Netflix' Kunst-Slasher fehlt der Biss
Von Michael Meyns„Kunst ist gefährlich“ heißt es an einer Stelle des Netflix-Films „Die Kunst des toten Mannes“ - und diese Warnung darf man in diesem Fall getrost wörtlich verstehen! Denn in Dan Gilroys bizarrem Mix aus Slasher-Motiven und Kunstwelt-Satire ist es tatsächlich die Kunst eines toten Mannes, die Vertreter der Kunstwelt von Los Angeles tötet. Warum? Weil Galeristen, Kuratoren und Journalisten die Kunst sowieso nicht zu schätzen wissen, sondern nur auf ihren eigenen Profit aus sind. Das ist allerdings weder eine besondere substanzielle noch sonderlich originelle Analyse des modernen Kunstgeschäfts. Dementsprechend banal mutet der neue Film des „Roman J. Israel, Esq.“-Regisseurs an, der bis zum Schluss über den Status einer konfusen Zusammenstellung von Ideen nicht hinauskommt. Mehr als ein paar Oberflächenreize sind hier trotz der beachtlichen Starbesetzung so leider nicht zu finden.
Welche Kunst in Los Angeles als „gut“ gilt und dementsprechend teuer verkauft werden kann, entscheidet vor allem ein Mann: der Kunstkritiker Morf Vandewalt (Jake Gyllenhaal), der ebenso affektiert und eitel durch die Galerien stolziert. Besonders die Galeristin Rhodora Haze (Rene Russo) baut auf das Urteil von Morf, zumal ihr bislang bester Klient Piers (John Malkovich) mit seinem Weggang droht. Aber als Rhodoras Assistentin Josephina (Zawe Ashton) in der Wohnung ihres toten Nachbars Ventril Dease mehrere Hundert Gemälde findet, die eine mysteriöse Aura verströmen, wendet sich das Blatt. Mit Morfs Hilfe wird die Kunst des toten Mannes zum nächsten heißen Ding hochgejazzt: Ausstellungen werden eröffnet, viel Geld wird. Schon bald fordern die düsteren Gemälde jedoch erste Todesopfer: Einer nach dem anderen sterben die Mitglieder der örtlichen Kunstszene an ihrer oberflächlichen Gier nach dem schnöden Mammon…
Es ist ebenso einfach wie billig, sich über moderne Kunst lustig zu machen, gerade wenn scheinbar simple Kunstwerke nach dem Motto „Schwarzes Quadrat auf schwarzem Grund“ für Millionensummen verkauft werden. Da ist immer jemand zur Stelle, um den abgedroschenen Spruch vom Kind, das solch ein Bild doch genauso gut malen könnte, aus der Mottenkiste zu holen. Auch in Gilroys Kunst-Slasher gibt es eine vergleichbare Szene, die den Kunstbetrieb entlarven soll, dabei aber nur die eigene Oberflächlichkeit herausstellt. Da sieht dann ein vermeintlicher Kunstexperte in einer Galerie einen Müllsack stehen und sagt: „Das ist eindrucksvoll!“ Ha-Ha. Dabei wären die abgründigen Absurditäten der Kunstwelt tatsächlich ein spannendes Thema, eine schonungslose Analyse der Strukturen eines Marktes, der von wenigen Geschmacksrichtern bestimmt wird, bei dem Neureiche ihr Geld in Kunst stecken, die ihnen von Agenten als sichere Wertanlage empfohlen wurde; eine Welt, in der der Jet-Set-Geld von Kunstmesse zu Kunstmesse fliegt und bei Champagner und Kaviarhäppchen Künstlerexistenzen gemacht und zerstört werden.
Ruben Östlunds Cannes-Gewinner „The Square“ gelang das vor einigen Jahren noch viel besser, mal ganz zu schweigen von dem brillanten „Exit Through The Gift Shop“ von Graffiti-Star Banksy, bei dem immer noch nicht klar ist, ob es sich nun um eine Dokumentation oder doch eine inszenierte Desavouierung des Kunstmarktes handelt. Doch von solch doppelbödiger Finesse ist Dan Gilroy weit entfernt, was dann doch überrascht. Schließlich hat der Autor und Regisseur in seinem abgründigen Medien-Satire-Meisterwerk „Nightcrawler“ schon sehr viel eindringlicher, entlarvender und erbarmungsloser von Figuren erzählt, die an ihrem Drang nach Ruhm und Geld zu Grunde gehen. Diesmal jedoch genügt sich Gilroy darin, naheliegende Breitseiten zu verteilen, die zwar gelegentlich, aber insgesamt viel zu selten ins Ziel treffen.
Die wenigen treffenden Pointen haben dann auch oft nicht unbedingt etwas mit der Gewitztheit des Skripts, sondern mit den tollen Schauspielern zu tun – allen voran Jake Gyllenhaal („Spider-Man 2: Far From Home“), der als affektierter, bisexueller Kunstkritiker so richtig schön vom Leder zieht. Ebenfalls wirklich schön gelungen sind einige der Mordszenen: Wenn da Bilder plötzlich zum Leben erwachen oder eine mannshohe, verspiegelte Kugel zu einem gefräßigen Mordwerkzeug mutiert, dann erinnert das auf positive Weise an die Klassiker des Giallo-Genres. Aber leider beschränkt sich Gilroys Einfallsreichtum diesmal nur auf wenige einzelne Szenen.
Fazit: Dan Gilroy knöpft sich in seiner müden, oberflächlichen L.A.-Satire „Die Kunst des toten Mannes“, die nur in wenigen Slasher-Momenten als Trash-Film überzeugt, ausschließlich die naheliegendsten Ziele vor – so fehlt dem Kunstwelt-Slasher am Ende einfach der nötige Biss.