Kiez-Krimi mit etwas zu viel Kitsch
Von Lars-Christian DanielsDass „Tatort“-Kommissare im Rahmen ihrer Ermittlungen bisweilen auf alte Bekannte treffen, hat in der Krimireihe der ARD gewissermaßen Tradition: Allein in den vergangenen Monaten waren es beispielsweise der Wiesbadener LKA-Ermittler Felix Murot im „Tatort: Angriff auf Wache 08“, die Ludwigshafener Hauptkommissarin Lena Odenthal im „Tatort: Die Pfalz von oben“ oder der Wiener Chefinspektor Moritz Eisner im „Tatort: Baum fällt“, die bei ihren Einsätzen auf frühere Weggefährten stießen und von ihren alten Spezis (mehr schlecht als recht) beim Kampf gegen das Verbrechen unterstützt wurden.
Der Charakterzeichnung sind nostalgieschwangere Wiedersehen immer sehr dienlich – schließlich erfahren wir dabei häufig auch etwas über die Vorgeschichte des jeweiligen „Tatort“-Kommissars. Die Mordfälle hingegen wirken oft durchgeplant und fallen entsprechend vorhersehbar aus: Der Weg zur Auflösung des Krimis führt fast immer über den alten Bekannten, der mit gezinkten Karten spielt oder den Kommissaren sein Wissen nicht preisgibt. Im spannend erzählten, aber etwas kitschig arrangierten Hamburger „Tatort: Die goldene Zeit“ ist das nicht anders – und so ist der überraschungsarme Krimi von Regisseurin Mia Spengler trotz der ansprechenden Optik auch kein Sonntagskrimi, der sonderlich lange im Gedächtnis haften bleibt.
Auf der Reeperbahn macht Falk niemand etwas vor...
Ein Auftragsmord erschüttert St. Pauli: Der junge Rumäne Matei Dimescu (Bogdan Iancu) tötet Johannes Pohl (Till Butterbach), den Sohn der ehemaligen Kiezgröße Egon Pohl (Christian Redl), mit mehreren Messerstichen und taucht unter. Die Hamburger Bundespolizisten Thorsten Falke (Wotan Wilke Möhring) und Julia Grosz (Franziska Weisz) kommen ihm aber auf die Schliche: Eine Überwachungskamera hat die Tat aufgezeichnet. Auf den Bildern ist neben Matei auch Falkes alter Freund und Mentor Michael Lübke (Michael Thomas) zu sehen, der die Leiche gefunden und die Polizei alarmiert hat. Falke und Grosz recherchieren die Hintergründe des Mordes – und machen dabei nicht nur mit dem aalglatten Bordellbesitzer Roman Kainz (Roland Bonjour), sondern auch mit der albanischen Mafia mit ihrem knallharten Anführer Krenar Zekaj (Slavko Popadic) Bekanntschaft…
Die vom NDR nur in Norddeutschland eingesetzten Bundespolizisten Falke und Grosz erhalten bei ihrem siebten gemeinsamen Einsatz Unterstützung: Drehbuchautor Georg Lippert stellt den Hamburger Ermittlern den aufgeweckten LKA-Kollegen Thomas Okonjo (Jonathan Kwesi Aikins) zur Seite, der sich geräuschlos ins Ensemble einfügt. Gastspiele dieser Art gibt es gerade bei „Tatort“-Teams, die nicht auf eine bestimmte Stadt festgelegt sind, immer mal wieder – sie dienen meist dem Zweck, Dynamik ins Figurenensemble zu bringen und den ortsfremden Ermittlern die Eingewöhnung in der neuen Umgebung zu erleichtern. So richtig einleuchten will Okonjos Auftritt diesmal aber nicht: Der „Hamburger Jung“ Falke hat schließlich selbst jahrelang (als Türsteher!) auf St. Pauli gearbeitet. Da hätte es das fünfte Rad am „Tatort“-Wagen nicht zwingend gebraucht – auch wenn Okonjo Elan an den Tag legt und sich nicht hinter den Bundespolizisten versteckt.
Und da ist ja auch noch die frühere Kiezgröße Lübke, die Michael Thomas („Randgänger“) herrlich abgehalftert und zugleich sehr charismatisch gibt. Lübke drängt Falke – auch wenn der das hartnäckig ablehnt – seine Insiderkenntnisse über das Rotlichtmilieu förmlich auf. Als Dreh- und Angelpunkt des Films entspricht Lübke genau dem einleitend erläuterten Figurentypus, den wir in der Krimireihe schon dutzende Male gesehen haben: Schnell wird klar, dass Lübke den Ermittlern keinen reinen Wein einschenkt, dass er selbst in der Sache mit drinsteckt und dass die Auflösung des Falls nur über ihn zu finden ist. Sein Schicksal ist damit vorprogrammiert – und dem Stammpublikum wird nur wenig geboten, was über die Standardsituationen der Krimireihe hinausginge.
Der zuletzt etwas in Mode gekommene Verzicht auf das Whodunit-Prinzip wirkt hingegen weniger schwer, als es anfangs den Anschein hat: Zwar wird die Täterfrage im 1120. „Tatort“ gar nicht gestellt (der Zuschauer ist in der packend inszenierten Auftaktsequenz live beim brutalen Messerstechen dabei), doch bleibt lange Zeit offen, wer den Auftrag gegeben und den mittellosen Rumänen Matei ins Unheil gestürzt hat. Bei der Suche nach den Hintermännern begegnen Falke und Grosz dann Gestalten, die wie aus einem Bausatz für eine Nacht auf St. Pauli zusammengesetzt wirken: Da gibt es schmierige Zuhälter in mehrstöckigen Puffs, finstere albanische Clan-Mitglieder, junge Prostituierte in Lack und Leder, eine frühere Dirne, die nun auf Bardame macht – und sogar eine üppig gestylte Travestiekünstlerin, die neugierigen Touristen die sündige Meile näherbringt.
Christian Redl (links) als demenzkranker Kiez-König und Michael Thomas als Falks ehemaliger Mentor.
So authentisch und schrill dieses Ensemble zusammengestellt ist, so oberflächlich bleiben dabei die Begegnungen mit den Kommissaren: Anders als beispielsweise Regisseur Fatih Akin in seinem umstritten Kiez-Schocker „Der goldene Handschuh“ tauchen die Filmemacher nie wirklich tief in das reizvolle Milieu der Hansestadt ein. Das liegt auch daran, dass sie bisweilen den Fokus auf das Wesentliche verlieren und stattdessen Nebenkriegsschauplätze eröffnen: Während Kinostar Christian Redl („Der Untergang“) als demenzkranker Kiezkönig durch seine vereinnahmende Präsenz ein echter Gewinn für den Film ist, wird der Handlungsschlenker um die elitäre Stiftung von Carolin Sehling (Deborah Kaufmann), der undurchsichtigen Schwester des Toten, sehr halbherzig ausgearbeitet.
Trotzdem gelingt es Regisseurin Mia Spengler („Back For Good“), die Spannung auf einem sehr ordentlichen Niveau zu halten und dabei ein paar anrüchige Kiez-Schauwerte im Plot unterzubringen – lediglich im Mittelteil hat der stellenweise etwas kitschig in Szene gesetzte Krimi mit Leerlauf zu kämpfen. Gleich zwei Lacher darf diesmal Falkes sichtlich gereifter Sohn Torben (Levin Liam) verbuchen, der seinen Vater zuletzt im vielgelobten Hamburger „Tatort: Querschläger“ mit seinem Cannabis-Konsum auf die Palme brachte: Den Unterarm des jungen Berufseinsteigers hat die berühmt-berüchtigte „187 Strassenbande“ verziert – und auch mit der Nachtruhe nimmt es Torben plötzlich genauer, als sein verwunderter Erzeuger es je für möglich gehalten hätte.
Fazit: Spannender und routiniert in Szene gesetzter Kiezkrimi, dessen etwas kitschig geratene Geschichte über weite Strecken in geordneten Bahnen verläuft.