Namen sind Schall und Rauch. Das sagt zumindest der Volksmund. Oder steckt doch mehr dahinter? Konkret: Ist man bescheuert, wenn man seinen Sohn Adolf nennt? Sönke Wortmann gibt darauf in seiner Boulevard-Komödie „Der Vorname“ eine teils furios-witzige Antwort. In seiner Neuverfilmung des gleichnamigen französischen Originals von Alexandre de La Patellière und Matthieu Delaporte aus dem Jahr 2012, das seinerseits auf ihrem eigenen Theaterstück beruht, eskaliert eine hochemotional geführte Diskussion zu einem amüsanten Demaskieren von Wahrheiten, die nie zuvor ausgesprochen wurden. In seinen besten Momenten erinnert „Der Vorname“ an die bösen Pointen von Yasmina Rezas Theaterstück „Gott des Gemetzels“ – selbst wenn der Ton weniger bitter ist und die episodenhaften Geschichten gegen Ende etwas an Fahrt verlieren.
Der Literaturprofessor Stephan Berger (Christoph Maria Herbst) und die Lehrerin Elisabeth Berger-Böttcher (Caroline Peters) laden in ihrem gutbürgerlichen Haus in Bonn zu einem Abendessen. Neben dem klassischen Musiker René (Justus von Dohnányi) trifft Elisabeths jüngerer Bruder Thomas (Florian David Fitz) noch vor seiner schwangeren Freundin Anna (Janina Uhse) ein. Der erfolgreiche Immobilienmakler wird von dem Intellektuellen-Snob Stephan mit Argwohn betrachtet, was aber durchaus auf Gegenseitigkeit beruht. Beim Small Talk platzt dann die verbale Bombe. Thomas eröffnet seinen geschockten Zuhörern, dass ihr noch ungeborener, gemeinsamer Sohn Adolf heißen wird. Besonders Stephen ist völlig außer sich. Er möchte keinen Adolf in der Familie und zweifelt an Thomas‘ Geisteszustand. Doch sein Schwager bringt eine nachvollziehbare Argumentation für die ungewöhnliche Namenswahl vor. Als Anna rauchend und trinkend zur Abendgesellschaft stößt, nimmt die hitzige Diskussion noch mehr an Fahrt auf und eskaliert zusehends…
Es genügen Sönke Wortmann („Frau Müller muss weg“, „Der bewegte Mann“) ein paar Pinselstriche, um seine Figuren äußerst effektiv einzuführen. Dabei sind alle Charaktere mit einem Hauch von Satire sanft hysterisch überzeichnet, aber eben nicht zu sehr. Wenn Christoph Maria Herbst als Literaturprofessor zu Beginn einen bemitleidenswerten Pizzaboten (Serkan Kaya) an der Haustür vorführt, hat man mit einer einzigen Szene eine treffende Charakterisierung: Herbst spielt das überzeugend biestig voller gemeiner Nadelstiche – und trotzdem ist es zugleich auch ungeheuer lustig. Dieses Muster aus kleinen, nicht zu sehr wehtuenden Gemeinheiten und trockenen Pointen trägt „Der Vorname“ über weite Strecken des Films. Bei einem Abendessen mit fünf Personen in einem Haus ist der Raum begrenzt, nur selten blendet Wortmann nach draußen, zum Beispiel zu Thomas‘ und Elisabeths fröhlich kiffender Mutter Dorothea (Iris Berben). Das heißt: Es kommt auf die Dialoge (von Claudius Pläging) an. Und die haben Präzision, Schärfe und Witz.
Beim Verhandeln der bereits erwähnten Adolf-Frage öffnen sich nach und nach schnell weitere Abgründe. Alle Beteiligten drehen emotional schnell im roten Bereich und kommen derart angestachelt und von Wein zusätzlich entfesselt zunehmend aus ihrer zivilisatorischen Deckung: Aufgepeitscht durch die Absurdität und Wucht der Diskussion werden gegenseitig schwere Vorwürfe erhoben, es wird sich beleidigt, verhöhnt und verspottet – all das ausgesprochen, was man sich bisher nie zu sagen traute, weil man den Schein des Anstands wahren wollte. Die pikante Ausgangsfrage rückt irgendwann in den Hintergrund, sie war nur der Auslöser für die entweichende Hysterie.
Wortmann verteilt mit hohem Tempo Seitenhiebe auf die Intellektuellen (wie Stephan), auf die neureichen Emporkömmlinge (wie Thomas) oder das engagierte Gutbürgertum (das von Elisabeth vertreten wird). Später spitzt sich das Gezanke von Stephen gegen Thomas auf ein Duell „Geizkragen vs. Egomane“ zu, wenn sich plötzlich Charaktereigenschaften offenbaren, die bisher nur verborgen zu erahnen waren. So dampft Spießer Stephan die Etiketten von Thomas‘ teuren Weingeschenken ab und klebt sie auf billigen Fusel, den er seinen Gästen als edlen Tropfen „verkauft“. Nur im letzten Akt verliert „Der Vorname“ an Genauigkeit. Die Rückblick-Episode um das tatsächliche Schicksals des toten Familienhundes ist so überkonstruiert, dass man sie lieber ganz weggelassen hätte. Und auch der Schlenker zur Renés Liebesgeschichte wirkt nicht sonderlich stimmig, er ist vielmehr allein auf den Knalleffekt der skandalträchtigen Enthüllung hin inszeniert.
Ein (mehr oder weniger) Fünf-Personen-Stück steht und fällt natürlich (neben dem Drehbuch) mit den Schauspielern. Und da ist „Der Vorname“ exzellent aufgestellt. Christoph Maria Herbst („Stromberg“, „Er ist wieder da“) besitzt nach wie vor die Gabe, Menschen, die eigentlich durch und durch hassenswert sind, zumindest etwas minimal Sympathisches zu entlocken. Auch Florian David Fitz („100 Dinge“) ist als aalglatter Makler nicht gerade der Mann, dem man zunächst in der Geschichte die Daumen drückt. Mit seinem absurden Oberlippenbart ist er herrlich schmierig und doch scharfzüngig und komisch, wenn es darum geht, seine Adolf-These zu vertreten. Caroline Peters („Mord mit Aussicht“) und Justus von Dohnányi („Der Untergang“) treten in dieser Streit-Konstellation als ausgleichendes Element auf, das aber auch in die eine oder andere ausschlagen kann, während sich „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“-Schauspielerin Janina Uhse („High Society“) hier als Kino-Entdeckung erweist. Denn als toughe Anna geht sie in dem Hahnkampf zwischen Stephan und Thomas keineswegs unter, sondern darf sich durchaus als moralische Siegerin fühlen. Das spielt Uhse mit Eigensinn, Charme und Cleverness.
Fazit: In seiner saftigen Komödie „Der Vorname“ setzt Sönke Wortmann einige giftige Spitzen gegen die allzu selbstzufriedene Wohlfühl-Gesellschaft und liefert dazu ein verbales Massaker mit viel Tempo und Witz, dem nur gegen Ende etwas die Luft ausgeht.