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    Im hohen Gras
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Im hohen Gras

    Gruseliges Gras von Netflix & Stephen King

    Von Oliver Kube

    Spätestens seit dem kolossalen Erfolg von „ES“ grassiert einmal mehr das Stephen-King-Fieber. Ob im TV oder auf der Kinoleinwand: Eine Adaption des zu den populärsten Autoren der Gegenwart zählenden Horror-Genies jagt die nächste und es werden noch einige folgen. Das „Shining“-Sequel „Doctor Sleep“, die Miniserie „The Stand“ oder ein „Tommyknockers“-Remake sind in unterschiedlichen Produktionsstufen und das ist nur ein kleiner Auszug. Auch Netflix mischt schon lange bei den King-Verfilmungen mit. Nach „Das Spiel“ und „1922“ folgt nun der dritte Streich des Streaming-Riesen. Für „Im hohen Gras“ wurde Regisseur und Drehbuchautor Vincenzo Natali („Cube“) engagiert. Der setzt die gleichnamige Novelle (länger als eine Kurzgeschichte, kürzer als ein Roman), die Stephen King 2012 gemeinsam mit seinem Sohn Joe Hill verfasste, optisch überzeugend um, hat aber so seine Probleme, den Stoff auf Spielfilmlänge zu strecken.

    Cal DuMeth (Avery Whitted) und seine hochschwangere Schwester Becky (Laysla De Oliveira) befinden sich auf einer Autofahrt quer durch die USA. Bei einem Zwischenstopp im ländlichen Kansas hört das Duo die Hilferufe eines Jungen aus einem Feld am Straßenrand. Der kleine Tobin (Will Buie Jr.) hat sich offenbar im hohen Gras verlaufen. Ohne nachzudenken, begeben sich die Geschwister selbst ins Dickicht. Doch schnell verirren auch sie sich. Egal, in welche Richtung die bald voneinander Getrennten laufen, sie verrennen sich nur immer tiefer im weit über ihre Köpfe ragenden Gestrüpp und verlieren komplett die Orientierung. Da steht plötzlich Ross Humboldt (Patrick Wilson), Tobins Dad, vor Becky und behauptet, einen Ausweg zu kennen. Zumindest bringt er die verängstigte Frau wieder mit ihrem Bruder und erstmals auch mit seinem verwahrlost aussehenden Sohn zusammen. Doch Ross führt sie anschließend nicht zurück zu ihrem Auto, sondern zu einem mitten im Feld aus dem Boden ragenden, schwarzen Felsen. Diesen sollen Cal und Becky berühren. Dann werde ihnen alles klar werden…

    Was will Ross?

    Dass Vincenzo Natali weiß, wie man Horror inszeniert, machen schon die ersten Minuten klar. Noch bevor wir die Protagonisten kennenlernen, zeigt er uns aus der Vogelperspektive die gigantische Wiese. Der komplette Bildschirm ist grün. Obwohl kein Halm sich bewegt, ist ein Rauschen zu hören. Der Wind geht in den Ambient-Score des für seine atmosphärischen Grusel-Kompositionen bekannten Mark Korven („The Witch“, „Der Leuchtturm“) über. Erst als die Kamera heranzoomt, fängt sich das Gras plötzlich zu bewegen an und die Musik wird intensiver und düsterer – und plötzlich kommt der Schnitt: herrlicher, blauer Himmel, die beschwingte 60er-Soul-Nummer „It’s All Right“ von Sam Cooke auf der Tonspur und die sich liebevollen zankenden Protagonisten. Als diese dann ihre fatalen Schritte in Richtung des Feldes machen, ist uns längst bewusst, dass hier eine unheimliche Gefahr droht.

    King-Kenner wissen das natürlich ohnehin. Erinnerungen an das Maisfeld in „Kinder des Zorns“ oder das unvergessliche Heckenlabyrinth in „Shining“ werden sofort wach. Doch Natali setzt die mysteriöse Bedrohung auch unabhängig davon bestens in Szene. Mithilfe der grandiosen Bilder des bisher fast ausschließlich durch Serien wie „Fargo“ oder „The Umbrella Academy“ profilierten Kameramanns Craig Wrobleski schafft er es nämlich tatsächlich, einen Haufen langer Graspflanzen verdammt gruselig wirken zu lassen. Geschickt werden Zeitraffer und -lupen sowie extreme Nahaufnahmen und weitere Vogelperspektiven eingesetzt, um die seltsamen, bald schon blutig werdenden Vorgänge in dem satt-grünen Ambiente zu verdichten. Der dringende Wunsch, herauszufinden, was hier los ist, wird so gekonnt geweckt. Und auch wer die wahrlich grauenerregende, stellenweise ultrabrutale Vorlage und damit den Ausgang kennt, wird nun erst recht gespannt die visuelle Umsetzung erwarten.

    Die Vorlage reicht nur für 40 Minuten

    Der Vergleich zur Novelle zeigt aber das größte Problem von „Im hohen Gras“. Natali hält sich lange Zeit recht streng an Kings und Hills Text, doch eine wortgetreue Adaption wäre nach maximal 40 Minuten Laufzeit vorbei. So baut der Filmemacher im Mittelteil eigene Ideen und Motive ein – und das funktioniert nur teilweise. Als kluger Schachzug erweist sich zum Beispiel der Ausbau der Rolle des in der Vorlage nur kurz in den Gedanken der Geschwister vorkommenden Travis (Harrison Gilbertson aus „Upgrade“). Der Vater von Beckys ungeborenem Kind ist hier für eine Weile sogar treibende Kraft und hilft dem Zuschauer, zu verstehen, dass in dieser grünen Hölle viel mehr als der Raum den eigenen Gesetzen folgt. Auch Natalis abweichendes und befriedigendes Finale ist ein echter Pluspunkt und „Aquaman“-Bösewicht Patrick Wilson verleiht seiner Figur mit aggressivem Körpereinsatz und Mienenspiel deutlich mehr Tiefe als sie bei King und Hill hat.

    Zu oft dienen die Änderungen und Ergänzungen aber ersichtlich nur dazu, die Geschichte zu strecken. So dreht sich die Story immer wieder im Kreis, wenn sich Szenarien wiederholen. 20 Minuten lang gibt es zwar ein paar Jump-Scares und kurze Gore-Effekte, aber eine Entwicklung oder Steigerung der Dramatik findet nicht statt. Seltsames, gruseliges Gras bewegt sich, Menschen irren verzweifelt darin umher. Auch die zwar ansprechend bebilderten Visionen und psychedelisch-apokalyptischen Albträume der bald zwischen Ohnmacht und Wahn oszillierenden Becky werden zu sehr ausgewalzt, ohne echte Konsequenzen für die Handlung zu haben. Gerade der zweite Akt hängt deswegen so stark durch, dass er dem sonst sehr ansprechenden Thriller viel an erzählerischer Kraft und Dynamik raubt.

    Fazit: „Im hohen Gras“ sieht stark aus, ist zu Beginn spannend und hat auch ein stimmiges Finale. Doch im Mittelteil verliert die für Netflix produzierte Stephen-King-Adaption deutlich an Klasse.

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