Was haben Hanna Schygulla („Die Ehe der Maria Braun“), Irm Hermann („Angst essen Seele auf“) und Margit Carstensen („Die bitteren Tränen der Petra von Kant“) gemeinsam? Genau: Sie alle haben in den 70er Jahren mit Rainer Werner Fassbinder gedreht und die Ära des „Neuen Deutschen Films“ damit entscheidend geprägt. Gleiches gilt auch für „Tatort“-Ermittlerin Eva Mattes („Wildwechsel“), und so kommt es nicht von ungefähr, dass die vier Schauspielerinnen nun noch einmal zusammenfinden: Aelrun Goettes „Tatort: Wofür es sich zu leben lohnt“ ist die Wiedervereinigung der ehemaligen Fassbinder-Darstellerinnen vor der Kamera und zugleich der letzte Krimi aus Konstanz, der 2017 vom neuen „Tatort“ aus dem Schwarzwald abgelöst wird. Es ist ein würdiger Abschiedsfall für Mattes und ihren langjährigen Partner Sebastian Bezzel („Schweinskopf al dente“): „Wofür es sich zu leben lohnt“ ist einer der originellsten Bodensee-Beiträge, weil die Geschichte herrlich überhöht wird und Schygulla & Co. mit ihrem beherzten Spiel die flache Spannungskurve mehr als wettmachen.
Hauptkommissarin Klara Blum (Eva Mattes) geht es schlecht. Nach zwei Herzinfarkten rät der Arzt der gestressten Ermittlerin dringend dazu, einen Gang zurückzuschalten. Vorher will sie aber noch einen letzten Fall lösen: Auf der Schweizer Seite des Bodensees wurde in einem Ruderboot die Leiche von Josef Krist (Thomas Loibl) angespült – einem umstrittenen deutschen Rechtspopulisten, der bis zu seinem Tod gegen Ausländer gehetzt hatte. Zum Fundort der Leiche gerufen wird zunächst Major Matteo Lüthi (Roland Koch), der mit seiner Kollegin Eva Glogger (Isabelle Barth) eigentlich gerade einen anderen Mordfall bearbeitet. Doch er wittert einen Zusammenhang zu seinen Ermittlungen und kontaktiert die deutschen Kollegen. Gemeinsam mit Hauptkommissar Kai Perlmann (Sebastian Bezzel) verhört Lüthi zunächst die trauernde Witwe Anna Krist (Julia Jäger) und deren Tochter Marie (Paula Knüpling), während Blum eine andere Fährte verfolgt: Beim Toten wurde eine seltene Blume gefunden, die im Winter nur in Gärtnereien zu finden ist. Eine davon betreiben die älteren Damen Catharina (Hanna Schygulla), Margarethe (Margit Carstensen) und Isolde (Irm Hermann) in einem abgelegenen Haus am See – aber haben sie auch etwas mit dem Mord zu tun?
„In der Provinz liegt das wahre Grauen. Wenn wir versucht haben, einen auf städtisch zu machen, ging das meistens in die Hose“, ließ Hauptdarsteller Sebastian Bezzel, der Krimifans in seiner Hauptrolle als Franz Eberhofer in den Rita-Falk-Verfilmungen erhalten bleiben wird, im Sommer 2016 selbstkritisch durchblicken: Schwachen Bodensee-Folgen wie dem „Tatort: Todesspiel“ oder dem „Tatort: Winternebel“ standen in der Tat auch tolle Beiträge wie der „Tatort: Herz aus Eis“ oder zuletzt der „Tatort: Rebecca“ gegenüber. Das Drehbuch zum „Tatort: Wofür es sich zu leben lohnt“ ist nun das schrägste der gesamten Blum-und-Perlmann-Ära und verschafft dieser ein versöhnliches Ende. Der Abschiedsfall des ungleichen Ermittlerduos, das die jüngsten Streitereien beim letzten gemeinsamen Auftritt vergeblich zu kitten versucht, wird von Regisseurin Aelrun Goette und ihrem Co-Autor Sathyan Ramesh („Schöne Frauen“) zur fast philosophischen Auseinandersetzung mit dem Leben und dem Tod überhöht, ohne dass das klassische Whodunit-Prinzip dabei zu kurz käme.
Das liegt nicht nur an der gewohnt nachdenklichen Klara Blum, die ihr bisheriges Leben angesichts ihres kritischen Gesundheitszustands in Frage stellt: Mit den drei älteren Damen im Haus am Ende der Straße trifft sie am Ende ihrer „Tatort“-Zeit auf drei Schwestern im Geiste, die ihr nach wenigen Sätzen näher zu sein scheinen, als es ihr Kollege Perlmann in zwölf gemeinsamen Dienstjahren je war. „Das da draußen ist doch nicht mehr unsere Welt“, stellt die ergraute Margarethe (Margit Carstensen) mit einem kecken Grinsen auf den Lippen fest und lässt aus schelmischen Augen durchblicken, dass sie trotz des unaufhaltsamen Wandels ihren Frieden damit gefunden hat. Man muss kein Prophet sein, um schon zu diesem frühen Zeitpunkt vorauszusehen, dass der Weg zur Auflösung nur über die Machenschaften der drei Damen führt – was genau sich aber zugetragen hat, halten die Filmemacher bis in die Schlussminuten offen. Die Fassbinder-Darstellerinnen Schygulla, Hermann und Carstensen haben sichtbar Spaß an ihren überzeichneten Rollen und mausern sich mit köstlichen One-Linern und augenzwinkerndem Spiel zu den Publikumslieblingen im 1002. „Tatort“.
Etwas zu kurz kommt allerdings der parallel laufende Fall auf der anderen Seite des Bodensees, der mit dem Mord an Krist in Verbindung steht: Außer einem kurzen Hausbesuch bei der Millionenerbin (Sarah Hostettler) eines ermordeten Anlagebetrügers werden die Nachforschungen jenseits der Grenze kaum näher beleuchtet. Stattdessen ist Lüthi vor allem mit Perlmann unterwegs: Bandelte der raubeinige Schweizer Kommissar im zähen „Tatort: Château Mort“ noch bei Kerzenlicht mit Klara Blum an, erweist sich die Arbeit mit Perlmann als echte Bereicherung und Antriebsfeder des Geschehens. Während Blum in erster Linie mit sich selbst beschäftigt ist, sorgt das Männerduo für die nötige Dynamik, die schließlich in einem großartigen Finale ihren Höhepunkt erreicht. Begleitet von klassischer Musik, gekonnt inszeniert und spürbar von „Hannibal“ inspiriert, entlädt sich der poetische Diskurs über die Sünden und Sinnhaftigkeiten im Leben in einem überraschend harten Schlussakkord, wie man ihn sich häufiger in den oft seichten „Tatort“-Folgen aus Konstanz gewünscht hätte. Im letzten Beitrag aus der südlichsten deutschen „Tatort“-Stadt gehen die Filmemacher aber erfreulicherweise keine Kompromisse mehr ein.
Fazit: Aelrun Goettes „Tatort: Wofür es sich zu leben lohnt“ ist ein auffallend melancholischer Krimi aus Konstanz und trotz der nur wenigen Spannungsmomente eine würdige Abschiedsfolge für Eva Mattes und Sebastian Bezzel.