Eine verbotene oder zumindest ungewollte Liebe. Eine die Polizei auf den Plan rufende Dummheit. Ein junges Pärchen auf der Flucht. Das Szenario von Nathan Morlandos Thriller „Mean Dreams“ hat auch ohne die bleihaltigen Verwicklungen und mythologischen Überhöhungen von Gangster-Geschichten wie „Bonnie und Clyde“ oder „Natural Born Killers“ etwas zutiefst Romantisches und ist den berühmten Vorbildern in dem Wir-allein-gegen-den-Rest-der-Welt-Gefühl, das die beiden vergleichsweise „normalen“ (und zu 100 Prozent erfundenen) Teenager im Zentrum antreibt, sogar ziemlich ähnlich. Und durch genau dieses verschworene und verträumte Einverständnis zwischen den jungen Liebenden bekommt der vor allem gegen Ende etwas einfallslos erzählte Film seinen Reiz, denn die Gefühlswelt der Protagonisten scheint auf die Umgebung abzufärben.
Der 15-jährige Jonas Ford (Josh Wiggins) lebt mit seinen Eltern auf einer Farm im Norden der USA. Tagsüber hilft er seinem gleichgültigen Vater bei der Viehzucht, die Mutter ist alkoholabhängig. Als eines Tages der Polizist Wayne Caraway (Bill Paxton) mit seiner Tochter Casey (Sophie Nélisse) neu in die Gegend zieht, freunden sich die Jugendlichen schnell miteinander an und halten über Funkgeräte auch nach Sonnenuntergang Kontakt. Dem besitzergreifenden Wayne, der seine Tochter regelmäßig misshandelt, ist das zarte Anbandeln zwischen Casey und dem Einheimischen ein Dorn im Auge, was er Jonas gewaltsam wissen lässt. Als dieser durch Zufall von der Verwicklung des Gesetzeshüters in krumme (Drogen-)Geschäfte Wind bekommt, stiehlt er ihm einen Batzen Geld – und nimmt kurzerhand mit Casey Reißaus. Ab jetzt ist den Heranwachsenden neben Wayne auch noch der örtliche Sheriff (Colm Feore) dicht auf den Fersen…
In „Mean Dreams“ gibt es einen wichtigen Akteur, der weder im Vor- noch im Abspann aufgelistet wird: die Natur. Als Jonas und Casey Reißaus nehmen, ist die Landschaft in ein herbstliches Meer aus Rot, Gelb und letzten Grünschimmern getaucht. Die bewusstlosen Wonnen des Sommers wirken gleichsam noch nach, zugleich liegt die abweisende Kälte des Winters bereits lockend in der Luft: Der idyllisch-prachtvolle Anblick ist mit Vorsicht zu genießen – er lädt zum Verweilen ein, doch die Flüchtigen können sich keine Sekunde des Stillstands oder näheren Hinsehens erlauben. Mehr als einmal fühlt man sich hier an den Kinopoeten Terrence Malick („The Tree Of Life“) erinnert, der einst in seinem Meilenstein „Badlands“ ebenfalls zwei junge Leute auf der Flucht begleitete und dabei in betörenden Bildern die schmerzliche Vergänglichkeit des (manchmal unbeachtet schönen) Moments einfing.
Besonders im Hollywoodkino werden gerne die Mächte des Schicksals bemüht, um von der Liebe zu erzählen. Da gibt es dann eine unwiderstehliche körperliche Anziehungskraft oder noch öfter eine Seelenverwandtschaft, die ein Paar zusammenschweißt. Bei Nathan Morlando („Gangsters“) und seinen Drehbuchautoren führt dagegen auf fast schon lapidare Weise der Zufall Regie: Gelegenheit macht Liebe (und Diebe). Während in Jonas der Wunsch, aus seinem Umfeld auszubrechen, bereits seit Längerem herangereift ist, hat Casey die häuslichen Qualen bis zu ihrer Begegnung still erduldet. Die Zärtlichkeit zwischen den beiden ist schließlich eine unschuldige und fast schon beiläufige: Als sie hintereinander durch ein Kornfeld laufen, fallen die Worte „Ich liebe dich“ ganz unvermittelt – so als wäre das keine große Sache. Und das wiederum hinterlässt dann doch umso nachhaltigeren Eindruck. Diese Mischung aus bemühter Nüchternheit und unterdrückten Gefühlswallungen bringen die beiden Darsteller Sophie Nélisse („Die Bücherdiebin“) und Josh Wiggins („Hellion“) auf überaus natürlich wirkendende Weise zum Ausdruck. Wenn Jonas und Casey in hitzigen Situationen nicht gerade souverän reagieren, dann ist das für Teenager in einer dramatischen Lage wie der ihren, schließlich das Normalste von der Welt.
Die Newcomer in den Hauptrollen werden vom Rest der Besetzung überzeugend unterstützt, auch wenn die Nebenfiguren meist etwas zu sehr auf ihre dramaturgische Funktion reduziert werden. Das gilt insbesondere für Caseys Vater Wayne, der zuweilen fast schon wie der Bösewicht aus einem Märchen wirkt. Immerhin gelingt es dem Ende Februar 2017 verstorbenen Bill Paxton („Apollo 13“, „Aliens“) zuweilen doch einen Funken Menschlichkeit aufglimmen zu lassen, mit seinen ausdrucksstarken Augen straft er die grobschlächtigen Dialoge Lügen, aber letztlich kann er genau wie seine Mitstreiter wenig gegen die gegen Ende immer formelhafteren Drehbuchvorgaben ausrichten. Regisseur Nathan Morlando hätte sich durchaus mehr auf seine stimmungsvolle Inszenierung verlassen können, das Verlangen alles aussprechen zu lassen und zu erklären, mindert den Zauber dieses hübschen Films spürbar.
Fazit: Nathan Morlando gelingt mit „Mean Dreams“ eine reizvolle Mischung aus Rohheit und Poesie, die an Genre-Konventionen orientierte Handlung hingegen kommt äußerst überraschungsarm daher.