Die pure Bildgewalt
Von Michael MeynsManchmal springen einen die Vergleiche im Kino regelrecht an: „Herr der Fliegen“, Francis Ford Coppolas „Apocalypse Now“ und Werner Herzogs „Aguirre, der Zorn Gottes“ sind die Klassiker, an die man bei der verschwitzten Bildgewalt von „Monos - Zwischen Himmel und Hölle“ unweigerlich denken muss. Regisseur und Autor Alejandro Landes („Porfirio“) weicht der Gegenüberstellung auch nicht aus, fordert sie vielmehr geradezu heraus – und trotzdem ist sein flirrender, verschwitzter Film kein Abklatsch. In einer nicht genau benannten Region der Welt, zwischen Bergen und Dschungel, hat er seinen Film angesiedelt, der vielstimmig vom Rausch der Gewalt, Angst und Paranoia erzählt. Dass der Filmemacher aus Kolumbien stammt, ist ein möglicher Hinweis – doch in dem vor allem stilistisch herausragenden „Monos“ geht es ohnehin weniger um etwas Spezielles, sondern um eine sehr universelle Erfahrung.
Hoch auf den Bergen trainieren Rambo (Sofia Buenaventura), Smurf (Deiby Rueda), Wolf (Julián Giraldo), Boom-Boom (Sneider Castro) und Dog (Paul Cubides). Dass sie nicht nur Kinder, sondern offenbar auch Guerillas sind, erkennt man an ihrer Kleidung und den Kalaschnikows. Ihr Anführer heißt Mensajero (Wilson Salazar), ihre amerikanische Geisel wird nur Doctora (Julianne Nicholson) genannt. Sie gehören einer Gruppe an, die sich „Die Organisation“ nennt, ihre Ziele sind ebenso unklar wie ihre Motivation. Machtspiele, sexuell aufgeladene Rituale, Machoposen bestimmen den Alltag der halbstarken Guerilleros, die bald von den kahlen Bergen in den kaum zu durchdringenden Dschungel weiterziehen. Die Geisel versucht zu entkommen, der Kontakt zur Kommandoebene bricht ab. Die Teenager sind plötzlich auf sich allein gestellt und beginnen, sich in Kämpfen um die Rolle des Anführers aufzureiben…
Kinder auf dem Kriegspfad!
An einer Stelle in Alejandro Landes zweitem Spielfilm füllt die Nahaufnahme eines Tierschädels fast die gesamte Leinwand aus. Spätestens hier muss man unweigerlich an William Gibsons Roman-Klassiker „Der Herr der Fliegen“, seine zahlreichen Verfilmungen und all die Werke denken, die von ihm inspiriert wurden. Von „Lost“ bis hin zur „Maze Runner“-Serie variierten Bücher und Filme das Konzept von meist jugendlichen Figuren, die in isolierter Lage – oft auf einer Insel – auf sich allein gestellt sind, Strukturen und Hierarchien entwickeln, um sich bald in blutigen Hoheitskämpfen gegenseitig an die Gurgel zu gehen. Die besten dieser Werke erzählen dabei nicht konkret, sondern allegorisch über die im Menschen schlummernde Brutalität, die in Extremsituationen zum Vorschein kommen kann, den Wunsch mancher, unbedingt der Stärkste sein zu wollen – egal mit welchen Mitteln.
Ohne Kontext wirft Landes den Zuschauer in die Welt von „Monos“ hinein. Er zeigt seine jugendlichen, halbstarken Figuren bei ihren täglichen, anfangs noch verspielt wirkenden Ritualen, beim Drill mit der Waffe. Das wirkt wie ein etwas extremeres Pfadfinderlager. Nach und nach zieht er dann jedoch die Schraube an, zeigt die Geisel der Gruppe, die hager aussieht und zunehmend verstört wirkt, deutet die Machtstrukturen der Gruppe an, die von den Anführern auch mit bewusst eingesetzter sexueller Spannung abgesteckt werden. Die immer wieder wechselnde Erzählperspektive sorgt für zunehmende Irritation: Anfangs folgen wir dem Guerilla-Wolf, später der Doctora bei einem verzweifelten Fluchtversuch, dann begleiten wir Rambo, als sie für einen kurzen Moment von Bauern aufgenommen und die Möglichkeit suggeriert wird, dass es für sie einen Ausweg geben könnte. Doch diese Hoffnung ist trügerisch, zu sehr ist Rambo, sind sie und die anderen, die kaum mehr als Kinder sind, schon Teil der Guerilla geworden.
Die Teenie-Guerillas und ihre amerikanische Geisel.
Wie gesagt stammt Alejandro Landes aus Kolumbien, einem Land, das seit Jahrzehnten nicht nur von blutigen Kämpfen um die Macht über den Kokain-Handel geprägt ist, sondern auch von zahlreichen Rebellengruppen. Die bei uns bekannteste ist die F.A.R.C., deren Anhänger sich meist im kaum zu kontrollierenden Dschungel verstecken. Konkret geht es in „Monos“ jedoch nicht um genau diese Gruppe, nicht um Kolumbien, sondern um universelle Strukturen des Machtmissbrauches, der Gesetzlosigkeit und des Guerilla-Krieges. Wenn da eine Figur am Ende von Regierungstruppen gefangen wird, im Hubschrauber sitzt und die Soldaten auf den Befehl warten, wie nun zu verfahren ist, dann muss man unweigerlich an die geradezu klassische Methode denken, mit der solche Fälle in Lateinamerika oft gehandhabt wurden: Die Person einfach aus dem Hubschrauber schmeißen, über dem Meer oder dem Dschungel, so oder so ins spurlose Nichts. Was als „Herr der Fliegen“-Variante begann, ist spätestens hier auch ein Film über die katastrophalen Folgen der endlosen Drogen- und Bürgerkriege auf die Psyche der Bevölkerung.
Fazit: In allegorischen, kraftvollen Bildern beschreibt Alejandro Landes in „Monos - Zwischen Himmel und Hölle“ die Machtstrukturen innerhalb einer Guerilla-Gruppe, aber auch die Folgen, die ein jahrzehntelang anhaltender Krieg auf ein gesamtes Land haben kann.