Nicht von ungefähr her ist der Wald eine der beliebtesten Locations im Horrorgenre. Im Dickicht der Bäume und Büsche verirrt man sich nicht nur schnell (so geschehen im Found-Footage-Klassiker „Blair Witch Project“), hier draußen fällt auch das Handy aus und schreien hört einen ebenfalls niemand. Doch egal ob dort nun Hexen ihr Unwesen treiben oder sich das Grauen in einer einsamen Hütte manifestiert: Hat man einen auch nur halbwegs gelungenen Wald-Horrorfilm gesehen, bereitet einem der Gedanke an den nächsten Waldspaziergang ein mulmiges Gefühl. Sam Patton gelingt das mit seinem Langfilmdebüt „Desolation“ ebenfalls – und dafür muss er nicht einmal die ganz großen erzählerischen Geschütze auffahren. Der Plot ist auf ein Minimum reduziert und trotzdem ist die Kombination der unheilvollen Bilder von Kameramann Andi Obarski und einem waschechten Achtzigerjahre-Synthie-Score von Marcus Bagala bedrohlich genug, um den Puls langsam aber kontinuierlich in die Höhe zu treiben. Erst im leider dann etwas einfältigen Finale zeichnet sich ab, dass es eben ganz ohne erzählerisches Handwerk dann doch nicht geht.
Gemeinsam mit ihrem halbwüchsigen Sohn Sam (Toby Nichols) und ihrer besten Freundin Abby (Jaimi Paige) hat Jen (Alyshia Ochse) ein Wochenende in der Provinz geplant. In einem Wald will sie die Asche ihres toten Vaters verstreuen und ein wenig Abstand vom schmerzlichen Verlust bekommen. Doch für die drei Ausflügler wird der friedlich scheinende Ort schnell zur grünen Hölle. Sam bemerkt einen mysteriösen Wanderer (Claude Duhamel), der sich an sie heranhängt und sie beobachtet. Die beiden Frauen wollen von Sams Entdeckung erst einmal nichts wissen, bis auch sie ihren Verfolger wahrnehmen. Als sie ihn zur Rede stellen, was er von ihnen will, reagiert er nicht. Langsam macht sich Panik breit. Denn die drei werden ihren unheimlichen Verfolger einfach nicht los …
Die Drehbuchautoren Matt Anderson („4400 - Die Rückkehrer“) und Michael Larson-Kangas geben sich viel Mühe, das minimalistische Szenario mit Hilfe der Dialoge emotional zu unterfüttern. Gerade in der ersten Hälfte erfahren wir allein durch die Unterhaltungen zwischen Abby und Jen viel über ihre Vergangenheit, ihre gemeinsame Geschichte und auch darüber, dass Jen durch tragische Ereignisse psychisch angeschlagen ist. So richtig viel zu schauspielern bekommen Jaimi Paige („Rizzoli & Isles“) und Alyshia Ochse (spielt eine Rolle in der neuen „The Purge“-Serie) dabei allerdings nicht, denn mehr als sich verbal auszutauschen, müssen die bislang vorwiegend in zweiter Reihe agierenden Darstellerinnen nicht. Toby Nichols („Marvel's Iron Fist“) hat da schon ein wenig mehr zu tun. Ab dem Moment, in dem er den Wanderer erblickt, agiert er mit einer Mischung aus Unbehagen und Faszination, wobei mit der Zeit die Angst vor dem stummen, aber definitiv einschüchternden Fremden wächst.
Durch gezielte Kamerafahrten, bei denen der ominöse Wanderer einfach nur dasteht, ohne sich zu rühren (Claude Duhamel wirkt schon alleine durch seine Statur und die fehlende Interaktion mit der Umwelt gruselig) entwickelt „Desolation“ nach und nach eine bedrohliche Atmosphäre. Dem bislang nur im Hintergrund tätigen Langfilmdebütant Sam Patton gelingt es, eine allgegenwärtige Paranoia zu schüren, die einen selbst dazu bringt, einen Blick über die Schulter zu werfen, ob irgendwo der Wanderer zu sehen ist. Selbst harmlose Szenen am Lagerfeuer oder andere ruhige Momente zwischen Abby und Jen, in denen sich die beiden ein emotionales Geständnis nach dem anderen machen, wirken durch die Präsenz des Wanderers beeinflusst – sogar, wenn dieser nicht direkt anwesend ist. Darüber hinaus hält der Plot auch lange offen, ob der Fremde tatsächlich böse ist. Bei solcher Ungewissheit muss man in „Desolation“ also mit allem rechnen.
Neben der stimmigen Kameraarbeit ist es vor allem der spannungsreiche Score von Marcus Bagala („The Hunted: Encore“), der die ohnehin unheilvolle Atmosphäre verstärkt. Die bedrohlichen Syntheziser-Klänge stehen in der Tradition eines John Carpenters („The Fog - Nebel des Grauens“), durch ihren modernen Anstrich werden aber auch Erinnerungen an „It Follows“ und den deutschen Genre-Geheimtipp „Luz“ wach. In seiner audiovisuellen Gesamtheit ist „Desolation“ ein echter Glücksgriff. Schade ist nur, dass die ohnehin sehr übersichtliche Story da nicht mithalten kann. Die Macher entscheiden sich nämlich dafür, die Beweggründe des gesichtslosen Wanderers aufzulösen und tun das auf sehr schlichte, absolut genrekonforme Weise, die wenig überraschend daherkommt. Das wird der zuvor so minimalistischen und dadurch besonderen Herangehensweise absolut nicht gerecht.
Fazit: „Desolation“ ist ein über weite Strecken sehr atmosphärischer Paranoia-Thriller, der durch das Zusammenspiel aus Kameraarbeit und Filmmusik hervorragend funktioniert. Doch wenn es auf der Zielgeraden an die Auflösung geht, verliert der Film auf einen Schlag all seine zuvor sorgsam aufgebaute Stimmung.