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    Jam
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Jam

    Zurück zu den Tarantino-Wurzeln

    Von Björn Becher

    Als der vor allem unter seinem Künstlernamen SABU bekannte japanische Regisseur Hiroyuki Tanaka ab der zweiten Hälfte der Neunzigerjahre mit Filmen wie „Dangan Runner“, „Postman Blues“, „Unlucky Monkey“ oder „Monday“ die Festivals eroberte, wurden zunächst vor allem Vergleiche mit Quentin Tarantino laut. Schließlich erinnern seine Genredekonstruktionen mit Gangstern und anderen Halbwelt-Figuren durchaus an frühe Tarantino-Arbeiten wie „Reservoir Dogs“. In den vergangenen Jahren schien sich SABU davon allerdings zunehmend emanzipiert zu haben. Bei seinem neuesten Werk „Jam“ drängt sich der Vergleich speziell mit „Pulp Fiction“ nun aber doch wieder regelrecht auf.

    Die ineinander verwobenen, nicht chronologisch angeordneten Geschichten dreier Männer halten allerdings dem Vergleich mit Tarantinos revolutionärem Meisterwerk nicht stand – und auch nicht mit den besten Werken von SABU selbst. Mit vielen tollen, teilweise auch urkomischen Einzelideen kommen Fans des japanischen Regisseurs, Autors und Schauspielers zwar immer wieder auf ihre Kosten, doch teilweise ist die Thriller-Groteske auch eine zu entschleunigte und dadurch zähe Angelegenheit, die ihr dramatisches Potenzial nie wirklich entfaltet.

    Mit einem Unfall fängt in "Jam" alles an.

    Die Freundin von Takeru (Keita Machida) ist bei einem Schusswechsel zwischen Gangstern und der Polizei ins Kreuzfeuer geraten. Seitdem liegt sie im Koma, während er glaubt, dass er nur genug gute Taten begehen muss, damit sie wieder aufwacht. Tetsuo (Nobuyuki Suzuki) saß derweil im Knast und legt sich frisch entlassen mit seinen alten Kumpanen an. Während er seine unter Alzheimer leidende Großmutter im Rollstuhl durch die Straßen schiebt, muss er sich mit einem Hammer gegen anstürmende Gangsterscharen wehren. Schlagersänger Hiroshi (Shô Aoyagi) begeistert bei jedem Konzert seine Anhänger – allesamt Frauen mittleren Alters. Doch dann entführt ihn sein selbst erklärter „Fan Nr. 1“ Masako (Mariko Tsutsui). Sie verlangt von Hiroshi, dass er für das morgige Konzert ein neues Lied nur für sie komponiert…

    Bewegung ist seit je her ein wichtiges Element im Kino von SABU. Seine Figuren stehen selten still, oft rennen sie sogar den Großteil der Handlung. Der Auftakt von „Jam“ macht uns das mit einer Autohatz direkt wieder bewusst: ein junger Mann am Steuer, eine schwer verletzte Frau auf dem Rücksitz, ein surreal anmutender Unfall am Ende. Trotz des rasanten Einstiegs entschleunigt der Regisseur danach aber sehr oft, lässt ohnehin langsame Szenen auch noch ganz bewusst lange laufen. Das verleiht „Jam“ eine gewisse Zähigkeit, was der anfangs ohnehin unnötig verschachtelten Erzählstruktur mit ihren Zeitsprüngen und Szenenwechseln noch zusätzlich an Schwung nimmt.

    Zwischen "Misery" und "Oldboy"

    Dabei zeigt SABU durchaus immer wieder, warum er beim internationalen Festivalpublikum einen solch exzellenten Ruf genießt und man ihn durchaus als die japanische Antwort auf Quentin Tarantino bezeichnen kann. Denn auch er zelebriert das postmoderne Zitatenkino, spielt immer wieder auf Klassiker an. Die Episode um den entführten Schlagersänger erinnert an die Stephen-King-Adaption „Misery“ – und wenn Tetsuo seine Oma durch die Straßen schiebt und mit dem Hammer gegen Gangsterscharen kämpft, werden schon allein aufgrund der Waffe direkt Erinnerung an „Oldboy“ wach. Vor allem aber ist das ganze Szenario eine einzige große Hommage an die „Lone Wolf & Cub“-Klassiker: In der in Japan ungemein populären Manga- und Filmreihe schiebt ein Samurai statt der Oma seinen kleinen Sohn herum, während er im selben Moment immer wieder mit seinem Schwert gegen Feinde kämpft.

    Bei solchen Anspielungen zelebriert SABU im selben Moment auch seinen oft wunderbar grotesken Humor, indem er die zitierten Szenarien immer weiter ins Absurde übersteigert: Wo sich Tetsuo anfangs nur einer Handvoll Gangster erwehren muss, nimmt die Anzahl seiner Widersacher bei jeder weiteren Welle noch einmal gewaltig zu. Irgendwann ist fast die gesamte Leinwand voll mit den mit Holzstangen oder Messern bewaffneten Angreifern – und Tetsuo prügelt trotzdem (selbst nahezu unkaputtbar erscheinend) auf sie ein. Da werden auch Erinnerungen an die Videospielreihe „Yakuza“ wach, wo es ähnlich surreal-ausladende Prügelarien gibt.

    Eine Hommage an "Misery".

    Auch das Schlagerszenario schlachtet SABU köstlich aus – von den absurd-kitschigen Texte über die in einer festen Choreografie tanzenden Frauen-mittleren-Alters-Masse bis hin zu einer abschließenden Frage-und-Antwort-Runde, in der Sänger Hiroshi wie ein Sektenführer seinen ihn anhimmelnden Fans leere Hülsen auf den Weg zurück in ihr normales Leben mitgibt. All das ist teilweise aberwitzig und urkomisch. Aber eben auch ein Kino, das (zu) stark von seinen einzelnen Momenten lebt. Das erinnert dann zu selten an brückenschlagende SABU-Highlights „Monday“, „Blessing Bell“ oder zuletzt „Chasuke’s Journey“, dafür aber immer wieder an die zahlreichen Tarantino-Plagiate, die in den Endneunzigern speziell den Videomarkt überfluteten.

    Das hat vor allem damit zu tun, dass es am Ende am emotionalen Kitt fehlt. Das zeigt sich schon in Details von Tetsuos Hammerkampf: So absurd-komisch es ist, wie er die Gegnerscharen abwehrt, so sehr geht dabei unter, warum er seine Oma eigentlich durch die Gegend schiebt. Wenn sie dann ihr Ziel erreicht, entfaltet die Szene längst nicht die offenbar angestrebte Wirkung. Vor allem ist aber gerade die im Zentrum stehende und all die Handlungsstränge zumindest lose verbindende Geschichte von Takeru am langweiligsten und berührt kaum. Der ihn antreibende große Verlust erfüllt dann doch nur eine Funktion, weil seine naive Vorstellung, mit guten Taten die Freundin aufwecken zu können, letztendlich doch nur dazu dient, einen erzählerischen Kreis zu schließen.

    Fazit: „Jam“ bietet eine Menge köstlich-humorvolle Momente, die aber zu selten zu einem überzeugenden Ganzen zusammenkommen.

    P.S.: Besser bis ganz zum Schluss sitzen bleiben! Es gibt – durchaus überraschend – eine Abspannszene.

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