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    Nebenan
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Nebenan

    Ein Marvel-Star in der Berliner Eckkneipe

    Von Markus Tschiedert

    Wer sich (oft schon sehr jung) der Schauspielkunst verschrieben hat, steht irgendwann vor der Frage, ob da nicht noch mehr geht. Beim Film spricht man da von „hinter die Kamera treten“, wenn sich Stars irgendwann auch selbst im Regiefach ausprobieren. Til Schweiger gelang das mit immer wieder ähnlich gestrickten Komödien wie „Kleinohrhasen“ und „Kokowääh“ überaus erfolgreich. Ihm folgte Matthias Schweighöfer, der mit „What A Man“ und „Der Nanny“ ebenfalls sehr erfolgreich in dieselbe (Klamauk-)Kerbe schlug. Moritz Bleibtreu wollte mit seinem Regiedebüt höher hinaus, verhob sich vergangenes Jahr mit „Cortex“ aber an einem komplexen Mystery-Thriller, der auch an den Kinokassen Schiffbruch erlitt.

    Im Berlinale-Wettbewerb 2021 stellt nun ein weiterer deutscher Schauspiel-Superstar sein Regiedebüt vor: Statt einer Komödie oder eines Thrillers hat sich Daniel Brühl mit „Nebenan“ jedoch einer Geschichte angenommen, die auf den ersten Blick für einen Namen dieses Kalibers erstaunlich reduziert wirkt. Trotzdem hat Brühl mit „Nebenan“, der vor und nach dem ersten Corona-Lockdown mit einem überschaubaren Cast entstand, definitiv auf das richtige Pferd gesetzt.

    Das schwarzhumorige Drama spielt hauptsächlich in einer Berliner Eckkneipe und zwar nahezu in Echtzeit. Eine ebenso verspielte wie kurzweilige Fingerübung für den Erstlingsregisseur, der in seinem Debüt zudem die Grenzen zwischen Filmfigur und eigenem Ich verschwimmen lässt. Brühl, der vor allem dank seiner Bösewicht-Performance im Marvel-Blockbuster „The First Avenger: Civil War“ inzwischen auch in den USA am Star-Status kratzt, verkörpert in „Nebenan“ schließlich einen deutsch-spanischen Filmschauspieler namens Daniel, der kurz davorsteht, eine Rolle in einer großbudgetierten US-Comicverfilmung zu landen. Aber dann kommt doch alles ganz anders…

    Nicht nur ein Duell zwischen Bruno und Daniel - sondern auch zwischen zwei herausragenden Schauspielern!

    Daniel (Daniel Brühl) lebt mit seiner Familie in einem modernen Luxus-Apartment mitten in Berlin. An diesem Morgen strotzt er nur so vor Selbstbewusstsein, denn in wenigen Stunden wird er nach London fliegen, um für einen Superheldenfilm vorzusprechen. Viel weiß er nicht über den Part, womöglich will man ihn für eine Schurkenrolle casten. Aus Hollywood hat er, wohl aus Geheimhaltungsgründen, nur eine einzelne Seite aus dem Skript erhalten. Immer wieder übt er den Text. Doch weil seine spanische Haushälterin die zwei störenden Söhne nicht wirklich im Griff hat, verlässt Daniel schließlich das Haus, um sich vor dem Abflug noch ein wenig in seiner Stammkneipe in Ruhe auf die Rolle vorzubereiten.

    An der Theke sitzt jedoch schon Bruno (Peter Kurth), der Daniel schnell in ein Gespräch verwickelt, das immer seltsamere Züge annimmt. Zuerst provoziert er den Schauspieler nur, aber dann enthüllt er immer mehr Details aus Daniels Privatleben. Wer ist dieser Bruno – und was sind seine wahren Absichten?

    Wie viel Daniel steckt in Daniel?

    Das Drehbuch zu „Nebenan“ stammt von Bestsellerautor Daniel Kehlmann („Die Vermessung der Welt“), dessen Roman „Ich und Kaminski“ bereits mit Daniel Brühl in der Hauptrolle des eitlen Kunsthistorikers Sebastian Zöllner verfilmt wurde. Eitel gibt sich Daniel Brühl auch als Daniel, was gleich in den ersten Szenen mehr als deutlich wird: Schon die Art, wie er duscht, seine Kleidung aussucht, das Frühstück verzehrt, ergibt das Bild eines klischeehaft-narzisstischen Schauspielers. Brühl, der die ursprüngliche Idee zu „Nebenan“ hatte, nimmt dabei auch immer wieder großzügig Bezug auf die eigene Biografie.

    Der Film-Daniel ist ebenfalls ein spanisch-deutscher Schauspieler, hat ebenfalls zwei Söhne, wohnt in Berlin und soll auch einen Schurken in einem Superheldenfilm spielen. Es wirkt mitunter, als wolle sich Brühl hier einfach nur ein wenig über sich selbst lustig machen. Er verhöhnt den Film-Daniel ohne falsches Mitleid – und so glaubt man keine Sekunde, dass uns der Regisseur hier tatsächlich ein Abbild seines eigenen Ichs abliefert. Und trotzdem: Ja, dieser Film-Daniel ist eine Kunstfigur, eine Fälschung – und doch hat man das Gefühl, dass der echte Daniel gleich nebenan wohnt.

    Statt seinen Text zu lernen, lässt sich Daniel von Bruno zu einer Runde Dart provozieren.

    Nach dem satirischen Prolog von „Nebenan“ wird die Stimmung spürbar düsterer, sobald Daniel in seiner Stammkneipe auf Bruno trifft. Der ist das genaue Gegenstück von Daniel – ein Abgehängter, ein Verlierer, der in der DDR im Knast saß, es aber auch nach der Wende nicht weit gebracht hat. Bruno verachtet Daniel und schnell wird klar, dass er ihm offenbar eins auswischen will. Mit Peter Kurth („In den Gängen“) hat sich Daniel Brühl den perfekten Gegenspieler ausgesucht. Schon Brunos körperliche Erscheinung ist beunruhigend, seine Blicke provozieren und seine Worte, die er Daniel gleich zu Beginn des Gesprächs entgegenschmettert, sind geradeheraus beleidigend.

    Bruno ist der einfache Mann von nebenan, der aber von dem berühmten Filmstar bisher nie wahrgenommen wurde. Sympathisch ist einem dieser Bruno trotzdem nicht, und wahrscheinlich will er es auch gar nicht sein. Daniel hingegen buhlt regelrecht um Sympathien – aber wenn er in der Kneipe mit 20-Euro-Scheinen um sich wirft, wird er von Bruno mit Leichtigkeit zurechtgestutzt, indem er über die Schauspielkunst seines Nachbarn herzieht und den Star so an seinem wunden Punkt trifft. Daniel reagiert mit unverhohlener Arroganz, was der Situation einen bissigen schwarzhumorigen Touch verleiht. Vordergründig bleibt „Nebenan“ immer ein spannendes Dialogduell, in dem nebenbei aber auch Themen wie Wiedervereinigung, Gentrifizierung und soziale Ungerechtigkeit verhandelt werden. In diesen spiegelt sich die Gegensätzlichkeit der beiden Streithähne noch einmal zusätzlich.

    Man muss auch über sich selbst lachen können

    Trotz der Kammerspielartigkeit des Films gewinnt Daniel Brühl dem Kneipentreiben doch eine erstaunliche Dynamik ab: So glänzen etwa Rike Eckermann („Westen“) als schnoddrige Wirtin und Gode Benedix („Sommerfest“) als Trinker am Nebentisch, während der Film-Daniel draußen ach so „wichtige“ Gespräche am Handy führt, bevor er in der Kneipe von Bruno wieder mit den wirklich wichtigen (und manchmal ganz schön schmerzhaften) Dingen des Lebens konfrontiert wird.

    Wie das Ganze ausgeht, wird natürlich nicht verraten. Aber Daniel Brühl gelingt es, sein Publikum für 90 Minuten in den Bann zu schlagen – und etwas Schadenfreude ist vielleicht auch dabei, wenn so ein eitler Schauspielgockel wie der Film-Daniel mal vom Sockel gehauen wird. Wobei das etwas ist, das man dem echten Daniel, der offensichtlich das Talent besitzt, auch über sich selbst lachen zu können, sicher nicht wünscht – schon gar nicht nach einem gelungenen Regiedebüt wie „Nebenan“.

    Fazit: Ein kleiner, feiner Film, in dem Regiedebütant Daniel Brühl ohne falsche Eitelkeit mit seiner eigenen Biographie jongliert, um dem Publikum ein perfides Kneipenduell zweier großartig aufgelegter Schauspieler zu bieten.

    Wir haben „Nebenan“ im Rahmen der Berlinale 2021 gesehen, wo er in den offiziellen Wettbewerb eingeladen wurde.

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