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    Die Hände meiner Mutter
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Die Hände meiner Mutter
    Von Ulf Lepelmeier

    Unser Gehirn ist in der Lage, furchtbare Erinnerungen auszublenden, sie wegzuschließen, um die Psyche zu schonen und ein normales Weiterleben zu ermöglichen. Doch was passiert, wenn solche verdrängten, ungeheuren Bilder aus der Kindheit plötzlich und ganz unerwartet ins Bewusstsein zurückkehren? In „Die Hände meiner Mutter“ erinnert sich Familienvater Markus (Andreas Döhler) durch einen Vorfall mit seinem kleinen Sohn ganz plötzlich daran, wie er von seiner Mutter als kleiner Junge missbraucht wurde. Fortan beherrschen die unverarbeiteten Kindheitserfahrungen mit aller Macht das Denken des 39-Jährigen und belasten ihn und seine Familie. Regisseur Florian Eichinger befasst sich in seinem hervorragend besetzen Drama mit der Kindsmisshandlung in der Familie, dem Todschweigen der Vorkommnisse und dem Wunsch nach Aufarbeitung und Gerechtigkeit.

    Ein heiteres Familientreffen zum Geburtstag des Familienoberhauptes Gerhard (Heiko Pinkowski) wird zum tragischen Wendepunkt im Leben des Ingenieurs Markus (Andreas Döhler), als ihn auf einmal bestürzende Kindheitserinnerungen heimsuchen. Eine kleine Schnittwunde seines Sohnes Adam, der mit Großmutter Renate (Katrin Pollitt) gerade auf der Toilette war, lässt in Markus die verdrängten Bilder des Missbrauchs durch die Hände der eigenen Mutter zurückkehren. Diese dunkle Wahrheit bestimmt fortan Markus‘ Leben, sie lenkt ihn von seiner Arbeit ab und belastet auch seine Beziehung zu seiner Frau Monika (Jessica Schwarz) extrem. Schließlich versucht er seine Mutter und auch die anderen Familienmitglieder mit dem Missbrauch zu konfrontieren…

    Nach dem Vater-Sohn-Drama „Bergfest“ und der Begleitung eines Brüdergespanns in „Nordstrand“ schließt Florian Eichinger seine Trilogie über Gewalt in der Familie mit „Die Hände meiner Mutter“ nun ab. Nachdem im vergangenen Jahr auch schon Rosa von Praunheim das oft totgeschwiegen Tabuthema in seiner experimentellen Doku „Härte“ aufgegriffen hat, befasst sich nun auch Eichinger in seinem Drama mit dem sexuellen Missbrauch durch die eigene Mutter. Um ein möglichst wahrhaftiges Bild der ungeheuren Situation und der sich aus ihr speisenden Dynamiken zu skizzieren, führte der Regisseure über einen Zeitraum von vier Jahren intensive Gespräche mit drei betroffenen Opfern und zwei auf diesem Gebiet spezialisierten Psychologen.

    „Die Hände meiner Mutter“ geht der Gefahr der Überdramatisierung konsequent aus dem Weg und macht gerade in seiner nüchternen Schilderung betroffen, etwa wenn Markus‘ Leben von einem Moment auf den anderen von einem schrecklichen Trauma überschattet wird. Zudem hat sich Eichinger zu dem Wagnis entschieden, die langsam zurückkehrenden Erinnerungen ebenfalls mit Andreas Döhler in der Rolle des Kindes zu inszenieren, was zuerst einen entrückten, theaterhaften Eindruck erweckt. Doch wenn sich die dominante Mutter dem kindlich agierenden Markus in seiner Erwachsenengestallt nähert und dazu ansetzt, ihn anzufassen oder zu sexuellen Handlungen zu nötigen, wird die Kluft zwischen der erinnerten Vergangenheit und Markus‘ heutigem Empfinden durch Döhlers Doppelrolle auf beunruhigende Weise aufgehoben. Die gespielten Erinnerungsszenen, die den eigentlichen Missbrauch ausblenden, zeigen so zugleich, welche Bedeutung die Übergriffe damals für das Kind gehabt haben mögen und welche Seelenpein der sich erinnernde Erwachsene auch Jahrzehnte später noch erleidet.

    Auch wenn die angeschlagene Psyche von Markus im Mittelpunkt des Dramas steht, gelingt es Eichinger in den einzelnen, nach Familienmitgliedern benannten Kapiteln, auch den Umgang der Bezugspersonen mit der erschreckenden Wahrheit feinfühlig zu beleuchten. So setzt Markus’ Vater auf das Prinzip der Verdrängung, während Mutter Renate sich ihren Taten zwar voll bewusst ist, aber trotzdem keine Reue zeigt. Katrin Pollitt („Jeder stirbt für sich allein“) lässt diese uneinsichtige, stoische Mutter in sich ruhend und kalt erscheinen, ohne ihr deshalb gleich etwas Dämonisches zu verleihen. Gerade die vermeintliche Beherrschtheit ihrer Figur verstört zutiefst. Die zunächst an der Missbrauchsgeschichte zweifelnde, aber dann engagiert an der Seite ihres Ehemannes stehende Monika spielt Jessica Schwarz („Das Parfum“) so facettenreich, dass die extrem belastete Beziehung in ihren unterschiedlichen Stadien schmerzlich realistisch wirkt. Absolut herausragend in der Rolle des Markus, sowohl in der Gegenwart als auch in den Vorstellungen seiner kindlichen Wahrnehmung, agiert Theaterstar Andreas Döhler („Millionen“). Er macht erfahrbar, wie Markus von den immer wiederkehrenden Gedanken gemartert wird und wie sie ihm langsam immer mehr den Halt im Leben nehmen.

    Fazit: Auf präzise, beinahe nüchterne und gerade deswegen so aufwühlende Weise seziert Florian Eichinger, wie ein erwachsener Mann unter den Spätfolgen des unverarbeiteten Kindsmissbrauchs durch die eigene Mutter zu leiden hat.

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