Lange bevor sich der texanische Kultregisseur Robert Rodriguez anschickte, mit einer Trilogie schießwütiger, verspielter Actionfilme den Mariachi als Heldenfigur des Kinos zu etablieren, galt der Mariachi schon als das kulturelle Wahrzeichen der Mexikaner schlechthin. Die hypervirile Ausformung des auf der Straße musizierenden, Sombrero und Cowboystiefel tragenden Gitarrenspielers in Rodriguez‘ Mariachi-Trilogie (bestehend aus „El Mariachi“ „Desperado“ und „Irgendwann in Mexico“) kam allerdings nicht von ungefähr. Mariachi, das gibt die volksmusikalische Tradition vor, waren eigentlich immer ausschließlich schwarz uniformierte Männer in engen Hosen. Diesem populären Trend zuwider laufen seit den 1950er Jahren einige wenige Vollblutfrauen, die sich der Macho-Tradition beherzt und resolut entgegenstellen. In ihrer farbintensiven, liebevoll detaillierten Dokumentation „Dieses schöne Scheißleben“ erweist die deutsche Regisseurin Doris Dörrie diesen Frauen nun eine warmherzige, bittersüße Huldigung.
Das Leben als Mariachi ist kein Zuckerschlecken. Die Konkurrenz ist groß, die Bezahlung ist schlecht und die Umgangsformen sind rau. Als die letzten Cowboys der Straßen üben sich die Mariachi auch in einem streng heteronormativen Lebensstil und blicken als melancholische Machohelden auf eine brutal-schöne Welt. Da ist das weibliche Geschlecht nur Thema, wenn man über die unerwiderte Liebe der Frauen oder ihren verfrühten Verlust traurige Liebeslieder anstimmen kann. Doch auch in der Mariachi-Tradition haben Frauen seit einigen Jahren als selbstbewusste Musikerinnern Einzug gehalten und kämpfen einen noch härteren Kampf um ihre Daseinsberechtigung. Die in Mexiko-Stadt lebende María del Carmen ist eine dieser Frauen, die sich bewusst für das Leben als Mariachi entschieden haben. Der Film begleitet sie und die Frauenbands Estrellas de Jalisco und Las Pioneras bei ihrer täglichen Arbeit als um Respekt kämpfende Straßenmusikantinnen und in ihrem turbulenten Privatleben.
„Dieses schöne Scheißleben“ ist eine - dem exotischen Gegenstand entsprechend - sehr farbenfrohe, atmosphärische Mischung aus dynamischem Musikfilm und leidenschaftlicher Dokumentation über eine noch recht unbekannte weibliche Minderheit innerhalb einer weltweit populären Musikrichtung. Die sonst eher für ihre Spielfilme bekannte Regisseurin Doris Dörrie („Die Friseuse“, „Kirschblüten – Hanami“) bewegt sich mit ihrer trotz aller Abgründe durchweg positiv gestimmten Doku damit auf den ähnlichen kulturmissionarischen Spuren des 1999 erschienenen Musikfilmklassikers „Buena Vista Social Club“ ihres deutschen Landsmanns Wim Wenders. Wie jener Feingeist des deutschen Films zeigt sich auch Dörrie hier angetan von der ansteckenden Lebenslust ihrer Protagonisten und gerührt von ihrem sturen Willen, sich in einer trostlosen Welt durchzusetzen. Dazu erinnert „Dieses schöne Scheißleben“ auch ein wenig an Morgan Nevilles oscarprämierte Dokumentation „20 Feet from Stardom“ über das harte Los der Backgroundsängerinnen. Die Faszination der Filmemacherin Dörrie für die sehr eigene Mariachi-Tradition im Ganzen und die subversiven Mariachi-Frauen wird hier vor allem in jedem mit der Handkamera erhaschtem Bild deutlich und steigert sich zu einer regelrechten Begeisterung, wenn sie im großen Finale des Films, das „Día de los Muertos“, das kunterbunte, vor bizarren Kostümen und mit Totenkopf bemalten Gesichtern berstende Totenfest, einfangen darf.
Die Kamera von Doris Dörrie und Daniel Schönauer („Die große Passion“) ist dabei weniger Beobachter, als ein interessierter Teilnehmer der lebendigen Geschehnisse. So werden zahlreiche kleine Details eingefangen, die der temporeiche, auf die emotionale Musik abgestimmte Schnitt von Frank J. Müller („Verstörung - und eine Art von Poesie“) zu einem facettenreichen Ganzen formt. Doch auch der – im wahrsten Sinne des Wortes – ungeschminkten Seite des weiblichen Mariachi-Daseins im von Drogenkriminalität geprägten Mexico-Stadt, wo die Frauen sich neben dem Tagelohn auch um Wohlergehen und Zukunft ihrer Kinder sorgen müssen, vermag Dörrie spannende Einblicke zu entlocken. Lediglich der Versuch einer Historisierung der Mariachi-Frauen durch die Profile einiger älterer, immer noch aktiven Mariachi-Frauen gestaltet sich nicht so interessant wie der ökonomische und kulturelle Überlebenskampf der Protagonistin María del Carmen im trostlosen Hier und Jetzt als stimmgewaltige, aber unterschätzte Mariachi-Sängerin. Wenn María als besorgte Mutter eines Teenager-Mädchens von deren potentiellen Zukunft als Drogenleiche oder Prostituierte trauert, während Mariachi-Bands in den Villen der wenigen Reichen für Almosen auftreten, dann ist das schon unbequemer, lebensnaher Stoff.
Fazit: Döris Dörries jüngste Dokumentation „Dieses schöne Scheißleben“ zeigt das Leben der Mariachis, vor allem der Mariachi-Frauen von Mexiko-Stadt als eine von Tragödien gezeichnete, unbequeme Existenz, der jedoch mit der Kraft der Musik und der ungebrochenen Lebenslust der Mexikanerinnen entgegengestemmt wird. Ein würdiger geistiger Nachfolger des Kult-Musikfilms „Buena Vista Social Club“ mit spannenden Figuren, mitreißender Musik und einnehmenden Bildern.