einer Schwimmhalle treffen. Das kostet wertvolle Zeit und so beschränken sich auch die für die Ermittlungen viel wichtigeren Vernehmungen von Malene Kristoffersen (Marie Sandø Jondal) und Töchterchen Thilde (Lizzielou Güldenløve Corfixen) nur aufs Nötigste. Sie münden irgendwann in eine früh vorhersehbare Auswertung rätselhafter Kinderzeichnungen, für die es im Thriller-Genre wahrlich keine Innovationspreise mehr zu gewinnen gibt.

    Mehr Zeit bei der Charakterzeichnung hätte auch den einflussreichen Antagonisten des Nordic-Noir-Thrillers gutgetan: Während der ans Krankenbett gefesselte Vermögende Jens Brage-Schmidt (Joen Bille) nur wenige Sekunden zu sehen ist, fällt der im Außenministerium tätige Rene Eriksen (Caspar Phillipson) in die Kategorie der aalglatten Klischee-Politiker. Interessanteste Figur auf Seiten der Bösewichte, die das Sonderdezernat Q im Mittelteil des Films etwas aus den Augen verliert, ist damit der für eine Hilfsorganisation tätige Teis Snap (Anders Matthesen), dem die Schweißperlen in jeder Szene buchstäblich aus allen Poren triefen. Nicht unbedingt die subtilste Art, Snaps Angst vor einer Entdeckung bildlich einzufangen.

    Ein Titelsong wie bei 007

    Trotz der genannten Schwächen ist „Erwartung“ aber ein durchaus unterhaltsamer Film, denn neben dem überzeugenden Cast und der hohen Handlungsdichte punktet der Thriller auch mit handwerklichen Stärken: Die düstere Atmosphäre, die dynamische Inszenierung und das hohe Erzähltempo sind der Spannungskurve sehr dienlich. Spürbarer Leerlauf schleicht sich bis zur (etwas überhastet vorgetragenen) Auflösung nie ein und auch auf der Tonspur weiß der Film zu gefallen: Der stimmungsvolle Titelsong von Saveus („Traitors“), der beim Abspann ein zweites Mal aufgerufen wird, wäre auch in einem James-Bond-Film gut vorstellbar gewesen.

    Fazit: Temporeich arrangierter und überzeugend besetzter Neustart der Carl- Mørck-Reihe, der die Klasse der Romanvorlage aber nie erreicht.

     

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