„Sag‘ niemals nie!“ Diese goldene Regel im Filmbusiness hat Steven Soderbergh („Ocean‘s“-Reihe, „Traffic“) missachtet, als er 2013 völlig frustriert von der Kinobühne abtrat, weil die Hollywood-Studios sein Künstler-Biopic „Liberace“ als „zu schwul“ ablehnten (der Film lief stattdessen auf HBO) und generell das Autorenkino als zu risikoreich abgeschrieben hätten. Aber auch wenn sich der Oscargewinner aus Atlanta nun nur vier Jahre später nach einem TV-Abstecher („The Knick“) wieder mit einem Kinofilm zurückmeldet, bedeutet das nicht, dass er deshalb auch vor den großen Studios zu Kreuze kriecht. Stattdessen hat Soderbergh mit Fingerprint Releasing in der Zwischenzeit eine eigene Verleihfirma gegründet, die nun mit „Logan Lucky“ ihr erstes Projekt in die Kinos bringt. Der Regisseur genießt so die komplette kreative Kontrolle, was der launigen Feel-Good-Action-Komödie auch anzumerken ist: „Logan Lucky“ macht unglaublich viel Spaß, gerade weil Soderbergh der Spielfreude seiner Stars absolut freien Lauf lässt, und kommt zudem zwischendrin auch eine ganze Ecke ungehobelter daher als man es von den üblichen Mainstream-Produktionen aus dem Hollywood-System gewöhnt ist.
Boone County, West Virginia: Über der Arbeiterfamilie Logan liegt anscheinend ein Fluch. Jimmy Logan (Channing Tatum) muss sich seinen kargen Lohn als Bauarbeiter erschuften, seit ihm eine schwere Knieverletzung die vorgezeichnete professionelle Football-Karriere versaut hat. Sein jüngerer Bruder Clyde (Adam Driver) hat im Krieg einen Unterarm verloren, was seinen Job als Barkeeper nicht unbedingt einfacher macht. Nur ihre Schwester Mellie (Riley Keough), die in einem Schönheitssalon frisiert, blieb bisher von größeren Katastrophen verschont. Während Jimmys Tochter Sadie (Farrah Mackenzie), die bei seiner Ex-Frau Bobbie Jo (Katie Holmes) lebt, sich auf einen Talentwettbewerb vorbereitet, verliert ihr Vater wieder mal ohne eigenes Zutun seinen Job. Damit ist für ihn die Zeit für einen alternativen Lebensweg gekommen: Jimmy plant einen kühnen Raubüberfall auf ein NASCAR-Rennen in Charlotte, North Carolina - dort hat er nämlich zuletzt als Baggerfahrer gearbeitet und Erdlöcher in der Rennstrecke beseitigt. Bevor Jimmy und Clyde dort das unterirdische Rohrpostsystem anzapfen können, um sich mit den Millionen ihrer notorischen Geldsorgen zu entledigen, steht allerdings noch ein Hindernis im Weg: Der für den Plan notwendige Tresorspezialist Joe Bang (Daniel Craig) sitzt noch ein und muss deshalb erst aus dem Knast geholt werden…
„Logan Lucky“ steckt voller Herzblut, Aufrichtigkeit und Eigenwilligkeit. Soderbergh versprüht ganz einfach einen besonderen Spirit, der den Film von so mancher klinischen Hollywood-Produktion abhebt. Das beginnt schon mit einer amüsanten Scharade: Das Drehbuch stammt offiziell von einer gewissen Rebecca Blunt, in Wahrheit schrieb es aber (wie The Playlist enthüllte) Soderberghs Frau Jules Asner. Der Regisseur ist bekannt für solche neckischen Spielchen und servierte im Presseheft sogar noch eine rührselige Geschichte zur imaginären Rebecca Blunt. Auch in der Vergangenheit gab Soderbergh seine eigenen Credits für Kamera und Schnitt schon an Fantasiepersonen wie Peter Andrews oder Mary Ann Bernard – und im Abspann von „Logan Lucky“ heißt es augenzwinkernd „… and introducing Daniel Craig“ (ein Credit, der eigentlich Schauspielern in ihrer ersten Kinorolle vorbehalten ist).
Im Zentrum von „Logan Lucky“ stehen einfache Menschen aus einem der ärmsten US-Bundesstaaten. Obwohl das Publikum meist mit und seltener auch über sie lacht, liegen diese Figuren aus Fleisch und Blut Soderbergh unbedingt am Herzen. Trotz Slapstick-Einlagen und knochentrockenen Dialog-Passagen wird nicht einer der Charaktere als Knallcharge abgekanzelt, stattdessen ist eine tiefgehende Sympathie für die Menschen des Blue-Collar-Arbeitermilieus von West Virginia in jeder Sekunde spürbar. Dass Soderbergh für „Logan Lucky“ frei von äußeren Einflüssen und Interessen inszenieren kann, ist dem Film auch sonst anzumerken. Er wirft Gag auf Gag in die Runde, pausiert dann mal eine Weile mit Lachern, bevor es wieder mit Vollgas lustig weitergeht – solche kleinen erzählerischen Unwuchten tragen hier letztendlich mehr zum Charme des Films bei als dass sie ihm schaden würden. So entwickelt „Logan Lucky“ einen regelrecht unwiderstehlichen Rhythmus, denn die Operation NASCAR-Raubzug läuft nach einer ausführlichen Einführung der Figuren ganz geschmeidig auf den Höhepunkt des Coups zu.
Soderbergh legt bei „Logan Lucky“ einen extrem hohen Wert auf spezifische Details. An einer Stelle erzählt Mellie ganz ausführlich, warum sie wo welche Autobahnabschnitte gewählt hat, um Jimmys Tochter vom Training abzuholen. Das sagt einem Zuschauer, der nicht selbst in der Gegend wohnt, erst einmal gar nichts – aber es verankert „Logan Lucky“ ganz fest an seinem Schauplatz, denn an einem anderen Ort könnte dieser Film schlicht nicht spielen. Aber selbst wenn solches Lokalkolorit sehr wichtig für die Stimmung des Films ist, hat Soderbergh kein Problem damit, seine waghalsige, etwas überkandidelte Coup-Idee schließlich zu einer regelrechten Mastermind-Räuberfantasie auswachsen zu lassen. Ganze Passagen werden herrlich launig überhöht - wie zum Beispiel eine extrem schräge, gewaltlos-effektive Gefängnisrevolte, die Jimmy und Clyde als Ablenkungsmanöver inszenieren. Wenn dort die hartgesottenen Knastbrüder von ihrem Gefängnisdirektor Burns (Dwight Yoakam) die Anschaffung der „Game Of Thrones“-Bände sechs und sieben für die Bibliothek fordern (also jener Bücher, mit denen Autor George R. Martin schon seit Jahren schwer im Verzug ist), ist das einer der komödiantischen Brüller des Films.
Ebenso wichtig wie der trockene Humor ist das Zusammenspiel der spielfreudigen Stars, die Soderbergh für sein Comeback im Dutzend vor der Kamera versammeln konnte und die sich ständig gegenseitig mit ihren Dialekten zu übertreffen versuchen: An der Spitze erledigt Soderbergh-Spezi Channing Tatum (dies ist die dritte Zusammenarbeit nach „Magic Mike“ und „Side Effects“) seine Arbeit als Leading Man gewissenhaft, man nimmt ihm den einfachen, im Herzen ehrlichen Malocher ab. Die Rolle ist ihm quasi auf den Leib geschrieben - körperlich hat Tatum nämlich etwas zugelegt, was ihn massig und nicht zu durchtrainiert wirken lässt. Adam Driver („Girls“, „Paterson“) bekommt weniger Raum, nutzt aber seinen Anteil als dezent spleeniger einarmiger Barkeeper für trockenen Humor, bei dem immer auch eine feine Note von Ernsthaftigkeit mitschwingt, seine Performance ist jedenfalls die nuancierteste von allen.
Die größten Lacher kassiert jedoch Bond-Darsteller Daniel Craig („Verblendung“), der als blondierter Tresorsprengspezialist Joe Bang wirklich ein echter Knaller ist. Zumeist im absurden Streifensträflingskostüm haut er die trockenen Oneliner am Fließband raus – mit dem absoluten Highlight eines eher ungewöhnlichen Bombenbaurezepts für die Tresorsprengung. Eine Attraktion ist auch die Schar der namhaften Nebendarsteller wie Seth MacFarlane („Ted“) als arroganter NASCAR-Teamboss, Hilary Swank („Million Dollar Baby“) als hartgesottene FBI-Agentin, Katherine Waterston („Alien: Covenant“) als nette Mobil-Ärztin, Katie Holmes als Jimmys vermögende Ex-Frau-Zicke oder Dwight Yoakam („Panic Room“) als eigenwilliger Gefängnischef, die zwar nur für kleine Episoden vorbeischauen, aber alle tatsächlich etwas Substanzielles beizutragen haben.
Fazit: Schön, dass du wieder da bist, Steven Soderbergh! Mit seinem sympathisch-unterhaltsamen Gaunerfilm „Logan Lucky“ liefert der „Ocean’s Eleven“-Regisseur die Arbeiterklassen-Antwort auf seine erfolgreiche Gentleman-Gauner-Trilogie – und ganz ehrlich hätten wir absolut nichts dagegen, wenn es auch mit „Logan Lucky“ noch weitergehen würde.