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    MaXXXine
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    MaXXXine

    Die grausamen Seiten von Hollywood

    Von Janick Nolting

    Teil 3 bestätigt den Eindruck: Ti West hat mit seiner „X“-Trilogie Großes geschaffen. „X“ und „Pearl“ haben bereits die Wandlungsfähigkeit des Regisseurs im Umgang mit verschiedenen Genres vorgeführt. Und der dritte Eintrag seiner Reihe über das blutige Streben nach Ruhm mischt die Karten erneut, um die Motive der Vorgänger noch einmal mit anderen ästhetischen Mitteln durchzuspielen. Das Experiment ist geglückt! Nach einem 70er-Jahre-Slasher und Musical-Melodram taucht „MaXXXine“ nun in die Filmwelt der 80er-Jahre ein und landet einen fulminanten vorläufigen Schlusspunkt für die Horror-Saga.

    Die Eingangspforte hat sich nunmehr verändert. Wo „X“ und „Pearl“ noch den Blick durch ein altes Scheunentor auf eine Farm freigaben, öffnet sich am Beginn von „MaXXXine“ das schwere Metalltor eines Filmstudios. Maxine Minx (Mia Goth) scheint ihrem Ziel zum Greifen nah zu sein. In Hollywood plant der Porno-Star eine große Karriere als Scream Queen, doch die Vergangenheit, das Massaker, das sie einst in Texas überlebte, lastet wie ein Fluch auf ihr. Und dann ist da noch der ominöse „Night Stalker“, der 1985 in der Stadt der Engel sein Unwesen treibt und grausame Ritualmorde verübt…

    Universal Pictures
    Maxine Minx will Hollywood erobern...

    Spielten die beiden Vorgänger noch an wenigen begrenzten Schauplätzen, durchstreift dieses Werk eine ganze Stadt, ihre Grenzgebiete, Wohn- und Arbeitsräume und die obskuren Zonen dazwischen. „MaXXXine“ ist ein überbordendes, detailverliebtes Sittengemälde, in dem das Los Angeles der 80er-Jahre mit geschultem Auge für die Ambivalenzen und Abgründe der Stadt zum Leben erweckt wird.

    Wests L.A. ist dabei dezidiert durch künstlerische Augen beobachtet. Es setzt sich weniger aus real erscheinenden Orten denn aus Abziehbildern, Verzerrungen und Erinnerungen an Filme zusammen, die seit jeher auf dieses Herzstück der westlichen Filmindustrie geschaut haben. Künstliches Set und belebter Alltagsraum sind dadurch kaum zu trennen. Wahrscheinlich kann man diese Stadt gar nicht anders inszenieren, als sie selbst als surreales Produkt der Kunst zu begreifen, die sie hervorbringt.

    Sex und Gewalt in der (Alb)Traumfabrik

    „MaXXXine“ zieht das Publikum in einen regelrechten Moloch aus unwirklichen Studio-Kulissen, rot leuchtenden Peepshow-Kammern, schummrigen Seitengassen und grell blinkenden Reklame-Höllen. Sex, Drogen und Gewalt durchdringen diese Scheinwelt, die Ti West in ihrer ganzen anrüchigen, faszinierenden Schmierigkeit auf die Leinwand bringt. „MaXXXine“ lässt in seinen krisseligen Bildern von der ach so makellosen Attraktivität des Showbiz wenig übrig. Die Gewaltszenen sind dabei spärlich dosiert, aber, wie man es von Ti West kennt, mit großer Drastik und praktischen Effekten in Szene gesetzt. „MaXXXine“ ist zwar nicht das exzessive Splatter-Spektakel, das sich einige vielleicht erhofft haben, aber dennoch ein hartes Stück Retro-Horror voller interessanter Denkanstöße.

    Die „X“-Trilogie ist am Ende beides: eine Abrechnung mit der Verlogenheit und Vulgarität des gescheiterten Amerikanischen Traums und die Chronik eines zerrissenen Landes. Der Clou der ersten beiden Teile bestand schließlich darin, mit Maxine und Pearl eine Spiegelfigur zu schaffen, an der sich wiederkehrende Konflikte ablesen lassen. West zeichnet die USA als Nation, in der Versuche der Liberalisierung mit wahnhafter Prüderie, Doppelmoral und religiösem Fundamentalismus kollidieren. Generationen gehen im Kampf um Begehren und Anerkennung eifersüchtig aufeinander los, um einen höheren Platz in der Hierarchie zu ergattern. Und mittendrin: die Scheinheiligkeit des Showgeschäfts, das zwischen Porno-Untergrund, Avantgarde und spießigen Entertainment-Produktionen eine vergiftete Freiheit verspricht. Vom Jahr 1918 bis 1985 zeigt die Trilogie, wie diese Konfliktherde nichts an Zündstoff verloren haben. Und natürlich taugt ihr retrospektiver Blick ebenso dazu, die Gegenwart besser zu verstehen.

    Universal Pictures
    Doch in der Traumfabrik geht es ganz schön blutig zu...

    Ti Wests Genre-Hommage gerät auch in „MaXXXine“ keineswegs so nostalgisch verehrend oder museal, wie man vielleicht auf den ersten Blick meinen könnte. Ihr gelingt vielmehr die konsequente Fortschreibung einer kulturellen Entlarvung. Der Hauptfigur verhilft sie zu fragwürdigen Höhen, aber das Publikum kann umso grübelnder, verunsicherter zurückbleiben. Der immerwährende Konkurrenzkampf ist nun in einer verwalteten Industrie und Maschinerie angekommen, in der der Einzelne verinnerlicht hat, die Ellenbogen auszufahren. Die Mantras der religiösen Fanatiker verschmelzen mit jenen der Selfmade-Karrieristen und Studiobosse.

    Wer dient also jetzt als Feindbild? Vor den Toren der Filmstudios brüllen Demonstranten, die in Hollywood den „Spielplatz des Satans“ sehen wollen. In der Popkultur wähnt man die Wurzeln des Bösen und Okkulten, das mordend die Straßen heimsucht. „MaXXXine“ greift damit die Satanic Panic in den USA auf. Ti West hat für all die Sittenwächter, welche die Kunst für gesellschaftliches Übel verantwortlich machen wollen, weil sie ihr eigenes Spiegelbild nicht ertragen können, jedenfalls nur einen dicken, blutigen Mittelfinger übrig. Und doch packt er sein Gewerbe und dessen Industrie nicht mit Samthandschuhen an.

    Der Wahnsinn und das Unbehagen sind ganz nah

    „MaXXXine“ beendet die Trilogie auf passend irritierenden Tönen, die das Schillernde und Glamouröse nicht ohne Wahnsinn und Unbehagen denken können. Über drei Teile zeigt Ti West das Schaffen einer Kunstfigur und Legende, die gänzlich mit ihrer ideologischen Traumblase und Aufmerksamkeitsökonomie als Ware verschmilzt. Von der Skrupellosigkeit der Unterwelt Hollywoods, den Machtkämpfen und Verwertungslogiken hinter den Kulissen einmal abgesehen. Beziehungen, trainierter Habitus und das richtige Maß an Gewaltbereitschaft sind hier die Mittel zum Erfolg.

    „MaXXXine“ fehlt ein wenig der Überraschungseffekt der ersten beiden Teile. Inzwischen hat man eine Ahnung von der Konstruktion der Reihe. Ihre Themen und Ideen sind transparent und ausformuliert. Und vielleicht strauchelt der Film manchmal etwas unentschlossen zwischen psychologischem Thrill und eher distanzierten Meta-Betrachtungen. Aber das ist Kritik auf hohem Niveau!

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    Aber Maxine weiß sich zu wehren...

    Wests Trilogie bietet immer noch genügend Reize, offene Fragen und Möglichkeiten, bei wiederholtem Sehen weiter zu wachsen. Und wer weiß, was die Zukunft bringt? Dass die Reihe nach dieser Trilogie endet, erscheint fraglich. Zumal ihr 80er-Jahre-Hollywood gerade erst beginnt, entfernt an die realitätsverlorene, skurrile Albtraumwelt zu erinnern, die man etwa aus David Lynchs „Mulholland Drive“ und „Inland Empire“ aus den frühen 2000ern kennt.

    Sollte Mia Goth je in ihrer Rolle zurückkehren, wäre das sowieso ein Grund zur Freude: Auch in „MaXXXine“ ist sie einfach nur großartig. Zwar vermisst man die exzentrisch irren Seiten von „Pearl“, doch ihr Schauspiel birgt wieder so viele Facetten, dass es ein Genuss ist, ihrem Horror-Trip zuzusehen. Wenn ihr Vorsprechen an den grandiosen Küchentisch-Monolog aus dem Vorgängerfilm erinnert. Wenn sie von der Verfolgten zur Rächerin wird. Oder wenn eine schleimig-schlotzige Abdruckmasse an ihrem Kopf herabrinnt, die alte Pearl als Gespenst umherspukt und das Star-Gesicht plötzlich zur grässlich deformierten Maske erstarrt. Mit Mia Goth hat Ti West eine Muse gefunden und einige der erinnerungswürdigsten Leinwand-Momente gezaubert, die das Horrorkino der vergangenen Jahre zu bieten hatte.

    Fazit: Ti West knüpft nahtlos an die Qualitäten der beiden Vorgängerfilme an und vollendet die „X“-Trilogie zu seinem bisherigen Meisterstück. „MaXXXine“ wiederholt zwar vorrangig schon bekannte Motive und Ideen, verwandelt sie aber in einen mitreißend düsteren, schwarzhumorigen Abgesang auf die Traumfabrik Hollywood.

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