Neben der für „Orange Is The New Black“ und „Marvel’s Jessica Jones“ bekannten S.J. Clarkson ist Bart Layton zum Zeitpunkt dieser Kritik einer von zwei Regisseuren, die als Top-Favoriten auf den Regieposten bei „Bond 25“ gehandelt werden. Das ist natürlich schon mal ´ne ziemliche Hausnummer – und nachdem man Leytons Indie-Heist-Thriller „American Animals“ gesehen hat, versteht man auch, warum er auf der Kandidatenliste der 007-Produzenten gelandet ist: Kamera, Musik, Schnitt – der Mann hat verstanden, wie Stil geht! Und damit meinen wir Stil im klassischen Sinne und nicht den Stil, von dem Musikvideoregisseure und Werbefilmer sprechen, wenn sie ihre Werke immer kleinteiliger und hochtouriger zerstückeln.
Was „American Animals“ neben der geschliffenen Inszenierung und den starken Jungdarstellern vor allem sehenswert macht, ist eine ganz spezielle Qualität von Bart Layton, die mit dem Interesse der Bond-Produzenten allerdings eher wenig zu tun haben dürfte: In seinem Kinodebüt „The Imposter“, einem Dokumentarfilm über einen Mann, der sich als verschwundener Sohn einer fremden Familie ausgegeben und jahrelang bei dieser gelebt hat, ist dank der eingestreuten nachgestellten Szenen ein faszinierendes Spiel mit Wirklichkeiten und Perspektiven. Und das ist nun auch bei „American Animals“ nicht anders: Diesmal stehen zwar die Spielszenen klar im Zentrum, allerdings werden diese durch dokumentarische Einschübe immer wieder clever hinterfragt und ironisch aufgebrochen.
Im Jahr 2003 hat die Geschichte in den USA für Schlagzeilen gesorgt: Der Kunststudent Spencer Reinhard (Barry Keoghan), sein etwas durchgedrehter Kumpel Warren Lipka (Evan Peters) sowie zwei weitere Kommilitonen haben die Uni-Bibliothek überfallen, in der einige der rarsten Bücher Amerikas aufbewahrt und ausgestellt werden. Ihre Tipps für einen solchen Raubzug haben sie sich zuvor ergoogelt oder durch das Schauen von Heist-Klassikern auf DVD angeeignet. Und Warren ist sogar extra nach Amsterdam geflogen, um sich mit potentiellen Hehlern (u.a. Udo Kier) zu treffen - solche superseltenen, zum Teil mehrere Millionen Dollar teuren Bücher lassen sich schließlich nicht einfach so auf dem nächsten Flohmarkt verscherbeln. Aber als es dann soweit ist und die vier Komplizen als alte Männer verkleidet ihren monatelang geplanten Heist in die Tat umsetzen wollen, müssen sie feststellen, dass solche Dinge dann in der Realität doch anders ablaufen als im Kino…
„American Animals“ beginnt mit der Einblendung: „This Is Not Based On A Real Story“. Dann verschwinden allerdings drei der Worte und es verbleibt: „This Is A Real Story“. Das hier bereits angedeutete Spiel mit dem Konzept der Realität, verschiedenen Perspektiven und sich widersprechenden Erinnerungen zieht sich anschließend durch den ganzen Film. Die über damals sprechenden Protagonisten und die Darsteller, die sie im Film verkörpern, vervollständigen gegenseitig ihre Sätze, wodurch ein nahtloser Übergang zwischen den dokumentarischen Interviewausschnitten und den betont stilbewussten Spielszenen entsteht. Wenn sich die realen Spencer und Warren unterschiedlich an Details wie die Farbe eines bestimmten Schals erinnern, dann wird dieser Widerspruch auch im inszenierten Teil aufgegriffen, indem sich auch dort einfach von einer Sekunde auf die andere ebenfalls die Farbe ändert.
Einmal sitzt der reale Warren sogar plötzlich neben seinem Leinwand-Alter-ego im Auto, um mit ihm über die alten Zeiten zu diskutieren, während eine andere Szene gleich zwei Mal in verschiedenen Versionen gezeigt wird, weil sich die Erinnerungen von Warren und Spencer an dieser Stelle so sehr voneinander unterscheiden, dass sie sich einfach nicht mehr unter einen Hut bringen lassen. Und was die Protagonisten auch nicht so genau wissen: Warum sie die ganze Sache eigentlich gemacht haben. Warren ist wohl einfach ein bisschen wahnsinnig und Spencer hatte diese Idee von Kunst, für die man unbedingt etwas Existenzielles erlebt haben muss. Nur ein sorgenfreies Leben zu haben und gut zeichnen zu können, sei eben einfach nicht genug. Die beiden Jungstars Evan Peters (Quicksilver aus „X-Men: Zukunft ist Vergangenheit“) und Barry Keoghan („Dunkirk“) bringen diese ziellose Entschlossenheit grandios rüber, selbst wenn diese Uneindeutigkeit der Motivation manch einen Zuschauer sicherlich auch frustrieren wird.
Während der von „Rififi“, „Tricks“ und „Reservoir Dogs“ beeinflussten Heist-Vorbereitungen hat man den Eindruck, die Jungs würden erstaunlich konsequente und gute Arbeit leisten. Sie haben schließlich einen großen Plan mit Grundrissen und Pfeilen an der Wand hängen – genauso wie man es aus den Klassikern des Genres kennt. Aber dann gibt es diesen grandiosen Bruch, der weniger damit zu tun hat, wie dumm sich die Studenten dann beim realen Raubzug anstellen, sondern eher damit, wie die überwältigte Bibliothekarin (Ann Dowd) dort mit feuchter Hose auf dem Boden liegt. Ihr Einnässen gibt dem Ganzen, das bisher nicht nur für den Zuschauer, sondern auch für die Protagonisten wie ein Film gewirkt haben mag, einen plötzlichen Realitätsschub, der für alle Beteiligten (inklusive des Publikums) wie ein Schlag in die Magengrube wirkt.
Der ganze Film ist pure Unterhaltung plus cleveres Perspektivspiel – und dann kommt plötzlich diese fast beiläufige Einstellung der hilflosen Frau mit vollgepinkelter Hose. Dieser Moment für sich allein wäre aber wohl noch sehr viel kraftvoller gewesen ohne die in den finalen 15 Minuten gehäuft vorgetragenen Entschuldigungen und einige mahnende Worte der realen Bibliothekarin. Hier tut Bart Leyton noch einmal alles, um die moralischen Grundpfeiler seiner lange Zeit ambivalenten Erzählung auch wirklich an exakt den richtigen Stellen in den Boden zu rammen – und das hätte er eigentlich gar nicht nötig gehabt.
Fazit: Ein unbedingt stilwütiger, konsequent kurzweiliger Heist-Thriller und zugleich ein ebenso cleveres wie faszinierendes Spiel mit dem Konzept der subjektiven Wahrnehmung.