Das Publikum ist von Hanna Doose zu Recht begeistert!
Von Ulf LepelmeierVor genau zehn Jahren feierte Hanna Dooses Debütfilm „Staub auf unseren Herzen“ Premiere beim Filmfest München, wo er direkt mit dem Förderpreis Neues Deutsches Kino in den Kategorien Regie und Produktion sowie dem Publikumspreis des Festivals ausgezeichnet wurde. Dabei galt das Lob insbesondere dem Improvisations-Ansatz der deutschen Mumblecore-Regisseurin, der der Mutter-Tochter-Geschichte ihres DFFB-Abschlussfilms eine besondere Intensität verlieh. Mit ihrem aufwühlenden Nachfolger war Doose nun erneut beim Filmfest München vertreten und konnte sich abermals über den Publikumspreis freuen.
„Wann kommst Du meine Wunden küssen“ dreht sich um ehemalige Berliner Kulturschaffende, die im Schwarzwald auf einem einsamen Bauernhof ein neues Leben angefangen haben und deren private Dramen im winterlichen Setting nach der Ankunft einer alten Bekannten hochkochen. Aufwühlend, direkt und eindrucksvoll fotografiert, fängt das Drama als stringente Weiterentwicklung von Dooses Improvisationskino drei miteinander verwobene Frauenschicksale zwischen Vergangenheitsbewältigung, Tod und Neuausrichtung ein.
Das alternative Leben der Berliner Aussteiger*innen mitten im Schwarzwald bekommt immer mehr Risse...
Einst waren sie Teil der lebendigen Berliner Künstlerszene: Maria (Bibiana Beglau) als erfolgreiche Regisseurin, Laura (Gina Henkel) als ihr Muse und Hauptdarstellerin, Jan (Alexander Fehling) als DJ. Aber dann wurde aus Laura und Jan, der zuvor mit Maria zusammen war, ein Paar – und gemeinsam kehrten sie der Hauptstadt den Rücken, um sich auf dem Hof von Marias Schwester Kathi (Katarina Schröter) im Schwarzwald eine neue Existenz aufzubauen. Aber nach einigen Jahren ist der einstige Traum vom idyllischen Landleben der rauen Realität gewichen.
Während sich Laura weiterhin mit vollem Elan bemüht, kümmert sich Jan nur noch halbherzig um die Bewirtschaftung des Hofes, um Ziegenmilch und Käseproduktion. Kathi klammert sich nach einer schlimmen Krebsdiagnose unterdessen an schamanische Heilmethoden und geistert nachts durch den Wald. Als Maria nach langer Funkstille plötzlich mit ihrem Motorrad auf dem Hof auftaucht, öffnen sich die vernarbten emotionalen Wunden wieder, die einst begrabenen (Lebens-)Träume drängen wieder an die Oberfläche. Die folgenden Tage im verschneiten Schwarzwald werfen das Leben jedes Einzelnen aus der Bahn…
Nur langsam erschließt sich, dass Maria und ihre von Katarina Schröter („Wintergast“) stoisch verkörperte Schwester Kathi, die nur in einzelnen Momenten ihrer Verzweiflung Raum lässt, den Freitod der Mutter nie überwunden haben, dass beide sich Vorwürfe machen und noch immer um die Gunst der längst verstorbenen Künstlermutter buhlen. Während Kathi mit ihrem nahenden eigenen Tod umgehen muss und sich an Kräutern und Ritualen festhält, weiß auch die Berliner Schwester nicht, wie es für sie in Zukunft weitergehen soll und versucht ihren Frust mit Drogen zu betäuben. Bibiana Beglau („Bis wir tot sind oder frei“) zeichnet die resolute Regisseurin aus Berlin als charismatische und zugleich unberechenbare Einzelkämpferin, die der von Gina Henkel („The Mopes“) ebenfalls hervorragend dargestellten Laura vorwirft, ihr nicht nur ihren damaligen Freund gestohlen zu haben.
Dieser Mann zwischen den Stühlen wird von Alexander Fehling („Im Labyrinth des Schweigens“) als ein seinen früheren Erfolgen nachtrauernder DJ verkörpert, der beständig nach Freiheit sucht oder zumindest von dieser schwadroniert. Doch es fällt ihm äußerst schwer, die angemessenen Worte zu finden oder gar Entscheidungen zu fällen. Jan ist unzufrieden mit der Situation auf dem Hof, hat aber nicht viel zu vermelden. Vielmehr zieht er sich oft allein in sein kleines Soundstudio zurück, um dort an neuen Tracks mit eingewobenen Natursounds zu arbeiten und möchte sein Leben am liebsten einfach im Rhythmus des Trancebeats treiben lassen.
Mit seinen Trancebeats mit eingewobenen Natursounds liefert DJ Jan (Alexander Fehling) zugleich auch den Soundtrack für den passenden Film.
Auch dank der durchweg starken Darsteller*innen geht der sehr offene Improvisationsansatz in „Wann kommst Du meine Wunden küssen“ voll auf. Vor Beginn der Dreharbeiten lag zwar ein ausgearbeitetes Drehbuch vor, das den kompletten Verlauf der Story festlegte und die Vorgeschichten der Figuren skizzierte, allerdings gab es noch keine ausformulierten Dialoge. Ohne Probeaufnahmen ließ Doose dann ihre Darsteller*innen am Set direkt loslegen und sie dabei von zwei Kameras begleiten. Als zentrales Musikstück des Soundtracks fungiert dabei die Arie „Du bist mein ganzes Herz“ aus der Operette „Das Land des Lächelns“ von Franz Lehár, in der die Figuren ein ähnlich rasantes auf- und ab der Gefühle erleben wie die drei Protagonistinnen im verschneiten Schwarzwald.
Auf einem Staudamm stimmen sie das bekannte Musikstück zuerst verzagt-vorsichtig an, um sich dann zunehmend in das Lied hineinzusteigern und es letztlich gemeinsam befreit herauszugrölen. Auch auf der Bildebene weiß das dialogzentrierte Drama zu überzeugen. Kameramann Marcus Zucker fängt das Naturidyll, die Mystik der Flora und Fauna des Schwarzwaldes, in poetischen Bildern ein, die in ihrer Ruhe einen Gegenpol zu dem emotional aufgewühlten Geschehen auf dem Hof bieten. Er stellt gekonnt die hitzigen Dialogszenen in den kargen Hütten der schroffen, aber zugleich beruhigenden Schönheit des Schwarzwaldes gegenüber. So wird zumindest auch ein Stück weit verständlich, warum die unheilbar an Krebs erkrankte Kathi ihr Heil in der sie umgebenen Natur sucht.
Fazit: Hanna Doose ist ein weiteres Mal feinstes Improvisationskino gelungen. Authentisch, intensiv und mit kraftvollen Schauspielleistungen auftrumpfend, stellen sich in „Wann kommst Du meine Wunden küssen“ drei Frauen im tiefen Schwarzwald auf eindrückliche Weise ihren Problemen, Ängsten und Traumata.
Wir haben „Wann kommt Du meine Wunden küssen“ im Rahmen des Filmfest München 2022 gesehen.