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    Salt And Fire
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Salt And Fire
    Von Carsten Baumgardt

    Laut eigener Aussage hat Regielegende Werner Herzog („Aguirre – Der Zorn Gottes“, „Bad Lieutenant“) ein Privileg, das sonst kaum ein Filmemacher besitzt: Er kann drehen, was er will – ohne irgendwelche Vorgaben von Studiobossen oder Produktionsfirmen. Das liegt vor allem daran, dass er sehr kostengünstig arbeitet: Das Budget etwa für sein 2015er Epos „Königin der Wüste“ mit Nicole Kidman als Forscherin Gertrude Bell betrug läppische 15 Millionen Dollar, obwohl der Film drei Mal so teuer aussah. Trotzdem kostet Herzog seine künstlerischen Freiheiten voll aus und deshalb werden seine Werke auch längst nicht mehr zu Kassenschlagern - dafür sind sie zu eigenwillig und ungewöhnlich. Seinen Entführungs-Thriller „Salt And Fire“ inszeniert der unangepasste Autorenfilmer nun im Stil seiner eigenen Filme aus den 1970er Jahren, was bei einem heutigen Publikum durchaus für Irritationen sorgen dürfte. Für die Fans des gebürtigen Müncheners gibt es dafür ein besonderes Schmankerl, denn „Salt And Fire“ bietet das spektakulärste Herzog-Ende seit „Stroszek“ (1977).

    Die Vulkanforscherin Laura Sommerfeld (Veronica Ferres) leitet eine dreiköpfige Delegation, die im Auftrag der Vereinten Nationen in Bolivien eine Umweltkatastrophe am sich immer weiter ausbreitenden Salzsee Diablo Blanco untersuchen soll. Doch als die renommierte Professorin mit ihren Kollegen Dr. Cavani (Gael Garcia Bernal) und Dr. Meier (Volker Michalowski) vor Ort landet, ist der Flughafen nahezu menschenleer. Wenig später wird das Trio von einer schwer bewaffneten Gang entführt, die einem im Rollstuhl sitzenden Anführer namens „Aristides“ alias Krauss (Lawrence Krauss) gehorcht. Die drei werden in eine abgelegene Hacienda im Hochland gebracht, ohne zu wissen, was auf sie zukommt. Als Drahtzieher des Coups stellt sich bald Matt Riley (Michael Shannon) heraus, der aber kein Lösegeld erpressen will: Er ist als Chef eines Firmenkonsortiums für die Umweltsünden am Diablo Blanco verantwortlich, nun fühlt er sich schuldig und will auf die Opfer der Katastrophe aufmerksam machen. Also tut er alles, um Sommerfelds  Bericht an die UN in diesem Sinne zu beeinflussen, auch wenn er sich dadurch selbst belastet.

    „Salt And Fire“ basiert lose auf der Kurzgeschichte „Aral“ von Tom Bissell, die Werner Herzog vom Aralsee in Kasachstan nach Bolivien verlegt. Dort drehte er in der größten Salzwüste der Erde, der Salar de Uyuni, und ließ sie für seinen Film zum fiktiven Schauplatz einer fiktiven Umweltkatastrophe werden. Die außergewöhnlichen Maßnahmen, zu denen ausgerechnet der Verursacher des Schadens hier greift, geben der Story ein kurioses Gepräge, aber sie sind bei weitem nicht die einzige Seltsamkeit, denn „Salt And Fire“ ist ein durch und durch wunderlicher Film: Das beginnt schon mit der nicht-linearen Erzählweise, fern jeder Chronologie und jeder Drei-Akt-Struktur. Herzog macht sich einen Spaß daraus, die Regeln der konventionellen Dramaturgie und damit auch die Sehgewohnheiten des Publikums zu unterlaufen: Man weiß nie, welche Richtung die Handlung als nächstes einschlagen wird oder welche Verrücktheit gleich plötzlich die Ecke lugt.

    Das Schauspieler tragen ihren Teil zu dieser lustvoll-heterogenen Art des Filmemachens bei: Der hyperaktive Michael Shannon („Man Of Steel“, „Take Shelter“) wirkt wie aufgedreht, ein unkontrollierbares Energiebündel, während Veronica Ferres („Schtonk“) sehr viel bodenständiger (und konventioneller) auftritt. Gael Garcia Bernal („Babel“) und Volker Michalowski („Inglourious Basterds“) wiederum agieren betont theatralisch, ihr Auftreten erinnert an schrullige Laienschauspieler. Dementsprechend sind auch die hölzern-spröden Dialoge (ein Markenzeichen von Herzogs Werk in den 1970ern) künstlich überhöht, passend zum wabernden Ethno-Score von Komponist Ernst Reijseger („Die Höhle der vergessenen Träume“), der Erinnerungen an Herzogs alten Weggefährten Florian Fricke und dessen Elektro-New-Age-Band Popol Vuh weckt. Um Realismus im engeren Sinne etwa bei der Darstellung der Vulkanologen geht es in einem solchen Film natürlich nicht, vielmehr legt der Regisseur ihn als vielschichtig-spielerische Reflektion zum Thema Wahrnehmung an. Er verschafft seinem Zuschauer in doppelter Hinsicht immer wieder neue Perspektiven, gerade was unsere Beziehung zu Natur und Umwelt angeht.

    Auf seine ganz eigene und für einen Teil des Publikums sicherlich nachhaltig irritierende Weise schafft Werner Herzog Momente von großer spiritueller Kraft, etwa wenn Professor Sommerfeld die Zerstörung am eigenen Leib zu spüren bekommt – an der Hand zweier blinder Kinder, isoliert in der Weite der Salzwüste. Geradezu surreal wird es, als der reumütige Firmenboss Matt Riley seinem Entführungsopfer im römischen Kloster Santissima Trinita die Erfahrung des Kreuzgangs näher bringt: In einer faszinierenden Einstellung ändert sich mit der Bewegung der Kamera der Inhalt des Wandbildes (ein Heiliger betet unter einem Baum) - was wir sehen, hängt von unserem Blickwinkel ab, womit wir wieder beim Thema Wahrnehmung sind. Sowieso ist der von Herzogs Stammkameramann Peter Zeitlinger („Grizzly Man“, „Rescue Dawn“) fotografierte Film vor allem im Schlussdrittel mit seinen episch-poetischen Aufnahmen der Salzwüstenlandschaft ein Augenschmaus. In „Salt And Fire“ fällt bei weitem nicht jede abseitige Idee auf fruchtbaren Boden, aber die grandios-verrückte Schlussszene entschädigt für viele Irrwege: Wer wissen will, wie man totsicher Außerirdische auf die Erde lockt, sollte ein Kinoticket lösen.  

    Fazit: Der schräge Öko-Thriller „Salt And Fire“ gehört zweifellos nicht zu den besten Filmen von Arthouse-Star Werner Herzog, aber fesselnde Unterhaltung abseits der normalen Sehgewohnheiten bietet er allemal.

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