Die deutsche Disney-Konkurrenz macht mächtig gute Laune!
Von Oliver KubeAnimations-Projekte fürs Kino brauchen zeitlich meist deutlich länger als Realfilme. An großen Hollywood-Produktionen wie etwa „Encanto“ oder „Rot“ arbeiteten die Macher*innen in der Regel vier bis fünf Jahre. Beim ursprünglich von der Hamburger Produzentin Maite Woköck („Niko 2“) erdachten Animations-Abenteuer „Meine Chaosfee & ich“ hat es nun sogar satte 13 Jahre von der Idee (ursprünglich noch für eine TV-Serie) bis zum Film auf der Leinwand gebraucht. Das hatte sicherlich auch etwas mit den Schwierigkeiten der Finanzierung eines solchen Projekts zu tun. Hauptsächlich waren es hier aber offenbar kreative Hindernisse, die das Ganze immer wieder aus- und abbremsten. Erst als Woköck nach verschiedenen vergeblichen Anläufen in der Drehbuchautorin Silja Clemens und der Regisseurin Caroline Origer die perfekten Kollaborateurinnen fand, konnte es ernsthaft losgehen.
Das war im März 2020. Und was damals passierte, wissen wir alle wohl nur noch allzu gut. Trotz der hierzulande just richtig losgehenden Pandemie wurde der Film dennoch innerhalb von nur etwas mehr als zwei Jahren fertiggestellt. Was – nach dem langen Anlauf – fast schon beängstigend flott ist. Erfreulicherweise ist der elfjährige Stotterstart dem Ergebnis überhaupt nicht anzumerken. Im Gegenteil: „Meine Chaosfee & ich“ ist visuell beeindruckend, erzählt eine stimmige Story und macht rundum einen frischen, originellen Eindruck sowie vor allem eines: mächtig Spaß!
Man kann sich irgendwie schon vorstellen, warum Violetta bereits wiederholt durch ihre Zahnfee-Prüfung gerasselt ist.
Für die Zahnfee-Anwärterin Violetta (Stimme: Jella Haase) wird es langsam mal Zeit, dass sie die Abschlussprüfung schafft. Immerhin ist sie dabei schon x-mal durchgerasselt. Während etwa der neunmalkluge Yolando (Julian Mau) die Simulation eines nächtlichen Besuches in einem Kinderzimmer – inklusive des Austauschens eines ausgefallenen Milchzahns gegen ein Geschenk –auf Anhieb meistert, geht bei Violette auch dieses Mal wieder alles schief. Was bedeutet, dass sie erneut keinen Edelstein erhält, mit dem sie fortan zwischen der Menschenwelt und ihrer Heimat hin und her beamen könnte. Stattdessen soll Violetta ein weiteres Jahr warten, um eine neue Chance zu bekommen.
Doch jetzt reicht es ihr. Frustriert klaut Violetta einfach Yolandos Edelstein und landet wenig später mit lautem Getöse im Schlafzimmer der zwölfjährigen Maxie (Lisa-Marie Koroll). Ungeschickt, wie Violetta nun mal ist, zerbricht sie dabei das Juwel und muss nun einen Weg finden, dieses zu reparieren. Denn länger als ein paar Tage kann sie nicht in der Menschenwelt verweilen, sonst verwandelt sie sich in eine Pflanze. Und das will sie auf keinen Fall. Maxie hat aktuell zwar jede Menge eigener Probleme, will ihrer neuen Bekannten aber trotzdem gern helfen. Nur wie? Schließlich hat sie doch schon länger selbst gar keine Milchzähne mehr…
Im ersten Moment ist die doch recht grelle, primär rosa, violett und leuchtend grün gehaltene Farbpalette der Feenwelt noch arg gewöhnungsbedürftig. Aber das ist gar nicht verkehrt. Hat man sich als Zuschauer*in nämlich erst einmal mit der Optik arrangiert, stellt man schnell fest, dass diese nicht unerheblich dazu beiträgt, dem Ganzen einen ganz eigenen Look zu geben. Der unterscheidet sich in Bezug auf die Farben und auch die etwas scharfkantigeren Gesichter der Figuren nämlich angenehm vom allgegenwärtigen Standard der Hollywood-Konkurrenz.
Und auch die titelgebende Protagonistin ist für einen Film wie diesen nicht unbedingt typisch. Zunächst fällt es tatsächlich nicht gerade leicht, Violetta mit ihrer trotzig-bockigen, fast schon stinkstiefeligen Art zu mögen. Doch dank der Situationen, in denen wir sie kennenlernen, merken wir bald, wie sehr diese Geisteshaltung nur ein Resultat ihrer Enttäuschung und Traurigkeit ist. Will es ihr, trotz ehrlicher Bemühungen, doch einfach nicht gelingen, das zu tun, was ihr – so glauben zumindest sie und alle um sie herum – eigentlich in die Wiege gelegt sein müsste.
Weil Violetta unbedingt einen Milchzahn braucht, „opfert“ sich Maxies kleiner Bruder – aber so leicht ist es gar nicht, selbst einen Wackelzahn aus dem Mund herauszubekommen.
Die andere Hauptfigur, die kleine Maxie, kommt da schon konventioneller daher. Sie ist von Anfang an ein rundum toller junger Mensch – einfach der Traum aller Eltern, Geschwister oder Freund*innen. Und doch wirkt sie nicht wie eine Fabelfigur, sondern wird gerade durch ihre kleinen Probleme lebendig: So ist sie zu Beginn verständlicherweise traurig, dass sie ihr geliebtes Heim, das große Haus im Grünen, gegen eine enge Wohnung in der lauten, miefenden Stadt tauschen soll. Trotzdem merken wir gleich, dass sie nicht nur an sich selbst denkt. Wir erfahren, dass sie sich sozial und ökologisch engagiert. Zudem zeigt sie durchaus Verständnis dafür, dass ihre Mutter mit ihr umziehen will. Sie gönnt ihr das Glück mit einem neuen Lebenspartner und versucht, sich mit der Situation zu arrangieren, so gut es eben geht. Auch wenn ihre rowdyhaften Stiefbrüder sie in der neu entstandenen Patchwork-Familie alles andere als herzlich willkommen heißen.
Bereits bei ihrer ersten Begegnung ist zu merken, dass die überdrehte Violetta sowie die für ihr Alter erstaunlich überlegt handelnde Maxie ein unterhaltsames Team abgeben werden. Was zum großem Teil schon hier an den Performances ihrer Sprecherinnen liegt. „Fack ju Göhte“-Star Jella Haase präsentiert ihre Textzeilen mit fast schon trompetendem Gusto, während die als Tina aus der „Bibi & Tina“-Reihe bekannt gewordene Lisa-Marie Koroll deutlich zurückgenommener agiert. So charakterisieren sie ihre Figuren selbst für Kinder umgehend verständlich und entwickeln dabei eine interessante, jederzeit authentische freundschaftliche Dynamik.
Die Message der Handlung ist zielgruppengerecht zwar nicht besonders subtil, aber dafür klar verständlich. Geht es doch neben den Vorzügen von Freundschaft und Zusammenarbeit vor allem darum, sich selbst zu akzeptieren – mit allen Eigenarten und vielleicht sogar Fehlern, die dazu gehören. Jeder Mensch und natürlich auch jede Fee hat einen Wert und spezielle Talente, die man eben manchmal erst noch mit etwas Selbstvertrauen herausfinden muss. Dank der tickenden Uhr, die uns geschickt in Form der drohenden Pflanzen-Verwandlung Violettas verfolgt, kommt dabei sogar einiges an Spannung auf. Zuerst wird aus ihrem Fuß schon mal ein Blatt und die linke Hand fängt bereits an, sich grün zu färben. Das ist zwar schon ganz schön dramatisch, dürfte aber selbst die kleinsten Kinogänger nicht allzu sehr gruseln oder gar ängstigen. Schließlich gibt es neben den optischen Reizen auch so noch eine Menge zu lachen.
Schon das Zahnfee-Testszenario zu Beginn ist eine klasse Idee. Das Ganze wirkt fast wie bei einer Spielshow im Fernsehen. Die spaßigste Szene ist aber die, in der die beiden Gefährtinnen versuchen, dem frechen kleinen Bruder einen ohnehin schon wackligen Milchzahn auszubrechen. Den brauchen sie, damit Violetta versuchen kann, zurück in ihre Heimat zu kommen. Anstatt einfach eine Zange zu nehmen, werden hier die umständlichsten Konstruktionen aufgebaut, die sich zwei fantasievolle Kids und eine verzweifelte Fee nur ausdenken können. Mit dem Ergebnis, dass alles Mögliche zu Bruch geht, nur eben nicht der hartnäckige Beißer.
„Meine Chaosfee & ich“ ist durchgehend mitreißend und wirbt dabei auf sympathisch-unaufdringliche Art für Empathie gegenüber anderen sowie für Rücksicht auf die Natur.
Fazit: Der eigenständige visuelle Stil sowie die turbulent-temporeiche, zwischendurch sogar richtig spannende Story um Freundschaft und Selbstvertrauen sorgen für eines der schönsten Animationsabenteuer aus europäischer Produktion der letzten Jahre.