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    Ich war noch niemals in New York
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Ich war noch niemals in New York

    Die deutsche Antwort auf "Mamma Mia!"

    Von Oliver Kube

    2007 feierte „Ich war noch niemals in New York“ seine Weltpremiere in Deutschlands Musical-Hauptstadt Hamburg. Über eine Million Menschen sahen das um die Songs des Schlager-Superstars Udo Jürgens (1934-2014) aufgebaute Bühnenstück während seines ersten Laufs in der Hansestadt, bevor es noch in weiteren deutschen Städten, aber auch in Wien, Zürich und sogar Tokio aufgeführt wurde und weiterhin wird. Nachdem im Sommer 2019 bereits der sechsmillionste Besucher begrüßt werden konnte, erscheint der Schritt von der Bühne auf die Kinoleinwand nun logisch. Wie beim offensichtlich als Vorbild dienenden Mega-Hit „Mamma Mia!“ werden dramatische, komödiantische und romantische Elemente munter gemischt. Unter der Leitung von „Nordwand“-Regisseur Philipp Stölzl entsteht so ein Jukebox-Musical, das aber eine Weile braucht, bis es in die Gänge kommt.

    Die Quoten der Promi-Klatsch-Sendung von TV-Moderatorin Lisa Wartberg (Heike Makatsch) befinden sich im alarmierenden Sinkflug. Deshalb hat sie keine Zeit, sich um ihr seit Jahren brachliegendes Liebesleben oder gar ihre einsame Mutter Maria (Katharina Thalbach) zu kümmern. Als die alte Dame nach einem Sturz in ihrem Apartment einen kompletten Gedächtnisverlust erleidet und aus dem Krankenhaus ausbüxt, finden Lisa und der ihr helfende Maskenbildner Fred (Michael Ostrowski) sie auf einem Kreuzfahrtschiff, das gerade im Begriff ist, nach New York abzulegen, wieder. Durch eine Verkettung unglücklicher Umstände schaffen sie es nicht rechtzeitig von Bord. Als blinde Passagiere entlarvt, werden sie umgehend zum Putzdienst verdonnert. Damit beginnt eine turbulente Reise, in die auch der etwas stoffelige Witwer Axel (Moritz Bleibtreu), der Lounge-Magier Costa (Pasquale Aleardi) und ein alternder Gigolo namens Otto (Uwe Ochsenknecht) involviert sind…

    Eine bunte Truppe.

    Gegenüber der Bühnen-Vorlage wurde die Handlung des Kinofilms stark überarbeitet. Das beginnt schon mit Kleinigkeiten wie dem Beruf des hier nicht als Tierfotograf, sondern als Statistiker in Darmstadt arbeitenden Axel. Dieser dröge Job erscheint Regisseur Stölzl und seinem Co-Drehbuchautor Alexander Dydyna („Der Vorname“) offenbar noch passender für den von Moritz Bleibtreu („Das Experiment“) als pedantischen Langweiler interpretierten Single-Vater. Dazu wurden komplette Figurenbiografien, -beziehungen und -dynamiken umgedichtet. Uwe Ochsenknechts („Schtonk!“) Otto ist eines der krassesten Beispiele dafür. Die meisten Änderungen tragen im späteren Verlauf zum Gelingen bei. Leider geht jedoch ausgerechnet der Einstieg grandios in die Hose und man ist als Zuschauer bereits zu einem frühen Zeitpunkt kurz davor, die Lust an „Ich war noch niemals in New York“ zu verlieren.

    Denn die ersten 20 bis 25 Minuten sind teilweise sehr anstrengend. Wir lernen Lisa als eingebildete, selbstsüchtige Zicke kennen, die unter Druck steht und akute Gefahr läuft, ihren heiß geliebten Job zu verlieren. Illustriert wird dies mit Bildern, die ein hypernervöses Gefühl erzeugen. Während Lisas hektisches Leben so durchaus verdeutlicht wird, ist unverständlich, warum alles auch so fahrig und gehetzt wirkt, wenn Thomas Kiennasts („3 Tage in Quiberon“) Kamera bei ihrer Mutter verweilt, die bis dato eigentlich nur auf dem Sofa sitzt oder in der Küche steht. Selbst wenn auf dem Schiff der Kapitän (Stefan Kurt, „Und der Zukunft zugewandt“) den Jürgens-Klassiker „Aber bitte mit Sahne“ singend die Passagiere empfängt, inszenierte Stölzl, der schon für Superstars wie Rammstein, Madonna oder Die Toten Hosen Musikvideos machte, dies ungemein hektisch.

    Da müssen ja Songs rein!

    Der Regisseur zwängt hier einfach zu viel Exposition rein und arbeitet zudem mit einer übermäßigen Anzahl von Schnitten (Editor: Sven Budelmann, „Der Medicus“). Es wird versucht, zusätzlich zur Hauptstory innerhalb kürzester Zeit die schwierige Mutter-Tochter-Beziehung als auch die bis dahin recht einseitige Freundschaft zwischen Lisa und Fred zu charakterisieren. Dazu werden neben den restlichen Protagonisten krampfhaft Nebenfiguren, wie zum Beispiel der von Frank Zander gemimte Trucker, der Maria zum Hafen mitnimmt, etabliert, die für den Rest der Geschichte unerheblich sind. Zu allem Überfluss scheint dem Regisseur nur zwischendurch immer mal wieder einzufallen, dass dies ja eigentlich ein Musical sein sollte. Kracher wie „Vielen Dank für die Blumen“ oder der Titeltrack (!) werden zu diesem Zeitpunkt in kurzen, noch dazu durch Sprechpassagen unterbrochenen Fragmenten verschenkt.

    Es dauert so eine gefühlte Ewigkeit, bis das erste Lied kommt, das tatsächlich funktioniert: „Griechischer Wein“, charismatisch dargeboten von Pasquale Aleardi („Kommissar Dupin“), wird endlich etwas ausführlicher und ohne nennenswerte Brüche präsentiert und reißt prompt mit. Und schon läuft „Ich war noch niemals in New York“ deutlich runder – bis hin zum großen Finale. Sich nun sehr gut ins Geschehen einfügende und über weite Strecken wirklich Laune machende Songs wie „Mit 66 Jahren“, das verträumte „Gib‘ mir deine Angst“ oder das flott jazzig arrangierte „Alles, was gut tut“ machen Spaß, den auch viele kleine, oft sehr gelungene Gags am Rande zusätzlich erhöhen. Und auch der auf den ersten Blick vielleicht etwas befremdliche Look erweist sich schnell als sehr interessant.

    Alles ist eine Bühne!

    Recht offensichtlich, denn daraus wird visuell wirklich kein Geheimnis gemacht, wurde keine Sekunde an real existierenden Locations gedreht. Keine Wohnung, keine Schiffskabine, weder Lisas TV-Studio noch ein Schnellimbiss-Restaurant wirken echt, sondern durch die Bank wie auf eine Bühne gestellt. Selbst bei Außenszenen im Hamburger Hafen, einer Autobahnfahrt oder an Deck des gigantischen Kahns sieht der Hintergrund nicht nur wie gemalt aus. Er ist es. Was völlig okay ist. Man muss nur bereit sein, sich darauf einzulassen und das Alles als eine Art Märchen zu akzeptieren. Zudem verweist Regisseur Stölzl, der selbst schon einige der größten Klassiker an bedeutenden Opernhäusern in Szene setzt, damit natürlich auf das die Bühnen-Musical-Vorlage.

    Entsprechend der aus dieser Optik resultierenden, leicht surreal anmutenden Atmosphäre werden Kulissen, Requisiten, Frisuren und Kostüme verwendet, die uns aus dem Kino der 1950er bis 1980er bekannt vorkommen dürften; gewürzt mit ein paar modernen Errungenschaften wie Smartphones und Laptops. Ein solches Retro-Ambiente passt prima zur sich aus der Naivität, Melancholie und/oder Nostalgie vieler von Jürgens‘ Songtexten speisenden Geschichte, die trotzdem stimmig erzählt ist. Lieder stammen natürlich größtenteils aus einer Zeit, als etwa die USA sehr weit entfernt schienen und in den Köpfen der vom Wirtschaftswunder berauschten, dann wieder vom Kalten Krieg eingeschüchterten Nachkriegsdeutschen der Inbegriff der Freiheit waren. Schon eine Textzeile wie „Ich war noch niemals in New York, ich war noch niemals richtig frei“ illustriert dies durchaus passend – und genau das transportieren die Bilder auch sehr gelungen.

    Starke Stimmen sorgen für Ohrwürmer

    Das prominente Ensemble trägt die Lieder sehr vielfältig vor. Als neben Aleardi mit Abstand bester Sänger erweist sich Uwe Ochsenknecht, der flotte wie nachdenkliche Nummern mit Power und Überzeugung meistert. Obwohl Heike Makatsch mit ihrer Phrasierung gelegentlich ein wenig zu sehr an die von ihr in „Hilde“ verkörperte Hildegard Knef erinnert, sind auch ihre Einlagen absolut passabel. Moritz Bleibtreu und Katharina Thalbach fallen auf den ersten Blick ab, weil sie weniger singen, sondern eher melodisch sprechen – was aber auch eine ganz eigene Seite mit sich bringt, vor allem da beide mit Ausdruck überzeugen. Und natürlich haben auch im Kino viele der über 20 Klassiker Ohrwurm-Qualität, allen voran das von Bleibtreus Filmsohn, Newcomer Marlon Schramm, emotional intonierte „Liebe ohne Leiden“, das zum Ende dann noch mal deutlich ausführlicher zum Besten gegebene Titellied sowie der legendäre Mitsing-Hit „Griechischer Wein“.

    Fazit: Nach einem nahezu komplett versiebten Auftakt bekommt das Musical doch noch die Kurve. Es wird locker und schwungvoll gesungen und getanzt, während die Stimmung im Kinosaal mächtig steigen dürfte.

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