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    Macbeth
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Macbeth

    Kein Film fürs iPhone

    Von Michael Meyns

    Gerade erst musste sich Steven Spielberg die Frage gefallen lassen, warum er ein Remake von „West Side Story“ gedreht hat. Nun sieht sich der vierfache Oscargewinner Joel Coen („The Big Lebowski“), der bei „Macbeth“ zum ersten Mal ohne seinen Bruder Ethan Regie führt, mit einer ähnlichen Frage konfrontiert: Warum noch eine Version von William Shakespeares berühmter Tragödie, die schon so viele und vor allem so viele berühmte Regisseure zu Adaptionen inspirierte? Eine Antwort lautet sicherlich, dass dem Regisseur mit seiner dreifach oscarprämierten Ehefrau Frances McDormand („Nomadland“) sowie dem zweifach oscarprämierten Denzel Washington („Training Day“) ein nicht nur auf der Leinwand herausragendes, sondern auch extrem bühnenerfahrenes Superstar-Duo zur Verfügung stand.

    Aber darauf allein ruht sich Joel Coen zum Glück nicht aus: Obwohl er wenig an den Reimen der Vorlage verändert, entwickelt er – auch mit Hilfe der stechenden Schwarz-Weiß-Bilder seines fünffach oscarnominierten Kameramanns Bruno Delbonnel („Die fabelhafte Welt der Amelie“) – einen geradezu unerhörten Stilwillen. War eine weitere Neuauflage von „Macbeth“ also absolut notwendig. Vielleicht nicht. Aber mit diesen hochkarätigen Zutaten ist das Shakespeare-Drama immer noch absolut mitreißend – zumindest wenn man sich das Apple-TV+-Original nicht auf seinem iPhone oder MacBook, sondern auf einem möglichst großen Fernseher oder am besten gleich im Kino ansieht.

    Mit Denzel Washington und Frances McDormand in den Hauptrollen kann ja eigentlich nicht mehr viel schiefgehen.

    Nach einer gewonnener Schlacht begegnet Macbeth (Denzel Washington), der Thane von Glamis, drei Hexen (alle drei gespielt von Kathryn Hunter). Sie prophezeien ihm, dass er bald zum Thane von Cawdor und dann sogar zum König Schottlands gekürt werden wird. Als der amtierende König von Schottland (Brendan Gleeson) ihn kurz darauf tatsächlich befördert, beginnt Macbeth die Worte der Hexen zu glauben – und aktiv daran zu arbeiten, sie wahr werden zu lassen.

    Lady Macbeth (Frances McDormand) stachelt ihren Gemahl zusätzlich dazu an, seinen offenbar vorbestimmten Platz mit allen Mitteln einzunehmen, selbst wenn das bedeutet, den König töten zu müssen. Aber mit dem Mord am König ist es noch nicht getan, denn die Prophezeiung der Hexen besagte auch, dass die Kinder von Macbeths Freund Banquo (Bertie Carvel) später einmal die Krone übernehmen werden. Allerdings erst dann, wenn sich der Wald auf das Schloss des Königs zubewegt. Aber das ist doch ein Ding der Unmöglichkeit. Oder etwa nicht?

    In bester Tradition

    Orson Welles, Roman PolanskiAkira Kurosawa – einige der größten Regisseure der Filmgeschichte haben sich bereits an Adaptionen eines der berühmtesten und auch blutigsten Stücke Shakespeares versucht. Vor ein paar Jahren sollte dann Frances McDormand in einer Bühnen-Produktion die Rolle der Lady Macbeth verkörpern – und so fragte sie ihren Ehemann Joel Coen, ob er nicht Interesse hätte, die Regie zu übernehmen. Doch Joel sah sich im Gegensatz zu seinem etwas älteren Bruder Ethan, der inzwischen selbst Theaterstücke schreibt, ausschließlich als Filmregisseur.

    Statt einer Theaterinszenierung kam ihm jedoch ein Film in den Sinn. Aber wer sollte die Titelrolle spielen? Praktischerweise hatte er kurz zuvor Denzel Washington zum Essen getroffen. Man plauderte und irgendwann fiel der gerade in Hollywood meist folgenlose Satz: „Wir sollten mal was zusammen machen.“ Aber in diesem Fall lag die Sache anders. Washington hatte auf der Bühne schließlich schon oft in Shakespeare-Adaptionen brilliert – warum also nicht auch in einem Joel-Coen-Film?

    Kathryn Hunter ist nicht nur eine großartige Theaterschauspielerin - sie kann auch verdammt fies ihre Gelenke verdrehen.

    Vermutlich muss man zur Beantwortung der Frage nach dem „Warum?“ gar nicht weiter gehen. Bei einer solch hochkarätigen Besetzung, die es zugleich sehr viel leichter macht, ein auf dem Papier derart unkommerzielles Projekt finanziert zu bekommen, kann vermutlich kein Regisseur Nein sagen. Dass beide Stars schon über 60 sind, macht diese Version zu einem „Post-Menopause Macbeth“, wie es McDormand selbst bezeichnete. Dass das Paar Macbeth keine Kinder hat und allein aufgrund des Alters auch keine mehr bekommen wird, macht ihre Position im schottischen Ränkespiel besonders fragil, verleiht ihren Machtambitionen besondere Relevanz.

    Hier ist es vor allem Lady Macbeth, die ihren von Schuldgefühlen zunehmend in den Wahnsinn gedrängten Gemahl immer weiter antreibt, die Prophezeiungen wahr werden zu lassen. Die Hexen geben den Weg vor – und einen alternativen Ausweg scheint es nicht zu geben. Es ist nicht schwer, hier jenen Fatalismus zu erkennen, der die Werke der Coen-Brüder von „Blood Simple“ über „Fargo“ bis hin zu „No Country For Old Men“ seit jeher prägt. Vielleicht ein weiterer Grund für Joel, sich des Projekts anzunehmen …

    Genießen in gestochenem Schwarz-Weiß

    … wobei die Frage nach dem „Warum?“ eh hinfällig ist, wenn man sich auf den Film nur einlässt: Nicht nur die beiden Stars sind herausragend, auch der Rest des hochkarätigen Ensembles ist brillant – am eindrucksvollsten sicherlich Kathryn Hunter, die in der Rolle der drei Hexen ihre Gliedmaßen ganz schauerlich verdreht, als sei sie aus Gummi. Die Inszenierung von Coen ist – passend zu den hochstechenden Wortschöpfungen Shakespeares – ebenfalls extrem stilisiert: Im altmodischen 4:3-Format und in brillantem schwarz-weiß wurde komplett im Studio gedreht – selbst wenn der Schauplatz gerade das nach brutalistisch anmutende Schlossinnere, eine windige Klippe oder der sich schließlich in Bewegung setzende Wald ist.

    Der ohnehin schon an deutschen Expressionismus erinnernde Stil wird durch die Lichtsetzung von Kameramann Bruno Delbonnel noch verstärkt: Wie Schwerthiebe durchziehen die Schatten das Geschehen und lassen die Furchen auf Washingtons Gesicht noch tiefer erscheinen. Selbst wenn das immens erfolgreiche Coen-Brüder-Regie-Duo Geschichte sein sollte: Wenn Joel weiter mit solcher Lust an der Stilisierung und am Experiment Filme macht, darf man sich wohl noch auf manch einen tollen Film freuen. Auch wenn es dann „nur“ die x-te Verfilmung eines Shakespeare-Stücks sein sollte.

    Fazit: Mit viel Lust an stilistischen Experimenten und einer brillanten Besetzung inszeniert Joel Coen seine erste Solo-Regiearbeit. Inhaltlich hält er sich bei „Macbeth“ eng an die Vorlage von William Shakespeares – aber im Fall eines der berühmtesten und besten Dramen überhaupt muss das ja nichts Schlechtes sein, ganz im Gegenteil.

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