Endlich mal ein ebenbürtiges US-Remake
Von Karin JirsakAls Nicht-Amerikaner mag man es überflüssig finden, aber es kommt trotzdem immer wieder vor, dass Filme, die in nicht-englischsprachigen Ländern große Hits waren, für den US-Markt und mit entsprechendem Hollywood-Staraufgebot neu verfilmt werden (zuletzt etwa „Mein Bester & ich“ oder „Miss Bala“). Dieses Schicksal hat nun auch den chilenischen Arthouse-Hit „Gloria“ getroffen. Die erste gute Nachricht: Original-Regisseur Sebastián Lelio, dessen Film „Eine fantastische Frau – Una Mujer Fantástica“ 2018 mit dem Oscar für den besten fremdsprachigen Film prämiert wurde, zeichnet nun auch für das Remake „Gloria – Das Leben wartet nicht“ selbst verantwortlich. Die zweite gute Nachricht: Für seine 2013 mit dem Silbernen Bären der Berlinale prämierte Hauptdarstellerin Paulina García hat Lelio mit Oscar-Preisträgerin Julianne Moore („Still Alice – Mein Leben ohne Gestern“) ein ebenbürtiges US-Pendant gefunden.
Die lebenslustige Mittfünfzigerin Gloria Bell (Julianne Moore) stürzt sich nach ihrer Scheidung allein ins Nachtleben von Los Angeles, um der Einsamkeit zu entfliehen. Auf der Tanzfläche lernt sie Arnold (John Turturro) kennen. Der ist zwar ebenfalls geschieden, fühlt sich aber immer noch verantwortlich für seine Exfrau und die beiden erwachsenen Töchter. Ständig belagern sie ihn am Telefon mit ihren Forderungen, die Beziehung mit Gloria hält er vor ihnen geheim. Als Arnold auf einer Geburtstagsparty ohne ein Wort verschwindet, gerät Gloria endgültig ins Zweifeln: Muss sie sich dieses Verhalten auf Dauer wirklich gefallen lassen, nur, um nicht mehr allein zu sein?
Gloria hält Arnold für ihre letzte Chance auf eine große Liebe.
Schon mit der Wahl ihrer Haarfarbe macht Sebastián Lelio bewusst deutlich: Die (hier blonde) US-Gloria ist keine Kopie der chilenischen Titelheldin, sondern eine eigenständige Figur – eine begrüßenswerte Entscheidung. Der Versuch, das markante Spiel, für das Paulina García (nicht nur) in Berlin zu Recht gefeiert wurde, einfach abzupausen, wäre wohl ohnehin zum Scheitern verurteilt gewesen und einer Schauspielerin wie Julianne Moore auch irgendwie unwürdig. Gloria Bell, wie sie nun heißt, hat zwar sehr ähnliche Probleme – vor allem mit dem entscheidungsunfähigen Pantoffelhelden, der hier Arnold heißt und von John Turturro zwar mit mehr Charisma, aber genauso wenig Rückgrat verkörpert wird. Sie erlebt auch im Wesentlichen die gleiche Geschichte wie ihre chilenische Vorgängerin, aber Gloria Bell trägt nicht einfach nur eine etwas schickere Brille, sie muss sich eben auch in einem ganz anderen Setting behaupten.
Ein Merkmal dieses Settings, das Glorias Problematik noch verschärft: Mit Los Angeles bewegt sie sich in der Hauptstadt des Jugend- und Schönheitswahns, in der dem Altern ein entsprechend hoher Bedrohungswert zukommt. Mehrmals weist Lelios Drehbuch auf diesen Umstand hin: Einmal wird Gloria an der Bar von einer anderen Frau gefragt, ob sie „etwas habe machen lassen“, in einer anderen Szene verrät ihr eine Freundin den Insider-Tipp, sie müsse sich nur zeitgleich einen neuen Haarschnitt zulegen, dann würde von der Schönheits-OP niemand etwas merken. Nicht, dass Gloria derartiges geplant hätte. Trotzdem wird dank solcher Szenen der Druck deutlich, der die Mittfünfzigerin dazu verleitet, in Arnold ihre letzte Hoffnung auf ein neues Liebesglück zu sehen. Eine der ikonischen Szenen des Films (Gloria wirft vor einer tanzenden Skelettmarionette in der Fußgängerzone Geld in einen Hut) wird hier sogar unmittelbar mit einem Telefonanruf von Arnold verknüpft, auf dessen Versöhnungsversuche sich Gloria, sozusagen im Angesicht des Todes, dann doch einlässt.
Politik auch im Remake: Paintball statt Pinochet
Überhaupt ist in der US-Version einiges ein wenig offensichtlicher, so auch die der Figur Gloria inhärente Tragik, die Julianne Moore mit ihrem gefühlsbetonten Spiel eindeutiger herausarbeitet als Paulina García, deren subtile Darstellung immer wieder Raum für Interpretationen ließ, wie viel Verzweiflung sich denn nun wirklich hinter der starken Fassade verbirgt. Als Moores Gloria etwa ihre auswanderungswillige Tochter am Flughafen verabschiedet, sehen wir die Verlassene ihrem Kind in Tränen aufgelöst zum Gate nachblicken – eine Szene, die im Original fehlt. Das Bekenntnis zur Fragilität der amerikanischen Gloria zeigt sich auch deutlich in Lelios Entscheidung, sie vom missglückten Liebesurlaub mit Arnold nicht wie im Original von ihrer Haushaltshilfe, sondern von ihrer Mutter abholen zu lassen. Denn wenn frau Mitte 50 zurück in Mutters Schoß kriechen muss, ist der emotionale Nullpunkt unübersehbar erreicht. Dank Moores wunderbar einfühlsamer Darstellung dieser entwürdigenden Situation hat Gloria Bell allerdings selbst dann noch alle Sympathien auf ihrer Seite.
Neben der persönlichen gibt es im chilenischen Original auch eine politische Komponente, die Lelio in seinem Remake behutsam an den kulturellen Rahmen anpasst. Bei Büro- und Tischgesprächen geht es hier zum Beispiel um das Rentensystem, Waffenbesitz und den Klimawandel, während man in Chile noch unter anderem über Klassenunterschiede und die Nachwehen der Pinochet-Diktatur reflektierte. Diese politischen Momente halten sich unaufdringlich im Hintergrund und haben immer auch schlüssige Bezüge zu Glorias privater Geschichte. Dass hier in ihren privatesten Momenten deutlich weniger nackte Haut zu sehen ist, entschärft hingegen ein anderes provokatives Moment der chilenischen Version. Ein Zugeständnis an US-Sehgewohnheiten, das angesichts der ansonsten gelungenen (sprich: nicht glattbügelnden) Amerikanisierung aber kaum negativ ins Gewicht fällt.
Fazit: Keine bloße Kopie, sondern die nicht weniger überzeugende Geschichte einer etwas anderen Gloria, die von Julianne Moore einfühlsam und mit mehr Mut zur Tragik zum Leben erweckt wird – wenn der US-Version auch ein Stück weit das Geheimnisvolle fehlt, das die chilenische Gloria zum subtilen Faszinosum machte.