Eine Liebesgeschichte nach einer Gewalttat
Von Antje WesselsJüngsten Statistiken zufolge werden in Deutschland pro Jahr mehr als 10.000 Vergewaltigungen und Delikte sexueller Nötigung gemeldet. Daneben gibt es noch eine hohe Dunkelziffer, denn gerade Taten innerhalb des näheren Bekanntenkreises werden von den Betroffenen oft nicht zur Anzeige gebracht. Genauso handhaben es nach einem Überfall auch Liv (Luise Heyer) und Malte (Maximilian Brückner), die Protagonisten in Sven Taddickens Drama „Das schönste Paar“. Der Regisseur, der sich bereits in der Romanverfilmung „Gleißendes Glück“ intensiv mit der menschlichen Psyche und insbesondere inneren Zwängen auseinandersetzte, verfolgt dieses Thema in seinem neuesten Werk weiter. Der gebürtige Hamburger lässt seine Hauptfiguren nicht direkt auf die Geschehnisse reagieren. Erst als Liv und Malte zwei Jahre nach einer schlimmen Gewalttat aus heiterem Himmel erneut mit der Tat konfrontiert werden, brechen die vermeintlich unter Kontrolle gehaltenen Emotionen und Ängste hervor und lassen eine Auseinandersetzung mit einem Trauma zu, das längst abgeschlossen zu sein schien.
Als die auf einer Mittelmeerinsel urlaubendenden Liv und Malte am Strand Sex haben, ahnen sie nicht, dass sie dabei beobachtet werden. Drei junge Männer verfolgen das Paar bis in ihr Ferienhaus, in das sie sich schließlich mit Nachdruck Zutritt verschaffen. Malte bietet ihnen all sein Geld, Liv ihre teure Kamera – doch es hilft alles nichts. Erst soll das Paar vor den Augen des Trios miteinander schlafen, anschließend vergehen sich die Einbrecher vor Maltes Augen an seiner Frau. Ein traumatisierendes Erlebnis für das eigentlich so glückliche Paar. Zwei Jahre später haben sie das Trauma – auch durch Psychotherapie – überwunden. Doch alles ändert sich, als Malte eines Abends in einem Imbiss einen der Täter (Leonard Kunz) wiedererkennt. Während Malte plötzlich so etwas wie Rachegelüste entdeckt, will Liv daran festhalten, die Geschichte hinter sich zu lassen...
Malte dürstet nach Rache.
Eine der ersten Szenen nach dem brutalen Überfallszenario zeigt das titelgebende „schönste Paar“ in einer Schule, wo die als Lehrkräfte arbeitenden Malte und Liv in der Pause zufällig aufeinandertreffen. Sie berühren sich kurz, schenken sich ein vielsagendes Lächeln und anschließend geht jeder seines Weges. Ohne Kuss oder eine andere intime Gesten agieren die für diesen Part für den deutschen Filmpreis nominierte Luise Heyer („Der Junge muss an die frische Luft“) und „Tannbach“-Darsteller Maximilian Brückner so herzlich und authentisch miteinander, dass man ihnen auch in derart flüchtigen Momenten jederzeit ihre innige Liebe abnimmt.
Dies verstärkt Regisseur Sven Taddicken, der es nicht nur bei der Darstellerführung immer wieder versteht, die Liebe seiner Hauptfiguren hervorzuheben, ohne kitschig zu werden. So gibt es in „Das schönste Paar“ keinerlei ausschweifende Liebesbekundungen, es wird sich nur selten geküsst (nicht zuletzt, weil gerade Liv Sexualität nach ihrer Vergewaltigung immer noch schwerfällt). Stattdessen macht Taddicken die innige Bindung der beiden durch aufopferungsvolles Verständnis für den jeweils anderen deutlich. Jeder von ihnen steckt ganz selbstverständlich seine eigenen Bedürfnisse für den Partner zurück. Es steht außer Frage: Liv und Malte sind tatsächlich „Das schönste Paar“.
Als Malte schließlich einen der Vergewaltiger wiedersieht, droht die schöne Fassade des Paares Risse zu bekommen. Doch auch ab hier setzt Sven Taddicken weiterhin auf kleine Gesten. Anstatt in bester Liam-Neeson-Manier den großen Rachefeldzug anzutreten, weiß Malte offensichtlich selbst nicht genau, wie er jetzt mit der Situation umgehen soll. Der Zuschauer spürt jedoch seinen inneren Zwang, endlich etwas zu unternehmen, was er bisher nicht tun konnte. Besonders deutlich wird dies in einer Szene, in der Malte mehrere Stunden lang an einem Bahnsteig wartet. Nicht nur Maximilian Brückner bringt mit seinem differenzierten Mienenspiel die Anspannung zum Ausdruck, die ihn in diesem Moment durchströmt. Er ist sichtbar hin- und hergerissen: Wieso verfolgt er den Täter von damals überhaupt und was macht er eigentlich, wenn er ihm dann tatsächlich gegenübersteht? Doch wäre es nicht fahrlässig, ihn einfach entkommen zu lassen? Das sind Fragen, die sich nicht nur die Figuren (auch in ausführlichen Dialogen) stellen, sondern auch das Publikum.
Ob es zu dieser Begegnung kommt, wollen wir nicht nur aus Spoilergründen nicht verraten, es ist letztlich auch gar nicht so wichtig. Schließlich geht es in „Das schönste Paar“ vor allem darum, wie sich dieses Ereignis auf die Liebe zwischen Liv und Malte auswirkt. Weil er die beiden Hauptfiguren exakt gegenteilig denken lässt, macht es sich Taddicken aber auch ein wenig einfach. „Das schönste Paar“ ist so deutlich bequemer, weniger aneckend wie noch sein vorheriger Film „Gleißendes Glück“. Durch die unterschiedlichen Sichtweisen findet jeder Zuschauer Identifikationspunkte, kann die Beweggründe von Malte oder Liv nachvollziehen. Das hat natürlich aber auch den Vorteil, dass sich leichter mit ihnen mitfiebern lässt. Selten hat man einem Film-Liebespaar ihr Glück am Ende so sehr gegönnt, wie diesen beiden. Und da der Weg zum möglichen Happy End (?) extrem steinig ist, ist auch nie ganz abzusehen, ob Taddicken für seine Figuren nicht doch ein ganz schön niederschmetterndes Ende bereithält.
Fazit: Sven Taddickens „Das schönste Paar“ ist gleichzeitig eine emotionale Auseinandersetzung mit den traumatischen Nachwirkungen einer Gewalttat wie auch eine authentische Liebesgeschichte.