Wenn man während des Filmfestivals in Cannes tagelang die typischen ernsthaften Filme bedeutender Arthouse-Regisseure gesehen hat, die sich mit den „wichtigen“ Themen unserer Zeit auseinandersetzen, dann tut es richtig gut, zwischendurch in einen Film wie John Cameron Mitchells „How To Talk To Girls At Parties“ zu geraten. In diesem auf ganz eigene Weise bizarren Genremix nach einer Kurzgeschichte von Neil Gaiman („Der Sternwanderer“, „American Gods“) trifft Punk auf Science-Fiction - und in seinem Herzen steckt eine schöne Liebesgeschichte, die durch Elle Fannings unvergleichliche Leinwandpräsenz zu veredelt wird.
Selbst im unscheinbaren Londoner Vorort Croydon ist im Sommer 1977 der Punk angekommen. Das silberne Kronjubiläum der Queen steht an, die konservativen Massen feiern ihre Regentin und die Jugend rebelliert – zumindest ein wenig. Auch Enn (Alex Sharp) und seine Freunde John (Ethan Lawrence) und Vic (Abraham Lewis) bemühen sich mit den passenden wilden Frisuren und der typisch zerrissenen Kleidung um Punk-Attitüde, was ihnen aber nur bedingt gelingt. Nach einem wilden Konzert ziehen sie auf der Suche nach der Afterparty durch die Gegend und landen in einem verlassenen Haus, wo eine Festivität ganz anderer Art stattfindet: Eine Gruppe Humanoider in merkwürdiger Latexkleidung probt Ausdruckstänze, unter ihnen Zan (Elle Fanning), die ein wenig anders tickt als ihre außerirdischen Brüder und Schwestern. Voller Neugier begegnet sie Enn und erhält die Erlaubnis, sich 48 Stunden in der Welt der Menschen aufzuhalten.
Gleich mit seinem 2001 entstandenen ersten Film „Hedwig and the Angry Inch“ wurde der damals 28-jährige John Cameron Mitchell zu einer Ikone des schwulen Kinos, ein Status, den er fünf Jahre später mit „Shortbus“ untermauerte. Weitere vier Jahre später folgte das Drama „Rabbit Hole“, für das seine Hauptdarstellerin Nicole Kidman seinerzeit eine Oscar-Nominierung erhielt. Der in Cannes 2017 gleich in vier Filmen vertretene Star (darunter Sofia Coppolas „Die Verführten“ und Yorgos Lanthimos‘ „The Killing Of A Sacred Deer“) ist auch in „How To Talk To Girls At Parties“ wieder dabei, wirkt hier allerdings in ihrem flippigen, an die Kreationen Vivienne Westwoods erinnernden Kostüm etwas fehl am Platz. Sie hat aber ohnehin nur eine kleine Rolle und überlässt meist Elle Fanning das Parkett.
Trotz ihrer gerade erst 19 Jahre hat Fanning schon eine erstaunlich abwechslungsreiche Filmografie aufzuweisen. Von „Super 8“ bis „Maleficent“, von „Ginger & Rosa“ bis „The Neon Demon“: Ob Blockbuster oder Kunstfilm, immer drückt die junge Schauspielerin dem jeweiligen Werk ihren unverwechselbaren Stempel auf, denn sie ist mit einer kaum in Worte zu fassenden Ausstrahlung gesegnet und besitzt die nicht zu erlernende Fähigkeit, die Leinwand erstrahlen zu lassen. Auch „How To Talk To Girls At Parties“ profitiert ganz entscheidend von Fannings Aura. Der Regisseur schweift immer wieder zu den Nebenfiguren ab, aber der Film lebt vor allem dann auf, wenn die zentrale Liebesgeschichte zwischen Zan und Enn im Fokus steht.
John Cameron Mitchell nutzt Neil Gaimans gleichnamige kurze Vorlage (wer mag, kann sie hier nachlesen) nur als Sprungbrett für eine sehr lose zusammengefügte Handlung. Wie immer ist der Regisseur mehr an Atmosphäre und Stimmungen interessiert als an einem wasserdichten und logisch verständlichen Plot. Man sollte deshalb vielleicht gar nicht erst versuchen, die außerirdisch-menschliche Liebesgeschichte zwischen Zan und Enn, die in einer wunderbaren, psychedelisch angehauchten Sequenz gar in kosmische Dimensionen aufsteigt, auf ihre Sinnhaftigkeit abzuklopfen, sondern sich den sensibel eingefangenen Gefühlen hingeben. In seinen besten Momenten ist der uneinheitliche „How To Talk To Girls At Parties“ tatsächlich wie eine gelungene Party: fantasievoll, überbordend und hoch emotional.
Fazit: „How To Talk To Girls At Parties“ lebt von der Fantasie seines Regisseurs und von der außerordentlichen Ausstrahlung Elle Fannings.
Wir haben „How To Talk To Girls At Parties“ im Rahmen der 70. Filmfestspiele in Cannes 2017, wo er im offiziellen Wettbewerb außer Konkurrenz gezeigt wurde.