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    Son Of Saul
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Son Of Saul
    Von Michael Meyns

    Seit Jahrzehnten kämpfen Filmemacher mit der Frage, wie sich die Schrecken des Holocaust in filmischer Form gebührend darstellen lassen. Aber während in den meisten Mainstreamfilmen zu dem Thema bis heute darauf verzichtet wird, die Grauen der Gaskammern allzu explizit zu zeigen, hat der ungarische Regisseur László Nemes in seinem Drama „Son of Saul“ nun einen verblüffenden Kniff gefunden, um zu zeigen, was eigentlich gar nicht angemessen zu zeigen ist. So erzählt er in seinem Debütfilm meisterhaft vom Bemühen eines Mannes, in einer unmenschlichen Umgebung etwas Menschliches zu tun.

    Als Mitglied eines Sonderkommandos geht der ungarische Häftling Saul Ausländer (Geza Röhrig) in einem deutschen Vernichtungslager den Nazis bei der Drecksarbeit in den Gaskammern zur Hand und lebt zur „Belohnung“ ein etwas besseres Leben (wobei die meisten trotzdem nach ein paar Monaten einfach umgebracht werden). Als ein Junge die Gaskammer schwer verletzt überlebt und erst anschließend von einem deutschen Arzt getötet wird, setzt Saul alles daran, dem jüdischen Jungen ein richtiges Begräbnis zu ermöglichen: Er sucht unter Insassen und Neuankömmlingen nach einem Rabbi und setzt für die scheinbar sinnlose Geste sogar sein Leben aufs Spiel – immerhin weiß er ja sehr genau, dass er selbst eigentlich auch schon so gut wie tot ist…

    Über weite Strecken von „Son of Saul“ sieht man im nahezu quadratischen Bildausschnitt kaum mehr als das Gesicht von Saul Ausländer. Oft folgt die Kamera minutenlang diesem Mann, der wie eine Maschine arbeitet – dabei ist wegen des begrenzten Ausschnitts nur zu erahnen, welche Aufgaben er da gerade scheinbar emotionslos erledigt. Das Chaos eines einrollenden Zuges voller verwirrter, dem Tode geweihter Deportierter, das Säubern der Gaskammern nach der Vernichtung, die Erschießung von Häftlingen – zum Glück sind die Grauen der Vernichtungslager so zwar kaum direkt zu sehen, aber vor allem auf der Tonspur doch omnipräsent: Man hört die Schreie der Opfer, das verzweifelte Trommeln an die Türen der Gaskammer, aber zu sehen ist nur das äußerlich regungslose Gesicht von Saul.

    Es ist ein gewagter Kunstgriff, den László Nemes hier anwendet - nicht immer völlig konsequent, aber mit erstaunlichem Effekt. Selten wurde das unendlich perfide - gerade weil so perfekt durchorganisierte - System der Vernichtungslager dermaßen eindringlich vorgeführt. Ganz im Kontrast dazu steht der Plot des Films – schon ein wenig biblisch angehaucht, aber vor allem inspiriert von „Don Quijote“, denn auch hier geht es ja um eine vermeintlich absurde Tat, die dem menschenvernichtenden System geradezu trotzig eine scheinbar sinnlose Geste der Menschlichkeit entgegenstellt.

    All das erzählt der Regisseur mit einer zum Teil nur schwer auszuhaltenden Radikalität, die nur vor den Türen der Gaskammern halt macht. Dabei verknüpft er auf gewagte, aber nichtsdestotrotz gelungene Weise eine fiktive Hauptfigur mit tatsächlich verbürgten Vorkommnissen: Den am Ende des Films gezeigten Aufstand eines Sonderkommandos hat es in Auschwitz zum Beispiel wirklich gegeben. Besonders interessant ist zudem die Nachstellung eines der ganz wenigen damaligen Fotos, die die Gaskammern zeigen: Die von Gefangenen getätigte, unter Lebensgefahr aus dem Lager geschmuggelte und vom französischen Kunsthistoriker Georges Didi-Hubermans in seiner Studie „Bilder trotz allem“ eindrucksvoll beschriebene Aufnahme wird von Nemes minutiös rekonstruiert. Während etwa der „Shoah“-Regisseur Claude Lanzmann solche (Nach-)Inszenierungen von Auschwitz als banalisierend ablehnt, besteht Didi-Hubermans auf der Notwendigkeit solcher auch fiktiven Bilder. Und nach László Nemes‘ erstaunlichem Regiedebüt sind wir geneigt, auch eher Didi-Huberman zuzustimmen – denn so wie die Grauen der Lager in „Son of Saul“ auf brillante filmische Weise gezeigt werden, besteht unserer Ansicht nach niemals die Gefahr ihrer Verharmlosung.

    Fazit: Mit einer radikalen Form, erstaunlichem Stilwillen und bemerkenswerter Konsequenz schildert Lászlo Nemes in seinem Regiedebüt „Son of Saul“, wie ein Mann den Schrecken der Vernichtungslager eine menschliche Geste entgegenzusetzen versucht. Ein wahrlich ergreifender Film.

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