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    Nur Gott kann mich richten
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Nur Gott kann mich richten
    Von Michael Meyns

    Ein Heimspiel war die Premiere von „Nur Gott kann mich richten“ auf dem Hamburger Filmfest 2017, denn Regisseur Özgür Yildirim stammt aus der Hansestadt. Anders als sein Debüt „Chiko“ spielt sein neuer Action-Kracher zwar in Frankfurt, doch was Yildirim zwischen Drogenmilieu, Stripläden und Plattenbauten erzählt, ist ohnehin nicht an eine bestimmte Stadt gebunden, sondern pure Kolportage. Aus vielen bekannten Versatzstücken formt der Filmemacher ein hochtouriges, mal authentisches, mal vollkommen absurdes B-Picture. „Nur Gott kann mich richten“ ist brachiales Genrekino, das dank einer Riege deutscher Top-Darsteller mit Moritz Bleibtreu („Der Baader Meinhof Komplex“) und Peter Simonischek („Toni Erdmann“) an der Spitze immerhin in manchen Momenten auch zu emotionaler Größe findet.

    Fünf Jahre saß Ricky (Moritz Bleibtreu) nach einem missglückten Überfall im Knast, jetzt wird er entlassen und träumt von einem anderen Leben, fern der Kriminalität. Eine Bar will er irgendwo im Süden eröffnen, doch dafür braucht er Geld. Sein alter Kumpel Latif (Kida Khodr Ramadan) ist selbst knapp bei Kasse, hat aber einen Vorschlag: Für ein paar Albaner sollen sie einen Überfall fingieren und zum Schein 2,5 Kilo Heroin stehlen – angeblich eine leichte, ungefährliche Sache. Skeptisch willigt Ricky ein und holt seinen Bruder Rafael (Edin Hasanovic) ins Boot, der sich eigentlich von ihm fernhalten wollte. Doch der Plan geht schief, statt ein paar Tausend Euro auf dem Konto, hat Ricky plötzlich die Albaner am Hals, und zu allem Überfluss mischt sich auch noch die Polizistin Diana (Birgit Minichmayr) ein, die das Heroin findet und selbst verticken will; denn ihre Tochter braucht dringend eine Herzoperation...

    „Nur Gott kann mich richten“ strotzt vor Klischees. Regisseur und Drehbuchautor Özgür Yildirim bedient sich links und rechts in der Filmgeschichte und reiht altbekannte Versatzstücke des Genrekinos aneinander. Doch dies tut er ganz gezielt, mit unwiderstehlicher Nonchalance und mit einer beeindruckenden Ernsthaftigkeit. Dabei muss eine Szene muss jeweils ausreichen, um das vielköpfige Personal zu charakterisieren, vom heißblütigen Rafael, der mit seiner Stripperfreundin ein ehrbares Leben anfangen will, über den bedachten, aber doch skrupellosen Ricky, bis hin zum in seiner gammeligen Wohnung saufenden Vater, der zunehmend das Gedächtnis verliert.

    In einem Film der Oberfläche wie diesem, der dazu noch in einem Maße handlungsgetrieben ist, wie man es im deutschen Kino nur selten sieht, haben die großen und vor allem tiefen Gefühle wenig Platz. Umso auffälliger sind die wenigen Szenen zwischen Vater und Sohn, zwischen Peter Simonischek und Moritz Bleibtreu. Sie leben von einer Emotionalität, die im scharfen Kontrast zum Rest des Films stehen. Denn dort dominieren die sich überschlagenden Ereignisse und etliche plakative Momente, was auch zu einigen Widersprüchlichkeiten führt. Gerade Birgit Minichmairs Polizistin agiert bizarr erratisch und wechselt bisweilen in derselben Szene zwischen der toughen alleinerziehenden Mutter und einer erstaunlichen Naivität, die sie tatsächlich glauben lässt, dass sie das heiße Heroin verkaufen kann, indem sie auf dem Kiez den erstbesten Dealer anspricht. Doch ehe man sich zu sehr wundern kann, ist Yildirim schon wieder zwei Szenen weiter, sind im Zweifelsfall ein paar mehr Knochen gebrochen und Gangster erschossen.

    Was das Ganze mit Gott zu tun hat, fragt man sich dann doch in den wenigen Momenten der Ruhe, immerhin hatte Bleibtreu in der ersten Szene betont bedeutungsvoll gebetet, hatte die Kamera ein riesiges Kreuz-Tattoo auf seinem Rücken abgefilmt. Sporadisch ist im Lauf der kurzweiligen 99 Minuten immer mal wieder die Rede von Gott, immer wieder scheint es, als wollte Yildirim seine nihilistische Geschichte mit religiösen Motiven überhöhen und davon erzählen, dass alle Taten, besonders die bösen, Konsequenzen nach sich ziehen. Doch das bleibt in Ansätzen stecken, vor allem ist „Nur Gott kann mich richten“ ein schnörkelloses B-Picture - und als deutscher Gangsterfilm eine Rarität.

    Fazit: „Nur Gott kann mich richten“ ist purer Kintopp: Özgür Yildirim vermischt bekannte Gennremotive selbstbewusst zu einem wild-brutalen Gangster-Reißer.

    Wir haben „Nur Gott kann mich richten“ beim Filmfest Hamburg 2017 gesehen.

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