Eine Liebe im Trümmer-Hamburg
Von Oliver KubeFilme und Bücher über die Ereignisse während des Zweiten Weltkriegs gibt es unzählige. Auch über die Jahre, die zu diesem größten globalen Konflikt der Menschheitsgeschichte führten, wurde jede Menge geschrieben und gedreht. Doch Geschichten, die die Zeit direkt nach der deutschen Kapitulation behandeln, sind weiterhin eine Rarität. Es besteht also Nachholbedarf. Das sieht man schon daran, dass jemand wie die in „Niemandsland - The Aftermath“ die Hauptrolle spielende Keira Knightley im Presseheft zum Film angibt, bis zum Lesen des Drehbuchs nichts von einer britischen Militärpräsenz im Nachkriegsdeutschland gewusst zu haben.
Als Kino-Gigant Ridley Scott („Alien“, „Blade Runner“) von einem im besetzten Hamburg spielenden Roman der Autorin Rhidian Brooks erfuhr, war er sofort fasziniert. Er war als Kind eines höheren britischen Offiziers genau zu jener Zeit selbst in Hamburg und Frankfurt aufgewachsen und hat bis heute lebhafte Erinnerungen daran. Gerne hätte er die Möglichkeit genutzt, diese Ära filmisch näher zu beleuchten. Aufgrund der turbulenten Arbeiten an „Alles Geld der Welt“ sowie den bereits auf Hochtouren laufenden Vorbereitungen für „Queen And Country“ und „Battle Of Britain“ konnte Scott aber nicht selbst die Inszenierung übernehmen. So musste er sich schweren Herzens mit einer Rolle als Produzent begnügen. Ansonsten wäre aus „Niemandsland - The Aftermath“ wohl ein anderer, vielleicht besserer Film geworden. So jedenfalls liefert nun James Kent („Testament Of Youth“) ein der gefühligen Buchvorlage allzu verpflichtetes Charakter- und Liebesdrama.
Winter 1946: Rachael (Keira Knightley) hat vor zwei Jahren ihren kleinen Sohn bei einem deutschen Luftangriff verloren. Nun kommt sie kurz nach der Kapitulation nach Hamburg. Ihr Ehemann, Colonel Lewis Morgan (Jason Clarke), ist dort als Gouverneur der britischen Armee eingesetzt worden und soll die Entnazifizierung sowie den Wiederaufbau der in Trümmern liegenden Stadt beaufsichtigen. Das Ehepaar zieht in die von den Alliierten beschlagnahmte Luxusvilla von Stefan Lubert (Alexander Skarsgård) ein. Lewis lässt den Architekten und seine durch den Tod ihrer Mutter traumatisierte Tochter (Flora Li Thiemann) allerdings weiterhin dort wohnen; nicht ahnend, dass Lubert und Rachael sich in ihrem Schmerz und ihrer Trauer schon bald näherkommen werden…
Eines muss man James Kent lassen: Sein Film sieht fantastisch aus. Enormen Anteil daran haben die Kulissen. Auf der einen Seite die grauen, dreckigen Ruinen in den zu Schutt und Asche gebombten Straßenzügen. Auf der anderen das opulente, jederzeit blitzsaubere Herrenhaus mit seinem warmen Ambiente und modernen, luxuriösen Interieur, den großen Fensterfronten plus einem riesigen, von einer majestätisch anmutenden, unberührten Schneeschicht bedeckten Garten. Der Gegensatz könnte größer kaum sein und erzielt jederzeit seine Wirkung beim Zuschauer.
Dazu liefert der aus Freiburg stammende Kameramann Franz Lustig („How I Live Now“) passend elegante, lange, mit gebührendem Abstand gefilmte Einstellungen, wenn sich die Handlung auf dem großzügig angelegten Grundstück abspielt. In der engen, chaotischen Ruinenstadt oder wenn Lewis sich konspirativ mit sowjetischen Verbündeten in einem tristen Verwaltungsgebäude trifft, um einen festgesetzten deutschen Widerstandskämpfer zu verhören, sieht das hingen ganz anders aus. Hier setzen Kent und Lustig auf deutlich nervösere, hektisch geschnittene Aufnahmen mit der Handkamera, mit der sie bewusst ganz nah an das Geschehen herangehen.
Letztere Sequenzen lösen weit mehr im Zuschauer aus als die langen, ruhigen Momente. Das Haus (gefilmt wurde im Schloss Tralau im südlichen Schleswig-Holstein) ist atemberaubend und Keira Knightley („Fluch der Karibik“) schaut herzzerreißend traurig drein. Doch das alles bleibt sehr berechenbar. Zumal die beiden Männer, zwischen denen Rachael in diesen Mauern steht, zumindest in den Augen des Publikums nicht wirklich miteinander konkurrieren sollten.
Alexander Skarsgårds („Godzilla Vs. Kong“) Part ist im Drehbuch unterbelichtet. Bis zum Ende bleibt dieser Mann seltsam ungreifbar. Lubert ist nur die Hülse einer Figur mit zu wenigen Informationen, um sich ein wirkliches Bild von ihm machen zu können. Klar, er hat durchaus attraktive Eigenschaften: Der Architekt trauert offenbar ehrlich um seine Frau und liebt seine Tochter innig. Neben einem ansprechenden Äußeren hat er dazu eine hohe Intelligenz und erstklassige Manieren sowie noch immer eine Menge Geld zu bieten. Sein geplantes Haus auf dem ihm gehörenden Grundstück in den Alpen, in das er mit Rachael ziehen will, klingt ebenso großartig wie die gigantische Villa am Elbufer vor den Toren Hamburgs.
Ansonsten erfahren wir nur Vages über seine Vergangenheit im Dritten Reich, seinen familiären Hintergrund und doch so gut wie nichts über seine Gedanken, Überzeugungen und Gefühle. Nur ein einziges Mal fährt er wirklich aus der Haut, während ein betrunkener britischer Offizier auf dem teuren Steinway-Flügel seiner verstorbenen Gattin herumhämmert, als wäre dieser ein billiges Klavier in einer Eckkneipe. Ansonsten wartet man geradezu darauf, endlich zu erfahren, dass der undurchschaubare Lubert trotz gegenteiliger Beteuerungen eben doch ein diabolischer Kriegsverbrecher war.
Lewis, gespielt von Jason Clarke („Friedhof der Kuscheltiere“), ist hingegen ganz offensichtlich ein guter Mensch. Er muss, ebenso wie Rachael, mit dem auch für ihn immens schmerzlichen Verlust des Sohnes zurechtkommen Dazu hat er sich mit dem direkt gegen ihn als obersten Repräsentanten der Alliierten in der Stadt gerichteten, eskalierenden Hass der hungernden, in vielen Fällen obdachlosen Zivilbevölkerung zu arrangieren. Trotzdem hat Lewis – im Gegensatz zu seinen Kollegen und diversen Untergebenen – Empathie für die Hamburger entwickelt. Er will und kann sich in die Situation dieser Menschen, die viel mehr als nur den Krieg verloren haben, einfühlen. Daraus resultiert, dass er immer wieder versucht, sie mit Respekt zu behandeln, ihnen zu helfen und dabei ihre Würde zu lassen. Wenn er doch nur ebenso viel Engagement und Einfühlsamkeit aufwenden würde, um den mentalen Zustand seiner Angetrauten zu erkennen…
„Auf Hamburg fielen an einem Wochenende mehr Bomben als auf London während des ganzen Krieges“, versucht er seiner Frau die verzweifelte Situation in der zerstörten Stadt zu erklären. Aber Rachael nimmt seine Worte, ebenso wie ihre Umgebung außerhalb ihres neuen Heims, nur peripher wahr. Lebt sie doch seit dem Tod ihres kleinen Sohnes in ihrer eigenen seelischen Ruine. Sicher, Lewis sollte merken, dass er im besten Begriff ist, seine Frau zu verlieren und ihr mehr Aufmerksamkeit schenken. Als Zuschauer muss man dennoch einiges an gutem Willen gegenüber der Protagonistin aufbringen, um ihr Handeln in Form der Affäre mit Lubert zu billigen. Denn innerhalb des Films kommt es schon sehr früh (zu früh!) nach ihrer Ankunft in Deutschland zu ersten, spontanen Annäherungen zwischen ihr und ihrem unfreiwilligen Gastgeber. Diese sind eigentlich nur nachvollziehbar oder zu rechtfertigen, wenn man sich selbst hinzudichtet, dass die junge Frau bereits Jahre zuvor in London von ihrem im Kriegsministerium arbeitenden Gatten mit der Trauer um den gemeinsamen Jungen alleingelassen worden sein muss.
Die Liebesgeschichte zwischen der verzweifelten Britin und dem distinguierten Deutschen wirkt von Anfang an oberflächlich und nie wirklich echt. Allzu offensichtlich suchen beide nur eine Art Ersatz für das, was sie verloren haben. So klammern sie sich eben an den erstbesten Menschen, der dafür empfänglich ist. Verstärkt wird dieser Eindruck noch durch das schnell absehbare, deshalb wenig ergreifende Finale. Spätestens hier wird klar: Diese Beziehung ist als Story-Mittelpunkt unbefriedigend. Es gibt im Buch diverse sekundäre Story-Stränge. Die Aufstände der hungernden Bevölkerung Hamburgs, die im Untergrund weiterkämpfenden, ehemaligen Hitler-Jugendlichen um Luberts Tochter Freda (Flora Li Thiemann, „Tigermilch“) und den hoffnungslos verblendeten Albert (Jannik Schümann, „Charité“) oder die schwierigen Verhöre im Rahmen der Entnazifizierung werden in der Verfilmung jedoch nur angerissen beziehungsweise nebenher abgehandelt. Hätte mehr Drehbuch-Aufmerksamkeit für diese Ereignisse einen interessanteren, dynamischeren und letztlich auch berührenderen Film ergeben? Wahrscheinlich schon.
Fazit: „Niemandsland - The Aftermath“ hätte ein vielschichtiges Drama über die Situation im Nachkriegs-Deutschland unmittelbar nach der Kapitulation werden können. Stattdessen bekommen wir nur – zugegebenermaßen immens attraktiv ins Bild gesetztes – Gefühlskino serviert, das diese Ära lediglich als nahezu austauschbaren Hintergrund benutzt. Hier wurde eine Chance vertan.