Florian Henckel von Donnersmarck war seit seinem Debüt „Das Leben der Anderen“ eine Ausnahmeerscheinung im deutschen Kino – und damit ist nicht seine Herkunft als Graf eines altschlesischen Adelsgeschlechts gemeint. Aber wenn jemand mit seinem Abschlussfilm bei der Münchener Filmhochschule gleich mal den Fremdsprachen-Oscar einsammelt und dazu noch einen herausragenden Erfolg an den deutschen und internationalen Kinokassen hinlegt, dann darf man da durchaus von einem Donnerschlag sprechen. Der nächste Karriereschritt führte dann 2010 mit dem vergurkten Hochglanz-Hollywood-Thriller „The Tourist“ (mit Angelina Jolie und Johnny Depp) erst einmal ins Abseits, bevor sich von Donnersmarck nun mit seinem großgedachten Künstler-Drama „Werk ohne Autor“ in prächtiger Form zurückmeldet: Vier Jahre und jede Menge Herzblut hat der gebürtige Kölner in sein 188 Minuten langes Epos investiert – und die Mammutanstrengungen haben sich gelohnt. „Werk ohne Autor“ ist eine Geschichte über die Kraft der Kunst und was sie mit den Menschen macht, die sich mit ihr auseinandersetzen; eingebettet in eine drei Dekaden umspannende deutsche Geschichte voller kollektiver und persönlicher Traumata. Was in dieser Beschreibung womöglich sperrig und anstrengend klingt, entpuppt sich als ein ebenso kraftvolles wie kurzweiliges Drama mit Anklängen des psychologischen Thrillers.
Dresden, 1937: Seine junge Tante Elisabeth May (Saskia Rosendahl) führt den sechsjährigen Kurt Barnert (Cai Cohrs) an die Kunst heran und fördert seine Kreativität. In der immer dominanter werdenden Nazi-Gesellschaft ist die freigeistige Elisabeth hingegen ein Fremdkörper. Hilflos muss die Familie mitansehen, wie Elisabeth mit diagnostizierter Schizophrenie ins Euthanasie-Programm der Nationalsozialisten rutscht und von dem leitenden Gutachter für Erbgesundheit, Professor Carl Seeband (Sebastian Koch), in die Gaskammer geschickt wird. Das Trauma dieses Verlusts trägt Kurt (jetzt: Tom Schilling) als junger Erwachsener weiter mit sich herum. Anfang der 1950er Jahre scheint sich Kurt als Kunstmaler mit dem System Kommunismus in der DDR arrangiert zu haben und stellt 1956 seine Diplomarbeit an der Kunsthochschule fertig. Als staatlicher Freskenmaler kann er seine enorme Kreativität zwar nicht voll ausleben, verdient aber gutes Geld und erwirbt sich einen exzellenten Ruf. Privat könnte es auch nicht besser laufen, als sich der sensible Maler in die Modestudentin Ellie Seeband (Paula Beer) verliebt. Nur mit seinem zukünftigen Schwiegervater, dem Star-Gynäkologen Carl Seeband, wird Kurt nicht warm. Ellies Vater hält Kurt für nicht gut genug für seine Tochter…
Wie schon bei seinem Durchbruch „Das Leben der Anderen“, für den von Donnersmarck sich das Lebenswerk des Liedermachers Wolf Biermann vornahm, um die Essenz des realen Schicksals zu destillieren und daraus seine eigene Geschichte zu formen, verfährt der Regisseur, Autor und Produzent nun bei „Werk ohne Autor“ nach einem ganz ähnlichen Muster. Ausgangspunkt ist dieses Mal das Leben des Malers, Bildhauers und Fotografen Gerhard Richter, wobei gar nicht mal seine Werke, sondern sein privates Schicksal Auslöser für von Donnersmarcks Faszination waren: Richters Tante Marianne Schönfelder wurde 1945 von NS-Ärzten ermordet, woran auch Richters erster Schwiegervater Heinrich Eufinger als Verantwortlicher für die Zwangssterilisation in Dresden beteiligt war. Dieses düstere Kapitel deckte der Tagesspiegel-Journalist Jürgen Schreiber allerdings erst Jahrzehnte später in einem Buch über den Maler auf und brachte von Donnersmarck so auf die Idee zu „Werk ohne Autor“. Da von Donnersmarck das sture Abklappern biographischer Fakten aber zu öde ist, fiktionalisiert er seine Stoffe. Das gibt dem Filmemacher alle Freiheiten der Welt und er kann Drama und Tragik nach eigenem Gusto ausschmücken und vertiefen.
Neben dem Gerhard-Richter-Alter-Ego Kurt Barnert spielt auch Oliver Masucci („Er ist wieder da“) als Professor Antonius van Verten eine Leinwandpersona einer realen Persönlichkeit. Sein an der Kunstakademie Düsseldorf alleinherrschender Professor ist zweifelsfrei dem exzentrischen Aktionskünstler und Bildhauer Joseph Beuys nachempfunden. Gerade an dieser Figur lässt sich der große Vorteil von von Donnersmarcks Absorbierungsmethode verdeutlichen: In einer der elektrisierendsten Sequenzen des Films erzählt der unnahbare und vermeintlich desinteressierte Professor van Verten die Geschichte seines Traumas und seiner gleichzeitigen Erweckung, als er 1944 als Flieger im Zweiten Weltkrieg über der Krim abgeschossen wurde und nur schwer verletzt überlebte. Nomadisierende Krimtataren pflegten den halbtoten Soldaten aufopferungsvoll mit Fettsalbungen und wickelten ihn in wärmenden Filz ein, bis sich Besserung einstellte. So erklärte der echte Beuys stets seine künstlerische Manie für die Materialien Fett und Filz, weil er sie als Individuum komplett durchdrungen habe. Doch der Krim-Teil diese Geschichte scheint reine Legende, die von Historikern längst widerlegt ist. Das muss Donnersmarck aber nicht kümmern. Was bleibt, sind einige paar herausragend intensive Leinwandminuten, die einen schwer in ihren Bann ziehen. So funktioniert „Werk ohne Autor“.
Donnersmarck findet Wege, einen Film über die Feingeistigkeit der Kunst und seine Akteure zu drehen, ohne sich von Arthouse-Limitierungen fesseln zu lassen. Stattdessen bietet er aufwändige Sets mit Tausenden von Komparsen und donnernder Dynamik. „Werk ohne Autor“ will die ganz große Perspektive, die ganz großen Bilder, den ganz großen Gestus – um zu unterhalten und eine mitreißende wie ambitionierte Geschichte zu erzählen, die von drei Dekaden deutscher Historie mit mächtigem Hintergrundrauschen befeuert wird. Das reicht von weltumspannenden Themen wie politischen Wertesystemen, gesellschaftlichen Umstürzen und Auseinandersetzung mit der eigenen schwerbelasteten Vergangenheit bis hin zu kleinen, aber feinen Details, die Geschichte erst lebendig werden lassen. Wenn es zum Beispiel Kurts Vater Johann (Jörg Schüttauf) so sehr widerstrebt, beim Amt den obligatorischen Hitler-Gruß zu intonieren, nimmt er dankend den Geheimtipp an, stattdessen „Drei Liter“ zu brummeln. Das klingt schnell gesprochen ähnlich genug und er muss seine Ideale nicht verraten. Zudem schmuggelt sich so an einigen Stellen feiner Humor in den Film.
„Werk ohne Autor“ – der Titel wird spät im Film bei einer Ausstellung von Kurt Barnert erklärt – beinhaltet neben markig-pointierten Dialogen und einem (wieder mal) hynotischen Score von Max Richter („Waltz With Bashir“) auch jede Menge Pathos - und das nicht zu knapp. Manchmal walzt von Donnersmarck mit vollem Elan über die leisen Zwischentöne hinweg und lässt die eine oder andere interessante Kleinigkeit am Wegesrand liegen. So dringen etwa in dem Teil, in dem Barnert und Seeband für eine Zeit in der DDR unter einem Dach wohnen, sich in der altehrwürdigen Villa gegenseitig ständig belauernd, immer wieder Elemente eines Noir-Thrillers in der Tradition von Alfred Hitchcock und Brian de Palma in den Film hinein. Aber von Donnersmarck ist zu sehr an der Größe und Bedeutung von „Werk ohne Autor“ gelegen, um diese spannenden Genre-Einsprengsel angemessen und genüsslich auszukosten.
Die Schauspieler passen sich in diesen gigantischen Erzählrahmen harmonisch ein. Es ist nicht so, dass Tom Schilling (famos in „Oh, Boy!“) mit seiner zentralen Rolle des nach künstlerischer Wahrheit suchenden Kurt Barnert fremdelt oder gar enttäuscht. Aber dennoch hat man immer das Gefühl, dass Schillings enormes Talent nur etwas gedämpft zum Tragen kommt und die unglaubliche Tragik seiner Figur nur unter der Oberfläche schwelt. Kurt ist ein Beobachter und somit oft passiv. Sein Zusammenspiel mit Shootingstar Paula Beer („Bad Banks“, „Frantz“) funktioniert – wobei sie in ihrer Liebesgeschichte als Kurts emanzipierte und gleichwertige Lebenspartnerin und spätere Frau mehr emotionale Höhen und Tiefen ausspielt. Von Donnersmarck und sein Kameramann Caleb Deschanel („Die Passion Christi“) zelebrieren die intellektuelle und physische Nähe des Paares, was auch in zahlreichen schwelgerischen Nacktszenen zum Ausdruck kommt.
Von-Donnersmarck-Spezi Sebastian Koch („Bridge Of Spies“) spielt seinen Nazi-Verbrecher Seeband als aalglatten, intelligent-listigen Kriegsgewinnler, der immer wieder auf die Füße fällt und doch versuchen muss, die tiefe Schuld, die er in sich trägt, zu unterdrücken. Besonders interessant wird es, wenn Koch die kleinen Brüche in der so felsenfesten Persönlichkeit seiner Figur aufblitzen lässt. Bei drei Stunden Spielzeit sind es aber auch die Nebendarsteller, die den Film beleben. Der bereits angesprochene Oliver Masucci ist als Quasi-Beuys mit seinem charismatischen Auftreten eine Wucht, während Hanno Koffler („Freier Fall“) als „Chef-Student“ und Organisator Günther Preusser eine Menge unterschwellige Warmherzigkeit beisteuert.
Fazit: Florian Henckel von Donnersmarck ist zurück - und das mit einem krachenden Tusch! Sein Künstler-Drama „Werk ohne Autor“ vertritt Deutschland im Wettbewerb von Venedig und als deutscher Oscarbeitrag – und das absolut würdig, mit einem nicht perfekten, aber mitreißenden Film, der so wunderbar und hemmungslos großgedacht ist, wie man es im deutschen Kino nur ganz, ganz selten erlebt.