Bei nicht wenigen Blockbustern lautet die Devise „Augen auf, Hirn aus und zwei Stunden lockere, sinnbefreite Krachbumm-Unterhaltung genießen!“ Das kann Spaß machen, keine Frage. Beim besten Action-Blockbuster der Sommer-Saison 2018 wird man mit dieser Herangehensweise allerdings gnadenlos scheitern. Denn „Mission: Impossible – Fallout“ bietet nicht nur spektakulär-aggressive, adrenalingetränkte Dauerfeuer-Action, sondern auch eine doppelbödig-verzwickte Spionage-Geschichte, die gefühlt alle fünf Minuten auf den Kopf gestellt und ordentlich durchgeschüttelt wird. Da kommt man sich als Zuschauer fast schon wie eine Katze vor, die ihren eigenen Schwanz jagt – kein Wunder, denn wie auch den Vorgänger inszeniert hier der smarte „Die üblichen Verdächtigen“-Autor und Rätselspezi Christopher McQuarrie („Jack Reacher“).
Mitdenken ist bei „Mission: Impossible – Fallout“ also ein Muss! Dass die Agenten-Action-Reihe nach 22 Jahren noch keinerlei Rost angesetzt hat, liegt aber auch an dem faszinierenden Figurenarsenal, das im inzwischen sechsten Teil zuallererst Henry Cavill als zwielichtiger CIA-Agent zusätzlich bereichert. Der „Man Of Steel“-Star entwickelt mit dem nimmermüden Platzhirsch Tom Cruise eine brillante Chemie - und so entpuppt sich „Fallout“ als ein furios-brachiales Action-Starkstrom-Inferno, das einen einfach mitreißt und mit einem absolut irren, auf die Spitze getriebenen Berserker-Finale entlässt. Das Franchise war seit Brian De Palmas erstem Teil „Mission: Impossible“ nicht mehr so gut.
In Belfast nimmt Agent Ethan Hunt (Tom Cruise) nach der Wiederbelebung der geheimen Impossible Mission Force (IMF) einen neuen Auftrag von IMF-Chef Alan Hunley (Alec Baldwin) an. Die Weltuntergangsterroristen der „Apostel“ wollen drei Plutonium-Kapseln, die auf dem Schwarzmarkt kursieren, in ihren Besitz bringen, um die Welt mit nuklearen Explosionen in den Abgrund zu stürzen. Ihr Motto: Kein Frieden ohne Opfer! Anführer der Apostel soll ein gewisser John Lark sein. Doch zunächst geraten Hunt und seine Partner Benji (Simon Pegg) und Luther (Ving Rhames) in Berlin in eine Falle. Beim Versuch, das Plutonium zu kaufen, geht alles schief und das IMF-Team steht am Ende mit leeren Händen da, weshalb die CIA-Chefin Erica Sloane (Angela Bassett) ihren besten Kettenhund, den Attentäter August Walker (Henry Cavill), als Aufpasser schickt…
Neue, nie dagewesene akrobatische Stunts, fantastische Sets: Wenn eine Filmreihe über eine derart lange Zeit läuft, ist es für die Macher wichtig, sich immer wieder selbst zu hinterfragen, um nicht nur einen müden Abklatsch der Vorgänger zu fabrizieren. Aber von solcher bequemen Routine ist „Mission: Impossible – Fallout“ wie gesagt weit, weit entfernt. Action- und Allround-Superstar Tom Cruise („Barry Seal“) ist mit seinen 55 Jahren immer noch topfit und erledigt selbst die gefährlichsten Stunts wie eh und je persönlich, damit sie so authentisch wie irgendwie möglich wirken – bei einem Sprung auf einen Dachvorsprung brach er sich so im August 2017 den Knöchel (die Szene ist auch kurz im Film zu erahnen) und die Dreharbeiten mussten für sieben Wochen unterbrochen werden.
Wegen dieser Verzögerung wurde der Schnitt des Films auch erst drei Wochen vor Kinostart fertiggestellt – eine extrem knappe Punktlandung. Aber diese Widrigkeiten haben sich keineswegs negativ auf „Mission: Impossible – Fallout“ ausgewirkt, sondern sind vielmehr Ausdruck der Leidenschaft, die hinter diesem Projekt steckt. Aber wo kommen die neuen Impulse eigentlich her? Hier gilt ganz eindeutig und unbescheiden das - ansonsten nicht sonderlich originelle - Höher-Schneller-Weiter-Prinzip, das Christopher McQuarrie mit absoluter Konsequenz bis zum Exzess treibt: Bei dieser Hatz rund um den Globus (Belfast, Berlin, Paris, London, Ramstein, Kaschmir) legt der Regisseur und Autor ein Höllentempo vor, das er nur ganz selten für ein paar Verschnaufpausen zurücknimmt.
Grandiose Verfolgungsjagden per Auto und Motorrad sind nichts Neues, aber die Rasanz, mit der die Beteiligten hier durch Paris knallen, ist dennoch erstaunlich. Innovativer ist jedoch der Einführungskampf von CIA-Agent Walker, der sich an Ethan Hunts Seite einen unfassbar intensiven Badezimmer-Fight mit einem zähen und überraschend schlagkräftigen Gegner liefert - was ganz nebenbei die Beziehung der beiden sich beschnuppernden Figuren zueinander definiert. Denn das ist das große Plus von „Mission: Impossible – Fallout“: Es wird nicht nur wie wahnsinnig gekloppt, bis die Knochen bersten, sondern auch gut erzählt.
Die Handlung hat so viele Wendungen, dass man mit dem Zählen kaum noch hinterherkommt, auch weil ein ganzer Haufen von Parteien am Werk ist, von denen keine ihre wahren Intentionen leicht preisgibt. So werden die Karten wiederholt neu gemischt. Keiner traut keinem! Als Zuschauer kann man da bei aller Freude über die Twists vorübergehend auch schon mal kurz den Überblick verlieren – bis McQuarrie zu einem klugen Zug ansetzt: Irgendwann sind doch mal alle Knoten entwirrt und alle Fronten geklärt – und dann lenkt der Filmemacher die ganze Energie und Konzentration auf ein wahnwitziges Finale, das in Sachen atemberaubende Schauwerte ganz neue Maßstäbe setzt. In den zerklüfteten Himalaya-Bergregionen Kaschmirs kommt es vor malerischer Kulisse zu einem atmosphärischen Showdown, in dem sich die erbitterten Konkurrenten wie Berserker duellieren und einfach nicht aufgeben – wie die Duracell-Häschen machen sie immer weiter und weiter. Das passt zur aggressiven Grundstimmung, keiner will vom Gas gehen.
Das Konzept eines von Tom Cruise angeführten Ensembles funktioniert auch bei „Mission: Impossible – Fallout“ wieder bestens: Neben den etablierten Helden setzen die Neuzugänge spannende Reizpunkte. Angela Bassett („Contact“) mag als skeptische CIA-Obere („The IMF is Halloween“) vielleicht nur das I-Tüpfelchen sein, aber Henry „Superman“ Cavill ist als undurchsichtiger CIA-Mann einfach eine Wucht – und als solche dem ewig frischen Cruise tatsächlich gewachsen! Werden die beiden zu Freunden oder zu Gegnern? Spioniert der eine den anderen aus? Es ist hochspannend, diesen Fragen zu folgen, weil Cruise und Cavill als „Skalpell und Hammer“ perfekt miteinander harmonieren.
Apropos undurchsichtig: Die britische Theaterschauspielerin Vanessa Kirby („The Crown“) bringt als zwielichtige Waffenhändlerin Die weiße Witwe eine Menge Femme-Fatale-Charme an den Start. Davon hätten wir sogar gern noch mehr gesehen. In „Mission: Impossible – Rogue Nation“ legte Rebecca Ferguson („Schneemann“) als MI6-Doppelagentin einen furiosen Einstand hin, hier darf sie allerdings erst in der zweiten Hälfte voll mitmischen, taucht vorher eher als Phantom auf. Aber ebenso wie der reaktivierte Superbösewicht Salomon Lane, erneut charismatisch abgründig verkörpert von Sean Harris („Harry Brown“), ist auch Fergusons Ilsa Faust enorm wichtig für das komplexe Story-Konstrukt.
„Mission: Impossible – Fallout“ besteht aber nicht nur aus den großen Säulen Action, Twists und tolle Figuren. Nach wie vor wird auch auf die Wurzeln des Franchises, nämlich die kultige TV-Agenten-Serie „Kobra, übernehmen Sie“ (1966 - 1973) von Bruce Geller, mit den gewohnten Maskerade-Gimmicks verwiesen. Zwei der neuen Verkleidungsverladen machen dabei ganz besonders viel Spaß, weil man sie schlicht nicht kommen sieht und sich genauso reingelegt fühlt wie die Charaktere, die es betrifft. Auf dieser Schiene läuft auch der trockene Humor, für den „Mission: Impossible – Fallout“ immer mal wieder für kurze, knackige Momente innehält. Zum Beispiel gelingt es dem IMF-Team und Walker in Paris unter größten Mühen, nach einer Verfolgungsjagd haarscharf zu entkommen, aber gerade als sie mit ihrem Fluchtfahrzeug aus der Garage rollen wollen, steht durch Zufall eine einzelne, versprengte Polizistin vor der Tür … und ihnen im Weg. Ein herrlich absurder Moment, der aber zugleich auch ein moralisches Dilemma heraufbeschwört. „Mission: Impossible – Fallout“ ist eben nie eindimensional.
Fazit: Gurte anlegen, Hirn einschalten und sich in die Sitze drücken lassen – ein grandioseres Spektakel als in Christopher McQuarries furios-hochtourigem Action-Thriller „Mission: Impossible – Fallout“ wird es diesen Sommer auf der großen Leinwand nicht zu sehen geben.