Wenn eine einheimische Komödie (gerne mit politisch nicht ganz korrekten, aber dafür „volksnahen“ Protagonisten) in Frankreich gute Zuschauerzahlen erzielt, ist inzwischen fast immer ein deutscher Filmverleih bereit, den Erfolg aus unserem Nachbarland zu importieren. Schließlich kommen diese Werke meist auch hierzulande gut an, selbst wenn ein Megahit vom Format eines „Monsieur Claude und seine Töchter“ mit seinen fast vier Millionen Kinobesuchern in Deutschland eine Ausnahme bleibt. Dessen Hauptdarsteller Christian Clavier muss sich in „Nicht ohne Eltern“ zur Abwechslung mal nicht mit einer heiratswilligen Tochter, sondern mit einem angeblichen, gehörlosen Sohn herumschlagen. Das Regieduo Sébastien Thiéry und Vincent Lobelle („Vampire Party - Freiblut für alle!“) wagt es in der Familienkomödie, statt der politischen korrekten Inklusion von Behinderten das längst revidierte Konzept des „Sorgenkindes“ wieder hervorzukramen, bietet dabei aber immerhin ein wenig mehr als nur Schenkelklatscher nach üblichem Strickmuster.
André Prioux (Christian Clavier) und seine Frau Laurence (Catherine Frot) sehen nach einer erfolgreichen beruflichen Karriere bereits den Ruhestand am Horizont aufblitzen und haben sich in ihrem komfortablen Wohlstandsleben gemütlich eingerichtet. Die zwei Fernseher im gemeinsamen Schlafzimmer, die man wegen Uneinigkeit bei der Programmauswahl per Kopfhörer nutzt, deuten allerdings schon darauf hin, dass in den Ehejahren irgendwas verloren gegangen sein könnte. Beim Einkaufen im Supermarkt wird André unerwartet von dem stämmigen 40-Jährigen Patrick belästigt (Regisseur Sébastien Thiéry), der gehörlos und etwas verwirrt ist und behauptet, der Sohn von André und Laurence zu sein. Obwohl man sich ja gerade als Frau erinnern sollte, ob man mal ein Kind gekriegt hat oder nicht, entdeckt Laurence in diesem Moment einen lange unterdrückten Wunsch nach Nachwuchs wieder und nimmt Patrick tatsächlich bei sich auf. Allerdings kommt es schon bald zu Unstimmigkeiten, als der wiedergefundene Sohn nicht nur seine hochschwangere und blinde (!) Freundin Sarah (Pascale Arbillot), sondern dazu auch noch deren ziemlich aggressiven Schäferhund anschleppt…
„Nicht ohne Eltern“ lässt sich grob in drei Teile gliedern. Der erste ist der anspruchsvollste, weil die Situation mit dem aus dem Nichts auftauchenden Sohn, der in seinem Pass sogar den Familiennamen Prioux trägt, zunächst einmal ein komplettes Mysterium bleibt. Natürlich geht man auch als Zuschauer anfangs mal davon aus, dass André offenbar irgendwann mal fremdgegangen sein muss, und nach ausgedehntem Leugnen führen die Spuren tatsächlich zu einem 40 Jahre zurückliegenden Urlaubsflirt, der aber trotzdem zu reichlich Zwietracht beim Ehepaar führt. Nach einigen weiteren Wendungen kann dann aber plötzlich Laurence selbst nicht mehr ausschließen, eine Geburt damals wegen traumatischer Begleitumstände vollständig verdrängt zu haben – wenn schon absurd, dann aber bitte auch richtig!
Catherine Frot, die mit ihrem nuancierten Schauspiel einen wirkungsvollen Gegenentwurf zum energiegeladenen Over-Acting ihres Filmpartners Clavier liefert, bezeichnet diesen Aspekt ihrer Rolle selbst als Leben in der „Seifenblase des Wahnsinns“, das sie auch mit früheren Figuren schon erkundete, etwa in „Odette Toulemonde“ oder in „Madame Marguerite oder die Kunst der schiefen Töne“. Die hier versuchte Vereinigung von Absurdität und Realismus ist das interessanteste Merkmal des Films, kann sich aber schlussendlich nie so recht entfalten, weil mit dem Einzug der „Kinder“ zunehmend die Boulevardkomödien-Anteile die Überhand gewinnen.
Der Humor wird nun deutlich gröber und erinnert an Filme wie „Dinner für Spinner“. André ist überzeugt, dass Patrick ihm was vormacht. Er greift zu drastischen Mitteln, um ihn zu überführen (ein Gehörloser sollte auf Knallkörper nicht reagieren, oder?) und geht auch äußerst respektlos mit ihm um. Der Mittelteil des Films steckt voller teilweise absurdem Slapstick, vor allem im Umgang mit der blinden „Schwiegertochter“ oder wenn schließlich herauskommt, was genau mit dem Hund eigentlich nicht stimmt. Für etwas Klamauk verzichtet man jetzt gern auf den Realismus.
Und wenn dann in der letzten Viertelstunde das Verwandtschaftsgeheimnis endlich aufgeklärt wird (mehr sei an dieser Stelle nicht verraten), dann wird plötzlich vor allem auf Familienwerte gepocht, was gehörig an der Glaubwürdigkeit zerrt, weil es kaum zum Vorangegangenen passt, wo ja vor allem die politische Unkorrektheit im Vordergrund steht. Andererseits ist es recht geschickt, wie hier schließlich das ernste Motiv der Mutterliebe und der von Christian Clavier vertretene Klamauk zu einer Synthese geführt werden. Das hat nicht nur für die Ehe der Protagonisten ziemlich originelle Konsequenzen.
Fazit: Die französische Ulk-Komödie ist in ihrer dramaturgischen Anlage recht ambitioniert, zudem geben Catherine Frot und Christian Clavier ein amüsant-gegensätzliches Leinwandpaar ab. Der Spagat zwischen feinsinniger Absurdität und boulevardeskem Klamauk gelingt allerdings nicht immer.