Die deutsche Antwort auf "Herr der Ringe" und "Game Of Thrones"?
Von Oliver KubeWas hätte wohl der große Fritz Lang („Metropolis“), der vor exakt 100 Jahren mit dem Zweiteiler „Die Nibelungen“ einen Meilenstein nicht nur des deutschen Kinos, sondern des Fantasy-Genres schuf, zu „Hagen – Im Tal der Nibelungen“ gesagt? Eine Antwort darauf werden wir natürlich nie erhalten. Angesichts der Arbeiten des Meisterregisseurs ließe sich aber spekulieren, dass er zumindest dem Mut der Macher, einer allerseits bekannten Geschichte ihren ganz eigenen Stempel aufdrücken zu wollen, einiges abgewinnen könnte. Schließlich nahm auch er sich allerlei künstlerische Freiheiten bei seiner Adaption der Nibelungensage heraus. „Hagen – Im Tal der Nibelungen“ basiert auf dem Roman „Hagen von Tronje“ von „Der Greif“-Bestsellerautor Wolfgang Hohlbein, der die erste Hälfte des mittelalterlichen Heldenepos „Das Nibelungenlied“ als Historien-, Action- und Fantasy-Spektakel neu interpretiert.
Erzählt wird die bekannte Geschichte diesmal aus der Sicht von Hagen, der im Originaltext noch als klarer Bösewicht agiert. Dabei werden seine Herkunft sowie seine Motivationen ebenso angepasst wie die Hintergründe einiger anderer Charaktere. Das Ergebnis ist gerade in Bezug auf die veränderte Perspektive durchaus reizvoll – auch wenn die Geschichte gelegentlich bruchstückhaft wirkt. Zudem sind einige Figuren allenfalls oberflächlich charakterisiert. Eventuell sind diese Punkte damit zu erklären, dass das Regie-Duo Cyrill Boss und Philipp Stennert („Neues vom Wixxer“) das Projekt parallel als sechsteilige TV-Serie (soll 2025 auf RTL+ laufen) inszenierte. Entsprechend mussten für den aus ihrem Material zusammengeschnittenen, gut zweistündigen Kinofilm zwangsläufig drastische Kürzungen und Auslassungen an der Handlung vorgenommen werden.
Hagen von Tronje (Gijs Naber) ist Waffenmeister des mittelalterlichen Hauses von Burgund. Mit enormer Loyalität und eisernem Kampfeswillen hält er das von Krisen geschüttelte Königreich fast im Alleingang zusammen. Um dies effizient tun zu können, muss Hagen seine romantischen Gefühle für die Königstochter Kriemhild (Lilja van der Zwaag) für sich behalten und auch seine dunkle Vergangenheit so gut er kann aus seiner Gedankenwelt verdrängen. Laufend wird das kleine Königreich von seinen deutlich größeren Nachbarstaaten bedroht.
Bei einer ersten Konfrontation mit den aus dem Osten vorrückenden Hunnen kann Hagen den Tod seines Königs und Gönners Dankrat (Jörg Hartmann) nicht verhindern. Gequält von Schuldgefühlen, kehrt er mit dem kümmerlichen Rest des Heeres in die Hauptstadt Worms zurück, wo nun Dankrats Sohn Gunter (Dominic Marcus Singer) die Krone übernimmt. Hagen weiß, dass die Unerfahrenheit Gunters die Feinde des Reichs nur noch zu weiteren Angriffen ermuntern wird. Gerade da kommt der berühmte Drachentöter Siegfried von Xanten (Jannis Niewöhner) mit seinem Gefolge erfahrener Kämpfer an den Hof und ist bereit zu helfen. Der Preis dafür soll die Hand von Gunters Schwester Kriemhild sein…
Im Vorfeld seiner Veröffentlichung wurde „Hagen – Im Tal der Nibelungen“ immer wieder als eine Art deutsches „Herr der Ringe“ angekündigt. Allerdings – und das muss man ganz klar sagen – kann der Film diesem Vergleich weder visuell noch in Bezug auf die Handlung standhalten. Dazu fällt beides auf Dauer einfach nicht episch und vielschichtig genug aus. Eine Nähe zu hochklassig realisierten Serienstoffen wie „Game Of Thrones“, „Vikings“ oder „The Last Kingdom“ ist da schon deutlich evidenter. Bei den Action- und Schlachtenszenen muss sich der Titel ebenfalls klar hinter Referenztiteln wie „Gladiator“ oder „Braveheart“ anstellen – auch weil sie von ihrem zeitlichen Umfang her deutlich knapper ausfallen. Obwohl der Film durchaus mit ein paar schönen Schauwerten bei Kulissen und Kostümen aufwarten kann, dürften insgesamt einfach nicht die finanziellen Mittel dafür vorhanden gewesen sein, um derlei imposante Massenszenen präsentieren zu können.
So fällt alles um einige Nummern kleiner und kürzer aus. Richtig episches Feeling kommt eigentlich nur bei einem verlängerten Ausflug nach Island auf. Hier kann sich Chef-Kameramann Philip Peschlow („One For The Road“) mittels schöner Bildfahrten über die vereiste Felslandschaft richtig austoben – und dem Publikum so wirklich etwas fürs Auge bieten. Was die Handlung betrifft, so wird diese erfreulich temporeich, aber auch mit einigen spürbaren Sprüngen präsentiert. Zudem sind diverse Figuren arg dünn gezeichnet. Kriemhilds und Gunters Mutter etwa, die von Jördis Triebel („Dark“) verkörperte Ute, ist wenig mehr als eine glorifizierte Stichwortgeberin. Außerdem wird Hagens Schülerin, die junge Damira (Emma Preisendanz), zwar als tapfere Kämpferin eingeführt, erhält danach aber kaum Gelegenheit, dies unter Beweis zu stellen. Zudem stehen die Brüder des Königs (Béla Gabor Lenz, Alessandro Schuster), die in der Romanvorlage nicht unwichtig sind, meist nur schweigend im Hintergrund herum.
Am auffälligsten ist aber die schwache Charakterisierung von Kriemhild. Immerhin ist sie ja die eigentliche Hauptfigur des zugrundeliegenden Epos. Während Gijs Naber („Die Geschichte meiner Frau“) als Hagen herrlich stoisch die Leinwand dominiert und Jannis Niewöhner („Narziss und Goldmund“) seinen Siegfried als Gegenpol zwischen Aufgeblasenheit und Leichtsinn schwer auf den Putz hauen lässt, bleibt Lilja van der Zwaag in ihrem Part erstaunlich blass. Sicher ist dies auch darin begründet, dass die Figur im ersten Teil des Nibelungenlieds noch eher passiv agiert. Wer in der Schule auch den hinteren Part des historischen Textes gelesen hat, wird wissen, dass Kriemhild dort dann deutlich aktiver wird. Diese Information nutzt den Kinogänger*innen hier allerdings noch wenig, falls sie sich fragen sollten, weshalb sich die beiden Alpha-Kerle des Films ausgerechnet nach dieser doch arg stillen und unscheinbar anmutenden Frau verzehren.
Da macht die uns ebenfalls nur recht oberflächlich nähergebrachte, dafür aber mit einigen kernigen Actionszenen sowie den deutlich cooleren Outfits auftrumpfende isländische Amazone Brunhild (Rosalinde Mynster) schon weit mehr Eindruck. Die Story mag ein wenig holprig daherkommen, die weiblichen Charaktere unterentwickelt sein und einige Zuschauer*innen werden sicher auch enttäuscht sein, dass Siegfrieds Kampf mit dem Drachen nicht gezeigt wird. Stattdessen sehen wir lediglich die Nachwehen mit dem toten Untier im Hintergrund und dem in dessen Blut badenden Recken davor. Dennoch ist „Hagen – Im Tal der Nibelungen“ ein über weite Strecken unterhaltsames Historien-Abenteuer mit kleineren Fantasy-Einschüben. Hauptsächlich lebt es von seiner gelungenen, mittels der tollen Ausstattung und des starken Sounddesigns aufgebauten Atmosphäre. Obendrein spielt Gijs Naber den tragischen (Anti-)Helden so glaubhaft zerrissen zwischen seiner Loyalität zum Königshaus und den Ambitionen seines Herzens, dass man sich schon deshalb freuen würde, wenn seine Geschichte in einem Sequel noch zu Ende gebracht würde.
Fazit: Schon rein budgettechnisch kein deutsches „Herr der Ringe“-Monumentalwerk, aber als Konkurrenz für die diversen „Game Of Thrones“-Nachahmer durchaus adäquat. Ein keinesfalls perfekter, aber doch gut unterhaltender Mix aus Historien-Action und höfischen Intrigen mit einem Schuss Fantasy. Der ungewohnte Blick auf die altbekannte Story des „Nibelungenlieds“ ist erfrischend, wenn auch nicht ohne einige Stolperer erzählt. Filmisch ist das Ganze kompetent umgesetzt.
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