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    Brawl In Cell Block 99
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Brawl In Cell Block 99
    Von Christian Fußy

    Seit seinem blutrünstigen Regiedebüt „Bone Tomahawk“, einem Horror-Western mit Kurt Russell und Patrick Wilson, gilt S. Craig Zahler als möglicher neuer Heilsbringer des Genrekinos. Wie seine Kollegen Jeremy Saulnier („Blue Ruin“, „Green Room“) und Robert Eggers („The Witch“) kombiniert auch Zahler streng charakterfokussierte, betont minimalistische Plots mit krass überhöhten Exploitation-Elementen. Im Gegensatz zur vorangegangenen Generation postmoderner Genreregisseure wie Quentin Tarantino oder Edgar Wright kommen die Gewaltspitzen bei den neuen Indie-Hotshots allerdings ohne jede augenzwinkernde Ironie aus. Zahlers beim Filmfestival in Venedig uraufgeführtes Grindhouse-Gefängnisdrama „Brawl In Cell Block 99“ ist da keine Ausnahme: Auf der einen Seite wird der Weg durch das amerikanische Gefängnissystem mit nahezu dokumentarischer Nüchternheit geschildert, zum anderen stoßen in dieses streng-realistische Setting mit der Zeit immer mehr völlig abgefahrene Grindhouse-Elemente hinein – etwa ein extra aus Asien eingeflogener Chirurg, der sich diebisch darüber freut, wenn er Gliedmaßen von Föten noch im Mutterleib amputieren darf. Diese vermeintlichen Gegensätze kommen in „Brawl In Cell Block 99“ nicht nur überraschend stimmig zusammen, der extreme Kontrast bringt erst ihre ganze Stärke hervor. Das Ergebnis ist ein geerdet-abgehobenes Genre-Highlight mit einem gnadenlos guten Vince Vaughn.

    Drogenkurier Bradley (Vince Vaughn) wird nach einem verhunzten Deal von der Polizei gefasst und vom Richter zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt. Sein Scheitern kostet seinen anonymen Auftraggeber ein Vermögen. Aus Rache lässt der Bradleys hochschwangere Frau Lauren (Jennifer Carpenter) entführen. Im Gegenzug für ihr Leben und das Leben ihres ungeborenen Kindes soll Bradley im Gefängnis einen Auftragsmord verüben. Allerdings sitzt die Zielperson im berüchtigten Zellenblock 99 eines von Knastdirektor Tuggs (Don Johnson) geführten Hochsicherheitsgefängnisses ein…

    Bis der eigentliche Plot überhaupt ins Rollen kommt, vergehen in „Brawl In Cell Block 99“ bereits gut 45 Minuten. Wie schon in „Bone Tomahawk“ nimmt sich Zahler auch diesmal wieder die Zeit, die Überzeugungen, Hoffnungen und das moralische Fundament seiner Figuren herauszuarbeiten, bevor er sie direkt und ohne Rückfahrtschein in die Hölle schickt. Dabei schürt und unterwandert der Regisseur immer wieder die Erwartungen des Publikums – schon bevor es auch nur dazu kommt, dass Bradley ins Gefängnis wandert, ist man sich mehrere Male ganz sicher, wie die nächsten Minuten wohl ablaufen werden (und man liegt doch jedes Mal falsch, was sich übrigens auch im weiteren Verlauf des Films nicht ändert). Nachdem er zunächst als cholerischer Vulkan eingeführt wird, entwickelt sich der hünenhafte Glatzkopf schnell zu einem auf schräge Art charismatischen Anti-Helden. Dass das so reibungslose gelingt, liegt vor allem an dem ansonsten eher für seine Comedy-Rollen bekannten Vince Vaughn („Die Hochzeits-Crasher“, „Voll auf die Nüsse“), der den inneren Widerstreit des sich immer wieder selbst zur Besonnenheit zwingenden Protagonisten konsequent nach außen schält – es ist wohl die körperlich beeindruckendste Performance des Jahres. Trotzdem ist Bradley kein klassischer Action-Held, der einfach alles plattmacht, weil das eben sein Ding ist, sondern bleibt selbst in den brutalsten Momenten immer jemand, der glaubhaft gegen seinen Willen zu dieser erschreckend effizienten Brutalität getrieben wird – selbst beim Zermantschen von Schädeln bleibt „Brawl In Cell Block 99“ immer auch eine faszinierend-verstörende Charakterstudie.

    Wie nebenbei prescht Zahler ähnlich effizient durch vertraute Genremuster wie seine Hauptfigur durch die Reihen ihrer Widersacher: So erinnert die Ankunft in der Haftanstalt The Fridge sicher nicht zufällig an das Sträflingsdrama „Die Verurteilten“ - komplett mit einem weisen älteren Schwarzen als Mentor und griesgrämigen Despoten als Aufsehern. Wenn Ex-Boxer Bradley dann auch noch gebeten wird, im Rahmen des Gefängnis-Sportprogramms in den Ring zu steigen, schreit das regelrecht nach einer inspirierenden Rehabilitationsstory im Stil von „Die Kampfmaschine“ oder dessen Brit-Remake „Mean Machine“. Mit solchem Firlefanz hält sich „Brawl In Cell Block 99“ jedoch nicht lange auf, statt Knastromantik gibt es trostlose, kontrastarme Bilder mit kränklich wirkendem Grünstich. Und während die anderen Insassen bewusst blass bleiben und von eher unbekannten Schauspielern verkörpert werden (was zugleich den dokumentarischen Duktus dieser Szenen unterstreicht), kommen mit den Grindhouse-Elementen dann auch die größeren Namen: So begeistert neben B-Movie-Legende Udo Kier („Iron Sky“) vor allem „Miami Vice“-Star Don Johnson, der hier eine Variation seiner Rolle aus „Django Unchained“ abliefert – nur eben wie der ganze Film ohne das inzwischen fast schon selbst zum Klischee gewordene Augenzwinkern. Erfrischend harter Tobak.

    Fazit: „Brawl In Cell Block 99“ ist nicht nur Grindhouse-Kino der Extraklasse, sondern auch ein niederschmetterndes Charakterdrama. Die Wirkung dieser gnadenlos-fatalistischen Knasterfahrung ist auch lange nach dem Abspann noch zu spüren – wie ein sehr, sehr harter Schlag in die Magengrube.

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