Kein Wunder, dass Amazon den nicht an die ganz große Glocke hängt
Von Jochen Werner„Sie sind unter uns“, erfahren wir schon in den ersten Sekunden von Antoine Fuquas „Infinite - Lebe unendlich“ per Voiceover: die Infinites, die Unendlichen, die niemals sterben, sondern stets wiedergeboren werden, aber in jeder neuen Inkarnation die Erinnerungen aller früheren Leben mit sich tragen. Sie sind unter uns – und sie teilen sich, angesichts der für manche reizvollen und für andere zutiefst erschreckenden Perspektive eines gleichzeitig immer wieder aufs Neue endlichen wie gleichwohl ewigen Lebens nur zu verständlich, in zwei konkurrierende Fraktionen auf: Während die Believer wie eine Art Superhelden-Geheimgesellschaft ihre besonderen Fähigkeiten und ihr über Jahrhunderte erworbenes Wissen in den Dienst der Menschheit stellen, versuchen die Nihilists, den endlosen Wiedergeburten durch die Vernichtung allen irdischen Lebens zu entrinnen. Denn wo kein Leben mehr ist, kann auch niemand mehr wiedergeboren werden.
Auch in diesem vermeintlich unendlichen System gibt es jedoch Störungen. So etwa im Falle von Evan McCauley (Mark Wahlberg), der zwar die Erinnerungen zahlloser Leben in sich trägt, jedoch nicht bewusst auf diese zugreifen kann. So schlingert Evan als diagnostizierter Schizophrener durchs Leben, bis er auf den mysteriösen Bathurst (Chiwetel Ejiofor) trifft, der ihn in einem brutalen Verhör nach seinen früheren Leben ausfragt. Befreit wird er schließlich von Nora (Sophie Cookson), die in ihm die amnestische Reinkarnation von Heinrich Treadway (Dylan O’Brien) erkennt Der Anführer der Believers wurde bereits im 35 Jahre vor der aktuellen Erzählung spielenden Prolog von Bathurst getötet. Für Evan und die Believers beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit, denn irgendwo tief in seinen verschütteten Erinnerungen verborgen liegt das Wissen um das Versteck eines mystischen Artefaktes namens „das Ei“, von dem der Fortbestand allen irdischen Lebens abhängt…
Bathurst (Chiwetel Ejiofor) ist nur eine von vielen Figuren, die in überlangen Monologen den Plot erklären...
Hinter den Kulissen unserer alltäglichen Existenz, so legt Antoine Fuquas Adaption von D. Eric Mainkranz‘ Roman „The Reincarnationist Papers“ nahe, ringen, unbemerkt von uns Normalsterblichen, unsichtbare Mächte miteinander um das eigene Schicksal und das der gesamten Menschheit. Sicherlich keine sonderlich frische Prämisse für einen Fantasy-Blockbuster mit historisierender Schlagseite. Als prominentestes, demnächst als Remake reinkarniertes Beispiel fällt einem wohl Russell Mulcahys Achtziger-Pop-Oper „Highlander“ ein – ein sehr stark in der Ästhetik seiner Zeit schwelgender Kinohit, der zwei Jahrzehnte lang unermüdlich in einer langen Folge immer obskurerer Sequels und Spin-offs seine Spuren in der Popkultur hinterließ. Aber auch jüngere Vorbilder kommen in den Sinn, vom stilprägenden „Matrix“ bis zum nicht ganz so wirkmächtigen „Wanted“.
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Ein Stoff also, den man mit bösem Willen als „klischeehaft“ und „ideenlos“ oder wohlwollender als „klassisch“ bezeichnen könnte. Was aber macht Antoine Fuqua („The Equalizer“) daraus, der ja eben gerade als klassizistischer Hollywood-Handwerker im besten Sinne durchgeht, aber auch manch einen seltsamen Durchhänger in seiner Filmografie hat. Mit Mark Wahlberg bildet er eigentlich ein erprobtes Duo, das mit „Shooter“ einen erstaunlich ambivalenten Actioner vorgelegt hat. Angesichts dieser Hoffnungen zeigten sich dann auch beide wenig erfreut darüber, dass der US-Kinostart von „Infinite“ lockdownbedingt gecancelt und die Premiere zum wenig populären Streaming-Service Paramount+ abgeschoben wurde. Am Ende hat diese Entscheidung aber vielleicht sogar allen Beteiligten einen Gefallen getan.
Denn selbst wenn man den aus allerlei allzu bekannten Versatzstücken zusammengetackerten Plot mit sehr viel gutem Willen noch als handelsübliches Genrestück durchgehen lassen wollte, gäbe es an „Infinite“ wenig Positives hervorzuheben. Die Erzählung findet nie zu einem Rhythmus, sondern holpert und stolpert von Wendung zu Erklärbär und wieder zurück. Nahezu jede neue Figur wird mit einem mehrminütigen Monolog über ihre Historie und ihrer Bedeutung für den Plot eingeführt – und dabei sind die Performances aller beteiligten Schauspieler*innen ebenso lustlos wie die Regie von Antoine Fuqua. Gerade Mark Wahlberg wirkt bis zum Schluss wie ein Fremdkörper in seinem eigenen Film.
Die graugrünbraune Tristesse, mit der Hollywood seit etlichen Jahren visuell zu markieren pflegt, wenn im Plot Schluss mit lustig ist und es fortan so richtig todernst um das Leben, das Universum und den ganzen Rest geht, tunkt „Infinite“, von zwei kurzen, aber erfrischend überkandidelten Actionszenen abgesehen, in eine bleierne Freudlosigkeit. Mit voranschreitender Laufzeit lässt einen das mehr und mehr mit den Nihilisten sympathisieren, denn das Ende zumindest von „Infinite“ erscheint plötzlich wie eine ganz gute Idee.
Evan McCauley (Mark Wahlberg) muss sich an seine frühere Leben erinnern, um die Menschheit vor einem alles zerstörenden "Ei" zu retten.
Wenn gefühlt 90 von 105 Minuten aus dem Erklären des Plots besteht, aber am Ende trotzdem nichts wirklich einen Sinn ergibt oder auch nur einen Schritt weit glaubwürdig erscheint, dann ist bei der Produktion offensichtlich etwas ganz gewaltig schiefgelaufen. Das passiert halt manchmal aus unerklärlichen Gründen selbst bei Regisseur*innen, die wie Antoine Fuqua eigentlich als zuverlässige Handwerker*innen bekannt sind – man denke nur an Kenneth Branaghs Möchtegern-„Harry Potter“-Totalausfall „Artemis Fowl“.
Mit etwas Verzögerung hat sich diese Erkenntnis nun offenbar auch bei uns durchgesetzt: Nachdem „Infinite“ in den USA wie gesagt zu Paramount+ abgeschoben wurde, sah es in Deutschland lange so aus, als würde er zumindest hierzulande trotzdem noch auf der großen Leinwand landen. Aber nun wurde er nicht nur an Amazon Prime Video abgegeben – dort erschien der Sci-Fi-Blockbuster auch noch ohne jede „Vorwarnung“. Wenn ein Streamer eine stolz budgetierte Produktion vor dem Kinostart von einem Konkurrenzstudio aufkauft, dann wird da eigentlich wie zuletzt bei „The Tomorrow War“ ein möglichst großes Trara drum gemacht. Aber sich in aller Öffentlichkeit mit „Infinite“ zu schmücken, ist vielleicht tatsächlich nicht die allerbeste Marketing-Idee.
Fazit: „Infinite - Lebe unendlich“ ist trotz der erprobten Combo Antoine Fuqua / Mark Wahlberg ein erdrückend freud- und ideenloser Film geworden. Ein Paradebeispiel höchstens für das in eineinhalb Lockdownjahren verstärkt aufgetretene Phänomen der weitgehend spurlos im Streaming versenkten Großproduktionen.
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