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    Rifkin's Festival
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    1,5
    enttäuschend
    Rifkin's Festival

    Den 51. Kinofilm von Woody Allen darf man ruhig überspringen

    Von Jochen Werner

    Mort Rifkin (Wallace Shawn) hat einmal ein Filmseminar an der Universität unterrichtet, wie er nicht müde wird, jedem, mit dem er ins Gespräch kommt, zu erzählen – und dieses Seminar muss ganz fürchterlich gewesen sein: Über die Filme der großen europäischen Meisterregisseure habe er seine Studierenden darin belehrt, und dass Mort seit mindestens einem halben Jahrhundert keinen neuen Film mehr gesehen hat, der ihm gefällt. Somit versteht es sich im Grunde von selbst, dass bei Morts Besuch des Filmfestivals von San Sebastián im Schlepptau seiner deutlich jüngeren Gattin Sue (Gina Gershon), die als Presseagentin des gehypten Jungregisseurs Philippe (Louis Garrel) tätig ist, sehr unterschiedliche Kulturen aufeinanderprallen: Da ist einmal der im ganz klassischen Woody-Allen-Stil neurotisch-hypochondrische ältere Intellektuelle, der abgesehen vom engeren Kanon um Bergman, Fellini, Truffaut, Godard und Kurosawa nichts kennt (oder auch nur kennen will) …

    … und auf der anderen Seite der aufgeblasene, junge Windbeutel, der Gemeinplätze im Stil von „Krieg ist Hölle“ als politische Einsichten verkauft und mit seinem nächsten Film den Nahostkonflikt zu lösen hofft. Und dazwischen, natürlich, eine Frau. So ungläubig wie machtlos sieht Mort nämlich von der ersten Begegnung mit Philippe zu, wie Sue an dessen Lippen hängt und jedes noch so prätentiöse Bonmot wie einen spontanen Geistesblitz aufsaugt. Dass seine Ehe sich dem Ende zuneigt, weiß er dabei vielleicht vom Beginn der gemeinsamen Reise an – erträglicher wird ihm der Gedanke freilich erst, als er selbst beginnt, der im Vergleich zu Sue noch einmal ein bis zwei Jahrzehnte jüngeren Ärztin Jo (Elena Anaya) nachzustellen. Die ist nämlich wiederum in einer unglücklichen Ehe mit einem deutlich älteren Mann gefangen. Zumindest bringt das Mort so beim Cocktail an der Strandbar mit dem Festivalteam geflissentlich in Erfahrung…

    Wie in den meisten seiner Filme, in denen er nicht selbst mitspielt, gibt es auch in "Rifkin's Festival" ein Woody-Allen-Alter-Ego - diesmal gespielt von Wallace Shawn.

    Über die Filme von Woody Allen würde sein Protagonisten Mort Rifkin vermutlich etwas Ähnliches sagen wie über den Zustand des Kinos allgemein: Seine ganz großen Meisterwerke sind vielleicht noch keine 60 oder 70 Jahre her, aber zumindest eher weiter zurück im 20. Jahrhundert zu suchen. In den jüngeren Dekaden war Allens Schaffen hingegen bestenfalls als wechselhaft zu umschreiben: Alle paar Filme rafft er sich noch einmal zu ein wenig Ambition auf, ohne dabei je die Höhen von „Der Stadtneurotiker“, „Manhattan“ oder „Verbrechen und andere Kleinigkeiten“ zu erreichen. All die anderen Filme zwischendurch werfen hingegen mehr oder weniger charmant und mehr oder weniger faul erprobte Manierismen aus einem halben Jahrhundert Allen zusammen. „Rifkins Festival“ zählt nun definitiv zu diesen ambitionslosen Zwischenfilmen – und eine eigene, originelle Idee ist in den anderthalb Stunden eher nicht zu entdecken.

    Fast schon überdeutlich zeigt sich dies in einer Reihe schwarzweißer Traumsequenzen, in denen Allen ikonische Sequenzen aus den Filmen der „großen Meisterregisseure“, von denen Mort andauernd schwadroniert, nachinszeniert und persifliert. Von „Citizen Kane“ über „Jules und Jim“ und „Der Würgeengel“ bis zum unvermeidlichen „Das siebente Siegel“ (mit Christoph Waltz als schachspielendem Tod) reicht da das Spektrum, einmal quer durchs Alleroffensichtlichste, und eigentlich funktioniert keine einzige dieser Sequenzen, die „Rifkins Festival“ eher platter und staubiger wirken lassen als ihm, wie wohl ursprünglich vorgesehen, eine spielerische Nuance zu verleihen. Solche Hommage-artigen Sequenzen in einen funktionierenden Film zu integrieren und ihnen gleichzeitig einen gewissen Witz wie auch eine existenzielle Schwere zu verleihen, ist Allen früher durchaus gelungen, am eindrucksvollsten wohl in „Stardust Memories“, einem seiner großen Meisterwerke, das in wesentlichen Passagen ebenfalls auf einem Filmfestival spielt. Der Allen von 1980 und 2020 bearbeiten zwar allem Anschein nach exakt dieselben Themen, ohne sich dazwischen intellektuell groß weiterbewegt zu haben – in Bezug auf inszenatorische Ambition und Interesse an den eigenen Figuren und ihren Geschichten aber kann man die beiden kaum noch zusammenbringen.

    Ein stetiger Abstieg

    Leider kommt inzwischen auch noch dazu, dass die jüngeren Arbeiten Allens zunehmend jeden visuellen und atmosphärischen Reiz verlieren. In seiner losen Reihe europäischer Stadtfilme (von „Midnight in Paris“ über „Vicky Cristina Barcelona“ bis zum Tiefpunkt „To Rome With Love“), die sich fortschreibt, seit Allen seinen Dauerdrehort New York wohl auch aus budgetären Gründen aufgegeben hat, liefert er zumindest noch zwar recht klischeehafte, aber zumindest hübsche Postkartenansichten. Aber in „Rifkins Festival“ fällt Allen und seinem Kameramann Vittorio Storaro zu San Sebastián außer völlig austauschbaren Szenarien zwischen Strand und Altstadt so rein gar nichts mehr ein. Eine flache, fernsehhafte Optik tut ihr Übriges dazu, dass hier eigentlich kaum noch etwas an einen echten Kinofilm erinnert.

    Zwar fürs Kino produziert, setzt er damit doch eine längere, mehrstufige Abwanderung von Allens Filmen von der Kinoleinwand fort, die mit der Miniserie „Crisis In Six Scenes“ für Amazon Prime ihren Anfang nahm und sich im zunehmenden Gecancelt-Werden von Allens jüngeren Filmen, insbesondere in den USA und infolge der wieder aufgegriffenen Missbrauchsvorwürfe durch Dylan Farrow, fortsetzt. „Rifkins Festival“ wirkt nun tatsächlich wie ein lustloses Nebenwerk eines ausgebrannten Regisseurs, der zwar wild entschlossen ist weiterzuarbeiten, der aber resignierend akzeptiert hat, dass seine Alterswerke auf den großen Leinwänden auch der Festivalwelt, die ihn bis vor wenigen Jahren trotz mitunter recht mauer neuer Filme stets mit offenen Armen willkommen hieß, nicht mehr gern gesehen sind.

    Publizistin Sue (Gina Gershon) ist hin und weg von ihrem neuen Klienten, dem Jungregisseur Philippe (Louis Garrel).

    Dieser Abstieg von Allen vom Altmeister, mit dem ganz Hollywood zum Tariflohn drehen wollte, zum Paria schreibt sich auch in die Besetzungsliste von „Rifkins Festival“ überdeutlich ein. Anstatt hippe Jungstars wie Timothée Chalamet, Elle Fanning oder Kristen Stewart zu besetzen, versucht Allen nun, aus der Not eine Tugend zu machen und mit Wallace Shawn, Gina Gershon oder Ex-„Police Academy“-Star Steve Guttenberg in Vergessenheit geratene oder als ewige Nebendarsteller abgestempelte Charakterdarsteller*innen zu casten, bei denen man sich immerhin freuen darf, sie nach langer Abstinenz mal wieder auf der Leinwand zu sehen. Dennoch wünscht man ihnen und sich am Ende vor allem, Allen hätte sich etwas mehr Mühe und ihnen etwas mehr zu tun gegeben.

    Fazit: Im qualitativ sehr wechselhaften Schaffen Woody Allens im 21. Jahrhundert mag es schon den einen oder anderen ähnlich schwachen Film gegeben haben. Einen, der so wenig versucht, der sich mit so abgehangenen Versatzstücken besserer Filme und mit derart flachen Digitalbildern zufriedengibt, gab es aber vielleicht noch nicht. Ob man dem umstrittenen Allen einen besseren Abschied von der Kinoleinwand wünscht, darüber mögen die Meinungen auseinandergehen. Ein würdiger Nachlass wäre „Rifkins Festival“ jedenfalls nicht.

     

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