Zuletzt hat sich Regisseur Detlev Buck („Männerpension“) ausschließlich mit seinem Herzensprojekt „Bibi und Tina“ befasst. Die vier Teile umfassende Teenie-Popmusicalreihe gehört zu den ganz großen Erfolgen der jüngeren deutschen Filmgeschichte und lockte nicht bloß insgesamt rund fünf Millionen Besucher in die Kinos zwischen Flensburg und Passau, sondern ist vor allem auch auf Blu-ray und DVD sowie als Download und Stream ein Renner. Nach dem vierten Teil „Tohuwabohu total“, den es eigentlich schon gar nicht mehr hätte geben sollen, entscheidet Buck sich bei seinem neuen Projekt für einen größtmöglichen Kontrast.
Auf die musikalischen Feelgood-Pferdefilme folgt mit „Asphaltgorillas“ nun nämlich ein Ausflug in das schillernde Milieu der Berliner Unterwelt. Die Besetzung mit angesagten (Nachwuchs-)Schauspielern und einigen Social-Media-Stars deutet ein wenig in die Richtung eines hippen jugendlichen Thrillers. Doch wer die dem Film zugrundeliegende Vorlage kennt, der weiß, was ihn erwatet, denn „Asphaltgorillas“ basiert auf einem Tatsachenbericht aus Ferdinand von Schirachs Kurzgeschichtensammlung „Schuld“ – und das ist bekanntermaßen alles andere als gefälliger Teenie-Stoff. Aber auch mit der dramatischen TV-Inszenierung, wie sie einige andere Geschichten aus „Schuld“ bereits erfahren haben, hat Detlev Buck nichts am Hut. Er macht aus „Asphaltgorillas eine knallige Neo-Noir-Thrillerkomödie und zieht die Absurditätsschraube bis zum furiosen Finale immer weiter an. Das wiederum hindert ihn nicht daran, die zentrale Schuldfrage ähnlich komplex zu beantworten (oder besser: nicht zu beantworten!) wie von Schirach selbst.
Atris (Samuel Schneider) und Franky (Jannis Niewöhner) sind seit Kindestagen beste Freunde. Nachdem sie sich vor einer Weile aus den Augen verloren haben, taucht Franky eines Tages plötzlich wieder bei Atris auf – in einem fetten Lamborghini und mit einem unschlagbaren Angebot in der Tasche. Für die beiden könnte bei einem Falschgelddeal viel Cash herausspringen, was Atris endlich ermöglichen würde, seinem gefährlichen Boss El Keitar (Kida Khodr Ramadan) den Rücken zu kehren. Doch während Atris bislang hauptsächlich kleine Drogendeals abgewickelt hat, ist der neue Coup eine Spur größer. Und so holt er sich Hilfe bei der Teilzeitgaunerin Bettina (Ella Rumpf), mit der er außerdem eine leidenschaftliche Beziehung eingeht. Schließlich überschlagen sich die Ereignisse, in die unter anderem auch Berlins angesagtester Gangsterrapper Kotti-Boss (SSIO) hineingezogen wird…
Im Laufe der 103 Minuten von „Asphaltgorillas“ kommen einem immer mal wieder Gedanken an andere Filme in den Sinn. Die Actionszenen erinnern in ihrer hochstilisierten, penibel durchchoreographierten Inszenierung an „John Wick“. Ausschweifende Vorträge über Sinn und Unsinn des Geldes, visuell unterstrichen von dynamisch geschnittenen Bilderfolgen, kennen wir aus „The Wolf Of Wall Street“. Und getaucht wird all das in ästhetische Neo-Noir-Bilder der Marke „Drive“. Andererseits hat „Asphaltgorillas“ mit seinen sorgfältig gezeichneten Figuren und lebensnahen Zwischentönen auch etwas von einem realistischen Sozialdrama.
Detlev Buck wäre nicht Detlev Buck, wenn er aus diesem Flickenteppich aus allerlei Genre-Versatzstücken nicht etwas ganz Eigenes machen würde. Der Regisseur und Co-Autor, der das erste Mal seit neun Jahren (damals war es „Same Same But Different“) wieder unter seinem Pseudonym „Buck“ in Erscheinung tritt, beginnt „Asphaltgorillas“ als Milieustudie rund um den Drogendealer Atris, der durch den geplanten Falschgeld-Coup immer tiefer in die Unterwelt Berlins gerät. Im weiteren Verlauf des Films nehmen Story und Inszenierung dann allerdings immer überdrehtere Züge an. Während sich die Schlinge um den Hals des Aushilfsganoven langsam zuzieht, lockert Buck die bedrohlicher werdende Atmosphäre mit visuellen Spielereien und bewusst karikaturesk angelegten Nebenfiguren auf.
Von Frankys superreicher Russenfreundin (Model und Instagram-Star Stefanie Giesinger gibt ein hölzernes Debüt mit aufgesetztem Osteuropa-Akzent) über den österreichischen Klischee-Dealer Ronny (Georg Friedrich zelebriert sich in prolligem Leo-Mantel selbst) bis hin zum Rapper Ssio, der hier so etwas wie einen selbstironischen Doppelgänger seiner selbst mimt, ist „Asphaltgorillas“ vollgepackt mit markigen Typen, die allesamt auf der Grenze zum Zuviel balancieren, sie aber nur selten übertreten. Auch Akteure wie die Chanson-Sängerin Julia Engelmann, Stipe Erceg und Octay Özdemir als wunderbar verpeilter Handlanger von Drogenboss El Keitar fügen sich allesamt souverän in ein im besten Sinne buntes Ensemble.
Im Mittelpunkt stehen allerdings vorwiegend Samuel Schneider („Exit Marrakech“), Jannis Niewöhner („Jugend ohne Gott“) in einer Jordan-Belfort/Leonardo-Di-Caprio-Gedächtnisrolle (Niewöhner war nie besser!) und „Tiger Girl“-Star Ella Rumpf. Auch wenn die drei nur in sehr wenigen Szenen gemeinsam auf der Leinwand zu sehen sind, dreht sich in „Asphaltgorillas“ alles um sie und um die Konsequenzen ihres jeweiligen Handelns. Mit fortlaufender Spieldauer erhöht Buck die Schlagzahl, mit der er zwischen den Szenen mit Atris und Bettina, sowie jenen mit Franky wechselt. Sie bemühen sich alle drei darum, das von ihnen heraufbeschworene Chaos wieder in Ordnung zu bringen: Da muss dann auch schon mal ein Rottweiler mit Abführmittel abgefüllt werden, weil er einen Gegenstand gefressen hat, der für den Abschluss des Deals unabdingbar ist. Hinzu kommt der den Dreien im Nacken sitzende El Keitar und als schließlich Unmengen an Falschgeld im Umlauf sind, machen noch viele weitere zwielichtige Typen Jagd auf das Trio.
Das Tempo wird bis zum rasanten Finale stetig gesteigert und auf der Zielgeraden kommen dann noch einige gleichermaßen derbe wie sehr stylisch inszenierte Actionszenen hinzu. Die entscheidenden Momente finden in von Neon-Lichtern getränkter Nacht statt, während wahlweise ein moderner Electro-Beat oder prollige Hip-Hop-Sounds aus den Boxen dröhnen, was die rauschhaft-fiebrige Stimmung des Ganzen verstärkt, die bei aller Absurdität im Einzelnen dominiert. Obwohl es in „Asphaltgorillas“ immer mal wieder was zum Lachen gibt – das ergibt sich allein schon aus der puren Masse an skurrilen Ideen und schrägen Typen – steht am Ende der Geschichte doch die Frage, wer für derart aus dem Ruder laufende Ereignisse und die zum Teil dramatischen, sogar tödlichen Folgen die Verantwortung trägt. Doch anstatt darauf eine Antwort zu geben, wird das Finale zur bittersüßen Pointe, frei von jedwedem moralischen Zeigefinger. Und spätestens da hat Buck die Essenz von Schirachs „Schuld“-Geschichten perfekt erfasst.
Fazit: Detlev Buck inszeniert Ferdinand von Schirachs Kurzgeschichte „Der Schlüssel“ als knalligen Mix aus Milieustudie, Coming-Of-Age-Film und „John Wick“ – und der abgefahrene Genre-Cocktail schmeckt ziemlich super.