Eher nicht der nächste “Training Day”
Von Oliver KubeAls die Irakkriegsveteranin Alicia West als Polizei-Anfängerin in ihr altes Viertel in New Orleans zurückkehrt, findet sie sich dort zwischen den Fronten wieder: Ihre ehemaligen Freunde und Nachbarn wollen nichts mehr mit ihr zu tun haben, weil sie nun ein Cop (= „Blue“) ist. Ihre (korrupten) neuen Kollegen sehen die junge schwarze Frau (= „Black“) aber genauso wenig als eine der ihren. Regisseur Deon Taylor („The Intruder“) und sein Autor Peter A. Dowling („Flightplan“) starten ihren Action-Thriller „Black And Blue“ mit einer vielversprechenden Konstellation, die eine ambivalente Auseinandersetzung mit der explosiven soziopolitischen Lage in einigen US-Großstädten zwischen außer Kontrolle geratener Kriminalität und einem ineffektiven, teils schwer rassistischen Polizeiapparat anteasert.
Aber obwohl Taylor dafür den italienischen Kameramann Dante Spinotti („Heat“, „L.A. Confidential“ und „The Insider“) zur Verfügung hat, der New Orleans tatsächlich immer wieder als menschenfeindlichen, unwirtlichen Ort in atmosphärisch-intensive Bilder hüllt, erfüllt „Black And Blue“ das Versprechen des Titels und des Szenarios nur in einzelnen Szenen. Stattdessen verlässt sich Taylor mit fortlaufender Spieldauer dann doch immer mehr auf die üblichen Genre-Klischees sowie zwar angenehm handgemachte und knallharte, aber auch ziemlich generische Action-Einschübe. Sein großes Glück dabei: Naomie Harris rockt in der Hauptrolle!
Trägt den Film quasi im Alleingang: Naomie Harris als Ex-Soldatin Alicia West.
Nach drei Wochen in ihrem Job in einem Problembezirk von New Orleans hat die idealistische Alicia (Naomie Harris) verstanden: Als schwarze Streifenpolizistin wird sie es hier nicht leicht haben! So richtig haarig wird die Situation, als sie während eines vermeintlichen Routineeinsatzes mit ihrer Body-Cam korrupte Kollegen filmt, die eine Gruppe von Drogendealern regelrecht exekutiert. Alicia kann zwar schwer verletzt entkommen, muss nun aber irgendwie versuchen, zurück zur Wache zu gelangen, um dort das Videomaterial auf den Polizeiserver hochzuladen.
Doch die Verschwörung innerhalb des Departments ist deutlich weitreichender als von Alicia zunächst vermutet. Und zu allem Überfluss überzeugt der korrupte Cop Terry Malone (trägt bisweilen arg dick auf: Frank Grillo) den lokalen Gangsterkönig Darius (Marvels „Luke Cage“: Mike Colter) dann auch noch davon, dass es Alicia war, die die Dealer erschossen hat. Alicias einziger, noch dazu eher unfreiwilliger Verbündeter ist Milo (Tyrese Gibson), ein Bekannter aus Kindheitstagen und Angestellter des kleinen Supermarkts, in den sie in ihrer Not zunächst flüchtet...
Nach diversen Engagements in britischen Kinder- und Jugend-TV-Serien wie „The Tomorrow People“ lernten die erwachsenen Zuschauer Naomi Harris erstmals als toughe Überlebende der Zombie-Apokalypse in Danny Boyles packendem Endzeit-Horror „28 Days Later“ kennen. Es folgten sehenswerte Auftritte etwa in „Miami Vice“, „Fluch der Karibik 2 + 3“ sowie „Southpaw“. Ihre bisher stärkste Leistung lieferte die Schauspielerin allerdings in Barry Jenkins‘ sensationellem Coming-Of-Age-Drama „Moonlight“ ab, wofür sie dann auch direkt mit einer Oscarnominierung belohnt wurde. Am bekanntesten hingegen ist sie wohl als Miss Moneypenny in den James-Bond-Filmen mit Daniel Craig (sogar ein Spin-off um ihre Figur war mal im Gespräch). Nun ist sie zudem das eindeutige Highlight von „Black And Blue“.
Das zeigt sich gleich in einigen der frühen Szenen, die zudem zeigen, wohin sich „Black And Blue“ auch hätte entwickeln können, wenn die Macher ihre provokante Prämisse konsequenter weiterverfolgt hätten: Alicia absolviert in einer nicht ganz so heruntergekommenen Gegend der Stadt ihr morgendliches Jogging, als sie von zwei Polizisten willkürlich angehalten und mit voller Wucht gegen einen Zaun geschleudert wird. „Was hast du in meinem Viertel zu suchen?“, brüllt der eine sie an. Sie beteuert, sie würde dort wohnen, als der andere Beamte ihren Dienstausweis findet und die Zwei widerstrebend von ihr ablassen. Die folgende Entschuldigung ist nicht einmal halbherzig: „Du weißt doch selbst, wie es ist...“ Diese Begegnung hätte leicht zu einem klischeehaften Einen-Punkt-machen-Moment verkommen können, aber das verhindert schon Harris‘ Spiel, das den Zuschauer bereits in den ersten Sekunden vollkommen auf ihre Seite zieht.
Während einer ähnlich desillusionierenden Sequenz klopft die angeschossene Alicia auf der Flucht vor den korrupten Kollegen an mehrere Türen des Viertels, in dem sie einst selbst aufgewachsen ist. Sie bettelt geradezu um Unterschlupf, aber niemand lässt sie herein. Wer überhaupt antwortet, weist sie schroff ab – teilweise aus Angst, in etwas hineingezogen zu werden, hauptsächlich aber, weil sie eine Polizeiuniform trägt. Harris spielt die im Häuserkampf erfahrene Ex-Soldatin in diesen Szenen nicht nur glaubhaft kompetent, sondern auch erschrocken und ernüchtert ob der ständigen Abweisungen – das Ergebnis sind die mit Abstand intensivsten zehn Minuten des Films, die so ähnlich auch im Irak spielen könnten. Sobald Alicia die blaue Uniform trägt, ist sie ein Feind in ihrer eigenen Heimat – fast so wie einst im Krieg.
Gerade in der zweiten Hälfte verlässt sich Regisseur Taylor dann aber doch sehr auf stereotype Figuren wie den dummdreisten „Bad Cop“ Smitty (Beau Knapp, „Death Wish“) oder den in einem lächerlich geschmacklosen Pelzmantel herumstolzierenden, wie ein Blaxploitation-Zuhälter aus den Siebzigern aussehenden Gangsterboss Darius. Daneben gibt es handwerklich ansprechend gemachte, letztlich aber generisch wirkende Schießereien und Verfolgungsjagden zu Fuß und mit dem Auto. Deren Ausgang ist allerdings durch die Bank nicht nur absehbar, sie dauern auch allesamt zu lang.
Der einzige Verbündete: Tyrese Gibson als Supermarkt-Verkäufer Milo.
Neben der jederzeit glaubhaft und authentisch agierenden Naomie Harris sticht so lediglich noch Tyrese Gibson als Alicias einziger Verbündeter in all dem Wahnsinn heraus. Im Gegensatz zu seinen eher überzogenen Auftritten in den „Fast & Furious“-Krachern zeigt sich Gibson hier erstaunlich effizient und zurückhaltend. Ansonsten wird leider nicht viel Besonderes geboten. Nahezu jede Situation und jedes Set-Piece wurde schon vor Jahren in „Training Day“, „Dark Blue“ oder der TV-Serie „The Shield“ auf ähnliche und oft interessantere Art erzählt beziehungsweise ins Bild gesetzt.
Fazit: Trotz der vielversprechenden Prämisse und der starken Leistung von Naomie Harris bleibt „Black And Blue“ hinter seinen Möglichkeiten. Letztendlich setzt Regisseur Deon Taylor dann doch auf das eine oder andere Klischee zu viel.