Das französische Multitalent Quentin Dupieux erfand als Musiker Mr. Oizo die kultige Plüschpuppe Flat Eric, die zu einer Ikone der Werbung wurde. Und in seinem Spielfilm „Rubber“ machte er einen serienmordenden Autoreifen namens Robert zum Protagonisten. Beides zeigt: Bei Monsieur Dupieux muss man immer mit dem Ungewöhnlichen rechnen. So auch bei seinem neuen Langfilm „Keep An Eye Out“, einer kafkaesken Groteske, die gleich mehrere Genres bedient, bisweilen unrund und schwer greifbar ist, nach einem sperrigen Einstieg jedoch eine ungemeine Faszination und vor allem einen erstaunlichen Unterhaltungswert entwickelt.
Louis (Grégoire Ludig) befindet sich auf einer Polizeistation. Er hat vor dem Hochhaus, in dem er lebt, drei Tage zuvor am frühen Morgen eine Leiche gefunden. Weil er sich nicht ganz konform verhalten hat, hält ihn Kommissar Buron (Benoît Poelvoorde) für verdächtig. Der Ermittler will sich nun ganz genau erklären lassen, warum Louis in der Nacht so oft seine Wohnung verlassen und mit dem Aufzug nach unten gefahren ist. Bevor die beiden das Geschehen noch einmal in epischer Breite durchkauen, kommt es während einer kurzen Abwesenheit Burons zu einem Unfall mit dem einäugigen Polizisten Philippe (Marc Fraize). Jetzt wird es für Louis wirklich heikel…
In Franz Kafkas „Der Prozess“ versucht die Hauptfigur Josef K. verzweifelt herauszufinden, warum er angeklagt wird und für welches Verbrechen. Dabei wird er in den Mühlen einer surrealen Bürokratie völlig aufgerieben. Ähnlich wie Kafkas legendärer Romanfigur ergeht es nun auch Louis in „Keep An Eye Out“, wobei dieser wenigstens die Tat kennt, die er begangen haben soll. Immer wieder muss er beim Verhör erklären, warum er nicht der Täter sein kann. Und immer absurder werden die Fragen des misstrauischen Kommissars Buron nach den kleinsten, unwichtigsten Details, so dass sich Louis bald in einer ähnlichen Lage wie Josef K. befindet.
Dupieux zieht den Zuschauer in diese Verhörsituation hinein, indem er die Surrealität der Geschehnisse für uns illustriert. Das völlig aus der Zeit gefallene Polizeirevier oder der veraltete Fernseher in Louis‘ Wohnung drängen eine chronologische Platzierung auf, die kurze Zeit später wieder konterkariert wird. Das Geschehen scheint so völlig außerhalb unserer Welt zu spielen, wozu auch die skurrile Erscheinung von Burons Kollegen Philippe passt. Der ist nicht einfach einäugig, sondern ein Teil seines Gesichts ist verschwommen wie bei einem schlechten Spezialeffekt.
Der Unfall, den der Polizist Philippe erleidet, sorgt für Bewegung und Dramatik in „Keep An Eye Out“. Das ist auch nötig. Hat das Szenario zwar von Beginn an eine reizvolle Absurdität, wirkt diese dann auf Dauer mitunter auch schon mal beschwerlich und ermüdend. Zumal der Krimi-Plot um den mysteriösen Toten selbst den Filmemacher irgendwann nicht mehr interessiert und der Humor auch nicht immer zündet. Zu viele kleine Gags scheinen einfach nur Absurditäten ohne Hintersinn zu sein. Mit dem Unfall verleiht Dupieux seiner Geschichte aber Spannung. Louis ist damit kein unschuldiger Josef K. mehr, sondern hat nun wirklich etwas zu verbergen. So folgen dann ein paar klassische Suspense-Situationen, in denen er aufzufliegen droht.
Mit der Steigerung der Spannung erhöht Dupieux auch gleichzeitig den Surrealismus. Dies wird nicht nur bei der Figur Philippe und beim Unfall deutlich, sondern auch durch die Rückblenden, die nach und nach Louis' Aussagen (und die von anderen Personen) untermalen. Wobei Rückblende nicht ganz das richtige Wort ist. Denn mit diesen scheinbaren Bebilderungen vorheriger Geschehnisse verleiht der Regisseur der Handlung einen neuen Dreh. Mit der sich dadurch ergebenden Mischung aus Spannung und Skurrilität schafft es Dupieux, das Interesse des Zuschauers an seinem Kammerstück über weite Strecken aufrecht zu erhalten – auch wenn man sich irgendwann fragt, wie zur Hölle er das nur auflösen will.
Die finalen Wendungen des nur rund 73 Minuten langen Films sollen hier nicht verraten werden, daher nur so viel: Dupieux gelingt es, einen überraschenden Bogen zurück zu Kafka zu schlagen, den er dann ein Stück zu weit überspannt und dies auch auskostet. Trotzdem liefert er so einen runden Abschluss zu einem schrägen Werk, welches trotzdem deutlich zugänglicher ist als manch anderer, noch absurdere Film (wie „Wrong“ oder „Reality“) des Künstler-Tausendsassas.
Fazit: Bisweilen lustig, bisweilen spannend und immer sehr skurril. Mit seinem neuesten Streich „Keep An Eye Out“ festigt Quentin Dupieux seinen Ruf als extravaganter Filmemacher.